sittenwidriges Geschäft

Wie gesetzliche Verbote begrenzen auch die guten Sitten die Privatautonomie. Ein gegen die guten Sitten verstoßendes Rechtsgeschäft ist nichtig (§ 138 Abs. 1 BGB, Nichtigkeit). Der — mit den gesellschaftlichen Verhältnissen wandelbare — Maßstab der guten Sitten richtet sich nach dem Rechts- und Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden. Es handelt sich somit um einen objektiv-normativen Maßstab auf der Basis der herrschenden Sozialmoral sowie der anerkannten Rechts- und Grundwerte der Gesellschaft. Sonderfall der Sittenwidrigkeit ist der Wucher (§ 138 Abs. 2 BGB).
Der objektive Sittenverstoß kann sich aus dem Inhalt des Rechtsgeschäfts, seinem Zweck oder den Beweggründen der Parteien bei der Vornahme ergeben, nicht aber schon aus den Umständen bei Vornahme. Maßgeblich ist der Sittenbegriff zum Zeitpunkt der Geschäftsvornahme (für Testamente str.). Bei mehrseitigen Rechtsgeschäften müssen grundsätzlich alle Beteiligten sittenwidrig handeln (etwas anderes gilt nur, wenn die Sittenwidrigkeit gerade in dem Verhalten gegenüber dem Vertragspartner zum Ausdruck kommt).
Sittenwidrig sind etwa Rechtsgeschäfte, die zu einer nicht von der Sozialmoral gebilligten Kommerzialisierung bestimmter Vorgänge führen (z.B. Leihmutter-Vertrag, Vertrag über Scheinehe, Stimmenkauf, Titelkauf). Sittenwidrig können auch Rechtsgeschäfte sein, die gemeinschaftlich zum Zwecke der Benachteiligung Dritter oder der Allgemeinheit vorgenommen werden (z. B. Verleitung zum Vertragsbruch, Gläubigerbenachteiligung, Unterhaltsregelungen zu Lasten der Sozialhilfe). Auch die Ausnutzung einer Machtstellung zum eigenen Vorteil und zum Nachteil des Geschäftspartners kann zur Sittenwidrigkeit führen (z. B. Knebelungsvertrag, Koppelungsvertrag, anfängliche Übersicherung durch einen Kreditgeber, Bürgschaft eines einkommens- und mittellosen nahen Angehörigen). Zur letztgenannten Gruppe gehört auch der — dem Wucher (§ 138 Abs. 2 BGB) verwandte — Fall des Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung bei einem Austauschvertrag, zu dem — nach Gesamtwürdigung aller für den Vertragsschluss wesentlicher äußerer Umstände und der
inneren Einstellung der Parteien - weitere sittenwidrige Umstände hinzutreten, wie etwa verwerfliche Gesinnung oder die Ausnutzung der schwierigen Lage oder auch Unerfahrenheit des Partners für das eigene übermäßige Gewinnstreben. Solche besonderen Umstände werden nach der Rspr. des BGH dann ohne weiteres angenommen, wenn das Missverhältnis besonders kraß ist, d. h. der Wertunterschied mindestens 100% beträgt.
In subjektiver Hinsicht bedarf es (anders als im Falle des Wuchers) nur einer Kenntnis der die objektive Sittenwidrigkeit begründenden Umstände, nicht aber des Bewusstseins der Sittenwidrigkeit oder gar einer besonderen Verwerflichkeit (eine eigene laxere Moralvorstellung darf dem Handelnden nicht zugute kommen).
Ein ungeachtet der Sittenwidrigkeit bereits erfolgter Leistungsaustausch ist ggf. über eine condictio ob turpem vel iniustam causam (§ 817 S. 1 BGB) rückabzuwickeln, doch sind Bereicherungsansprüche ausgeschlossen, wenn (auch) den Empfänger der Leistung der Vorwurf der Sittenwidrigkeit trifft (1817 S. 2 BGB).




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