Beschuldigtenvernehmung

Herbeiführung der Äußerung eines Beschuldigten durch ein Strafverfolgungsorgan. Im Ermittlungsverfahren sind Vernehmungen durch Polizei, Staatsanwaltschaft und Ermittlungsichter möglich. Gemäß § 163 a StPO ist eine Vernehmung des Beschuldigten spätestens vor dem Abschluss der Ermittlungen durchzuführen; in einfachen Sachen genügt Gelegenheit zur schriftlichen Äußerung. Bei der ersten Vernehmung des Beschuldigten durch das Gericht (§ 136 Abs. 1 StPO) oder Beamte des Polizeidienstes (§ 163 a Abs. 4 S. 1 StPO) ist diesem zu eröffnen, welche Tat ihm zur Last gelegt wird. Daneben besteht eine Belehrungspflicht insbesondere hinsichtlich Aussagefreiheit, Recht der Konsultation eines Verteidigers und dem Recht, Beweisanträge zu stellen (§ 163 a Abs. 4 S. 2 i. V. m. § 136 Abs. 1 S.2-4 StPO). Abzugrenzen ist die Vernehmung von einer informatorischen Befragung im Vorstadium der Ermittlungen, die noch keine Belehrungspflicht auslöst, und der
* Spontanäußerung. Anders als bei polizeilichen Vernehmungen trifft den Beschuldigten bei Vernehmungen durch Gericht und Staatsanwaltschaft gemäß §§ 133, 163 a Abs. 3 S.1 StPO eine Erscheinenspflicht, die notfalls durch die Vorführung des Beschuldigten (§§ 134f. StPO) erzwungen werden kann. Der typische Ablauf einer Vernehmung ergibt sich aus § 136 StPO:
Vernehmung zur Person: Feststellung der Personalien des Beschuldigten.
Eröffnung des Tatvorwurfs: Bekanntgabe des Sachverhalts, der dem Beschuldigten zur Last gelegt wird. Anders als bei der polizeilichen Vernehmung werden bei Vernehmung durch das Gericht zu Beginn auch die Strafvorschriften mitgeteilt.
Belehrung über das Recht, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Das Unterlassen der Belehrung führt grundsätzlich zu einem Verwertungsverbot für die Aussage; eine Heilung ist nur durch das Nachholen der Vernehmung mit ordnungsgemäßer Belehrung möglich.
Belehrung über das Recht, einen Verteidiger zu wählen. Die Hinderung des Beschuldigten an der Verteidigerkonsultation verstößt gegen Art.6 Abs. 1, 3 EMRK und führt zu einem Verwertungsverbot.
— Hinweis auf das Recht, Beweisanträge zu stellen und sich ggf. schriftlich zu erklären.
— Mitteilung der Verdachtsgründe (§ 136 Abs. 2 StPO), um dem Beschuldigten deren Beseitigung zu ermöglichen.
Vernehmung zur Person und Sache: In der ersten Vernehmung sollen die persönlichen Verhältnisse
(abzugrenzen von den bloßen Personalien) ermittelt werden, § 136 Abs. 3 StPO. I. d. R. orientiert sich die Vernehmung an der für die Zeugenvernehmung geltenden Vorschrift des § 69 StPO, wonach sich an den zusammenhängenden Bericht des Beschuldigten das „Verhör” mit Einzelfragen anschließt; Vorhalte aus den Akten sind ebenso zulässig wie andere Vernehmungshilfen (Vorlage von Skizzen, Lichtbildern).
— Die Durchführung einer Vernehmung regelt die StPO nicht; sie findet jedoch ihre Grenzen in der Vorschrift des § 136a StPO über verbotene Vernehmungsmethoden.
Aus § 136 a Abs. 3 S. 2 StPO ergibt sich, dass die Verbote des § 136a Abs. 1 u. 2 StPO nur für Aussagen gelten, die bei Vernehmungen zustande gekommen sind. Dies sind nach einer verbreiteten Ansicht in der Lit. alle Äußerungen, die ein Staatsorgan direkt oder indirekt zur Aufklärung von Straftaten herbeiführt, wobei es nicht darauf ankommt, ob das Strafverfolgungsorgan offen als Behörde auftritt oder sich Dritter bedient und diese gezielt zur Erreichung von Äußerungen einsetzt oder ob sonst die Voraussetzungen vorliegen, die das Gesetz für eine Vernehmung kennt. Der BGH verlangt demgegenüber, dass die Vernehmungsperson der Auskunftsperson in amtlicher Funktion gegenübertritt und in dieser Funktion von ihr Auskunft verlangt. Konsequenz dieser Auffassung ist, dass z. B. die sog. „— Hörfalle”, bei der Vertreter der Ermittlungsbehörden einen Dritten zu einem Gespräch mit einer Person bewegen und dieses Gespräch mithören, keine Vernehmung bzw. Aussage i. S. d. StPO ist.
— Als Konkretisierung der Menschenwürde ist jede Beeinträchtigung der freien Willensentschließung und Willensbetätigung des Beschuldigten durch Zwang, Täuschung, Drohung oder ähnliche Mittel verboten.
— Verbotene Vernehmungsmittel werden in § 136 a Abs. 1 S.1 StPO — nicht abschließend — aufgeführt. Neben der Misshandlung zählen hierzu die Ermüdung, Quälerei, das Verabreichen von Mitteln und die Hypnose. Nach h. M. sind auch der Einsatz eines Lügendetektors oder heimliche Tonbandaufzeichnungen in entsprechender Anwendung der Vorschrift unzulässig. Unzulässig ist auch die bewusste Täuschung, die von zulässiger kriminalistischer List („Fangfragen”) abzugrenzen ist. Zwang darf nur angewandt werden, sofern das Strafverfahrensrecht diesen zulässt.
Die Drohung mit einer verfahrensrechtlich unzulässigen Maßnahme oder das Versprechen von gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteilen sind gemäß § 136a Abs. 1 S.2 StPO unzulässig. Aus dieser Vorschrift, die auch Konkretisierung des Legalitätsprinzips ist, ergibt sich für das Ermittlungsverfahren eine ähnliche Problemlage wie bei Absprachen in der Hauptverhandlung. Versprechungen sind, abgesehen von den Ausnahmen der Kronzeugenregelung, auch gegenüber Zeugen unzulässig, die zur Preisgabe ihres Wissens bereit sind.
— Maßnahmen, die das Erinnerungsvermögen oder die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten beeinträchtigen, sind ebenfalls unzulässig (§ 136a Abs. 2 StPO).
Die Verbote des § 136 a StPO gelten unabhängig von einer vorherigen Einwilligung oder nachträglichen Genehmigung des Beschuldigten (Abs. 3).
Folge eines Verstoßes gegen § 136a StPO ist ein
umfassendes Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der Aussage, sofern diese auf der verbotenen Vernehmungsmethode beruht (LG Frankfurt, StV 2003, 325 ff.; 327 ff. — Fall „Jakob v. Metzler”; eine Fernwirkung entfaltet das Beweisverwertungsverbot jedoch nicht (BGH NStZ 2001, 551).
Besonderheiten gelten für die richterliche Vernehmung des Beschuldigten durch den Ermittlungsrichter. Gemäß § 168 c Abs. 1 StPO ist der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger die Anwesenheit zu gestatten. Das Anwesenheitsrecht des Verteidigers gilt
auch bei Vernehmungen durch die Staatsanwaltschaft; die anwesenheitsberechtigten Verfahrensbeteiligten haben jeweils ein Fragerecht.
Zeugenvernehmung.




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