Fragerecht des Arbeitgebers

Im Rahmen von Einstellungsgesprächen wollen Arbeitgeber oft Sachen wissen, die ihnen Arbeitnehmer so gerne nicht mitteilen möchten, weil sie fürchten, dann den gewünschten Arbeitsplatz nicht zu erhalten. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, inwieweit die Arbeitgeber berechtigt sind, bestimmte Fragen zu stellen und inwieweit die Arbeitnehmer verpflichtet sind, diese Fragen wahrheitsgemäss zu beantworten.
Da nur zulässige Fragen wahrheitsgemäss beantwortet werden müssen, muss sich der Arbeitnehmer erst darüber im klaren sein, was der Arbeitgeber tatsächlich auch fragen darf.
Uneingeschränkt zulässig sind Fragen nach einer Schwerbehinderteneigenschaft, der Wehr- oder Ersatzdienstpflicht, nach einer künftig zu verbüssenden Freiheitsstrafe, nach der Höhe des bisherigen Arbeitsverdienstes sowie zu vorliegenden Lohn- und Gehaltspfändungen. Selbstverständlich kann auch danach gefragt werden, warum der Arbeitnehmer seinen bisherigen Arbeitsplatz aufgeben will, was er von der ausgeschriebenen Position erwarte, welche Aufgaben er bei der letzten Firma übernommen hatte und welche Beschäftigungen er davor ausgeübt habe.
Ansteckende Krankheiten müssen ebenfalls offenbart werden, wobei jedoch davon auszugehen ist, dass AIDS hierunter nicht fällt. Ein Berufskraftfahrer muss seine Alkoholabhängigkeit sogar von sich aus wahrheitsgemäss erklären, wobei allerdings dann davon auszugehen sein dürfte, dass er den Arbeitsplatz nicht erhalten wird.
Andere Fragen sind nicht uneingeschränkt zulässig, auch nicht die Frage nach Vorstrafen, wenn diese für den zu besetzenden Arbeitsplatz keine Rolle spielen. Die Gewerkschaftszugehörigkeit oder eine sonstige Parteizugehörigkeit braucht ebensowenig offenbart zu werden wie Fragen nach Krankheiten, die für das einzugehende Arbeitsverhältnis bedeutungslos sind.
Speziell an weibliche Arbeitnehmer werden besonders Fragen gerichtet, wie diejenigen nach einer bevorstehenden Heirat, nach schon vorhandener Schwangerschaft oder gar nach der letzten Regel. Bewerben sich um einen Arbeitsplatz nur Frauen, so meinte das Bundesarbeitsgericht, dass dann die Frage nach der Schwangerschaft zulässig wäre. Ansonsten sind alle vorgenannten Fragen unzulässig. Nur wenn eine Schwangere sich um einen Arbeitsplatz als Mannequin oder Sportlehrerin bewirbt, gilt auch die Ausnahme, dass die Frage nach der Schwangerschaft zulässig ist.

Recht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer nach bestimmten Umständen zu
fragen. Mit Rücksicht auf das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers und sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung kann dem Arbeitgeber nicht das Recht eingeräumt werden, über alle Umstände Auskunft zu verlangen. Aufgrund der verschiedenen Interessenlagen ist bzgl. der Zulässigkeit der Fragen an den Arbeitnehmer nach dem Zeitpunkt der Fragestellung zu differenzieren.
Fragerecht bei Vertragsschluss: Nach dem Grundsatz der Privatautonomie, der die Abschlussfreiheit umfasst, kann sich der Arbeitgeber seinen Vertragspartner frei auswählen. Dazu gehört die Möglichkeit, sich über den potenziellen Vertragspartner zu
informieren. Diesem Informationsinteresse des Arbeitgebers steht das Arbeitnehmerinteresse entgegen, nicht mehr als erforderlich von sich preiszugeben. Die Zulässigkeit der Frage bei Abschluss des Vertrages wird daher ermittelt, indem man
— nach einem berechtigten Interesse des Arbeitgebers sucht (sachlicher Bezug des Umstandes zum Arbeitsverhältnis, da es ja nur um die Eignung des Arbeitnehmers geht),
— das entgegenstehende Arbeitnehmerinteresse an informationeller Selbstbestimmung aufzeigt und
— die Interessen abwägt (Frage umso eher zulässig, je näher der Bezug zum Arbeitsverhältnis ist).
Frage nach der Schwangerschaft grundsätzlich unzulässig wegen mittelbarer Diskriminierung; Frage nach Aids- Erkrankung zulässig; Frage nach Schwerbehinderteneigenschaft nach bisheriger Rspr. des BAG zulässig wegen der umfangreichen rechtlichen Folgen bei Einstellung Schwerbehinderter, allerdings nunmehr wohl im Hinblick auf §§ 1, 2 Abs. 1 Nr.1 AGG unzulässig; Frage nach Vorstrafen zulässig bei Bedeutung für Tätigkeit (Frage nach Vermögensdelikten bei Kassierern oder Prokuristen etc.).
Fragerecht im bestehenden Arbeitsverhältnis: Hat der Arbeitgeber dagegen einen Arbeitnehmer eingestellt, so hat er seine Abschlussfreiheit ausgeübt. Er ist daher grundsätzlich an den Vertrag gebunden (pacta sunt servanda). Die Vertragsfreiheit kann daher nicht mehr als Grund für das Fragerecht herangezogen werden. Ein Fragerecht des Arbeitgebers kann sich daher nur aus einer Nebenpflicht des Arbeitnehmers zur Offenbarung der Umstände ergeben. Eine solche Nebenpflicht und daher auch ein Fragerecht im bestehenden Arbeitsverhältnis setzen ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers an der Beantwortung der Frage voraus. Dies ist dann der Fall, wenn der erfragte Umstand für das Arbeitsverhältnis von erheblicher Bedeutung ist, eine anderweitige Informationsbeschaffung dem Arbeitgeber nicht möglich ist und die Auskunftspflicht den Arbeitnehmer nicht in unverhältnismäßiger Weise belastet (Gesamtabwägung der Arbeitgeber-und Arbeitnehmerinteressen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit). Daher müssen die Anforderungen, unter denen der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im bestehenden Arbeitsverhältnis Fragen stellen darf, höher sein als bei Abschluss des Vertrages.
Häufig in der jüngeren Zeit Frage nach der Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen DDR.
Rechtsfolgen bei unzulässigen Fragen: Stellt der Arbeitgeber Fragen, die nach diesen Grundsätzen unzulässig sind, so braucht der Arbeitnehmer nicht zu antworten, kann aber auch eine falsche Antwort geben (gerade bei Fragen bei der Einstellung, da ansonsten Gefahr der Nichteinstellung). Die Täuschung ist bei unzulässigen Fragen nicht widerrechtlich, sodass der Arbeitgeber dann nicht wegen arglistiger Täuschung anfechten kann. Anfechtung, Arbeitsrecht: Anfechtungsgründe.




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