Sozialgerichtsprozess

Im Sozialrecht :

In sozialrechtlichen Angelegenheiten ist überwiegend der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet. Die Sozialgerichte entscheiden u.a. in sozialrechtlichen Angelegenheiten auf dem Gebiet der Sozialversicherung, der Arbeitsförderung und der sonstigen Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit, z.B. Kindergeld nach dem BKGG, der Grundsicherung für Arbeitsuchende, der sozialen Entschädigung ausser der Kriegsopferfürsorge, der öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten der Entgeltfortzahlung sowie der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes (§51 SGG). Ferner können Angelegenheiten spezialgesetzlich den Sozialgerichten zugewiesen sein (§51 Abs. 1 Nr. 10 SGG). In anderen sozialrechtlichen Angelegenheiten, insbesondere Jugendhilfe, Wohngeld und BAföG, ist demgegenüber der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet. Die Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem steuerrechtlichen Kindergeld sind den Finanzgerichten zugewiesen. Die Sozialgerichtsbarkeit ist dreistufig aufgebaut. In erster Instanz entscheiden die Sozialserichte. in zweiter Instanz die Landessozialserichte und in dritter Instanz das Bundessozialgericht in Kassel. Örtlich zuständig ist das Sozialgericht bzw. Landessozialgericht, in dessen Bezirk der Wohnsitz bzw. - wenn ein solcher fehlt - der Aufenthalt des Klägers ist (§57 SGG). Die Klage kann ferner am Beschäftigungsort erhoben werden. Für die Klage einer Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts, eines Unternehmens der privaten Pflegeversicherung oder eines Landes gegen eine natürliche Person oder eine juristische Person richtet sich die örtliche Zuständigkeit

nach dem Wohnsitz bzw. Aufenthaltsort des Beklagten. Klagearten im Sozialgerichtsprozess sind (§§ 54,55 SGG):

Anfechtungsklage: Mit der Anfechtungsklage wird die Aufhebung eines belastenden Verwaltungsaktes begehrt (§ 54 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 und 2 SGG). Die Anfechtungsklage setzt Klagebefugnis, d.h. die Behauptung durch einen rechtswidrigen Verwaltungsakt belastet zu sein, voraus. Die Klage ist innerhalb einer Frist von einem Monat ab Bekanntgabe des Verwaltungsakts bzw. des Widerspruchsbescheids zu erheben.

• kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage: Bei der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage wird bei Anspruchsleistungen neben der Aufhebung des ablehnenden Verwaltungsakts die Erbringung einer Sozialleistung begehrt (§ 54 Abs. 4 SGG).

• kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage: Bei der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage wird neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts die Verpflichtung der Behörde zur Entscheidung über eine Ermessensleistung begehrt (§ 54 Abs. 1 S.l SGG).

Leistungsklage: Die Leistungsklage ist auf die Durchsetzung eines Anspruchs - z.B. eines Leistungsträgers auf Erstattung bereits erbrachter Sozialleistungen - gerichtet, für den keine Aufhebung eines Verwaltungsakts erforderlich ist (§ 54 Abs. 5 SGG).

Feststellungsklage (§54 Abs. 3 SGG): Mit der Feststellungsklage wird die Feststellung des Bestehens bzw. Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt. Sie setzt ein Feststellungsinteresse voraus (§55 SGG).

Untätigkeitsklage (§88 SGG): Mit der Untätigkeitsklage wird die Verpflichtung des Leistungsträgers zur Entscheidung über einen Antrag bzw. einen Widerspruch begehrt.

Die Klage ist schriftlich oder zur Niederschrift beim Urkundsbeamten zu erheben. Sie wird mit der Einreichung anhängig. Bei der Anfechtungs- und der Verpflichtungsklage ist sie innerhalb eines Monats nach Zustellung oder Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids (mit Rechtsmittelbelehrung, §§66, 87 SGG) zu erheben. Beteiligte des Verfahrens sind der Kläger, der Beklagte und durch Beschluss des Gerichts Beigeladene (§§69, 75 SGG). Prozessfähig sind Personen, die geschäftsfähig sind, darüber hinaus Personen, die das 16. Lebensjahr vollendet haben. Diese bedürfen bei der Rücknahme des Rechtsbehelfs oder eines Rechtsmittels allerdings der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters. Für nicht prozessfähige Beteiligte kann ein besonderer Vertreter bestellt werden (§ 72 SGG). Die Beteiligten können sich durch einen Prozessbevoll- mächtigten vertreten lassen. Vor den Sozialgerichten und den Landessozialgerichten können dies natürliche prozessfähige Personen, die fremde Rechtsangelegenheiten nicht geschäftsmässig besorgen, Personen, die Mitglieder oder Angestellte von Gewerkschaften, Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberverbänden, von der berufsständischen Vereinigung der Landwirtschaft oder von Vereinigungen der Kriegsopfer sind, Rechtsanwälte und zugelassene Prozessagenten sein. In den Streitigkeiten vor dem Bundessozialgericht müssen sich die Beteiligten entweder durch einen Bevollmächtigten eines der genannten Verbände oder durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen. Im Sozialgerichtsprozess gilt das sog. Amtsprinzip. Die Sozialgerichte sind an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden, sondern ermitteln den Sachverhalt von Amts wegen (§ 103 SGG). Den Parteien ist in den Sozialgerichtsverfahren rechtliches Gehör zu gewähren. Bei Verletzung des rechtlichen Gehörs kann Anhörungsrüge erhoben werden, soweit sich dieser Fehler auf die Entscheidung auswirkte (§ 178a SGG). Das Verfahren wird regelmässig durch Urteil beendet (vgl. §§ 124, 125, 130ff. SGG). Es endet ferner bei Abschluss eines Vergleiches oder bei Klagerücknahme. Ein Anerkenntnisurteil ergeht, wenn das Anerkenntnis der einen Partei durch die andere Partei angenommen wurde (§ 101 Abs. 2 SGG). Nur in Ausnahmefällen kann ein Anerkenntnis bei einem nicht angenommenen Anerkenntnis ergehen (§202 SGG i.V.m. §7 Abs. 1 ZPO). Die Klagerücknahme ist eine nicht widerrufliche und nicht anfechtbare Prozesserklärung. Sie kann bis zur Rechtskraft des Urteils erklärt werden (§ 141 SGG). Bei Klagerücknahme ist über die Kosten zu entscheiden. Rechtsmittel im sozialgerichtlichen Verfahren sind die Berufung (§§ 143-159 SGG), die Revision (§§ 160-171 SGG) und die Beschwerde (§§ 172-178 SGG). Verletzt ein Gericht den Anspruch auf rechtliches Gehör und hat dies für die Entscheidung Bedeutung, besteht die Möglichkeit der Anhörungsrüge (§178a SGG). Dies gilt selbst dann, wenn die gerichtliche Entscheidung unanfechtbar geworden ist. Die Berufung findet gegen Urteile der Sozialgerichte statt. Berufungsgericht ist das Landessozialgericht. Die Berufung eröffnet eine zweite Tatsacheninstanz. Das Berufungsverfahren endet durch Urteil. Weitere Beendigungsgründe sind Berufungsrücknahme, der Vergleich und das Anerkenntnis. Die Revision gegen ein Urteil des Landessozialgerichts ist zulässig, wenn die Revision im Urteil vom Landessozialgericht zugelassen wurde (§160a SGG). Lässt das Landessozialgericht die Revision nicht zu, kann gegen diese Entscheidung beim Bundessozialgericht die Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt werden. Die Revision kann auch als sog. Sprungrevision unmittelbar gegen Urteile der Sozialgerichte eingelegt werden (§ 161 SGG). Die Revision kann nur innerhalb der Fristen des § 164 SGG eingelegt und begründet werden. Im Revisionsverfahren muss ein Bevollmächtigter bestellt werden (§ 166 SGG). Das BSG ist an die tatsächlichen Feststellungen des Landessozialgerichts gebunden (§ 163 SGG), d.h. es kann nicht erneut Beweis erheben. Sind die tatsächlichen Feststellungen des Landessozialgerichts nach Auffassung des BSG nicht ausreichend, muss es das Verfahren an das Landessozialgericht zurückverweisen (§ 170 Abs. 2 S. 2 SGG). Beim BSG sind nur bei einem deutschen Gericht zugelassene Rechtsanwälte, Gewerkschaftssekretäre, Vertreter von Arbeitgebervereinigungen und in Angelegenheiten der privaten Pflegeversicherung Vertreter der Pflegeversicherungsunternehmen postulationsfähig (§166 Abs. 1, 2 SGG). Einstweiliger Rechtsschutz wird im sozialgerichtlichen Verfahren in folgenden Fällen gewährt. Haben Widerspruch oder Klage ausnahmsweise keine aufschiebende Wirkung (§ 86a SGG) oder hat der Leistungsträger den Sofortvollzug angeordnet, kann das Ge- rieht zur gerichüichen Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung angerufen werden (§86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG). Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung durch das Gericht setzt voraus, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmässigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen oder die sofortige Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige nicht gerechtfertigte Härte zur Folge hätte. Die Anordnung muss beantragt werden. In Leistungsund Verpflichtungssachen kann das Gericht zum Erlass einer einstweiligen Anordnung angerufen werden (§86b Abs. 2 SGG). Die einstweilige Anordnung kann als Sicherungsanordnung oder als Regelungsanordnung ergehen. Die Sicherungsanordnung soll einen bestehenden Zustand wahren (§86b Abs. 2 S.l SGG). Sie setzt einen erheblichen wirtschaftlichen Nachteil voraus. Die Sicherungsanordnung hat nur geringe praktische Bedeutung, weil im Sozialrecht überwiegend durch Verwaltungsakt entschieden wird. Die Regelungsanordnung ergeht in Verpflichtungs- und in allgemeinen Leistungsfällen (§86b Abs. 2 S. 2 SGG). Die Regelungsanordnung setzt einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus. Ein Anordnungsanspruch besteht, wenn es überwiegend wahrscheinlich ist, dass der Antragsteller im Hauptsacheverfahren obsiegen wird. Ein Anordnungsgrund besteht, wenn dem Antragsteller nicht zugemutet werden kann, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Str. ist, ob der Antragsteller auf Sozialhilfe verwiesen werden darf. Mit der Sicherungs- und Regelungsanordnung darf die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Gerichtskosten fallen im sozialgerichtlichen Verfahren für natürliche Personen i.d.R. nicht an (§183 SGG). Ausnahmen hiervon bestehen in Rechtsstreitigkeiten von Leistungsträgem untereinander und bei Beteiligung von Arbeitgebern und Vertragsärzten (§197a SGG). Die Kosten haben diese erfolgsabhängig zu tragen. Die Leistungsträger haben unabhängig vom Erfolg pauschale Gerichtskosten zu tragen. Die Vorschriften der ZPO über die Prozesskostenhilfe sind im Sozialgerichtsprozess entsprechend anwendbar (§73a SGG). Prozesskostenhilfe erhält, wer nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Prozesskosten nicht, nur zum Teil nrlpr in Ratpn anfhrinafin kann wpnn Hifi RechtsverfolpimfJ hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint (§§ H4ff. ZPO). Hinreichende Erfolgaussicht besteht, wenn die Wahrscheinlichkeit des Obsiegens zumindest gleich hoch wie die Möglichkeit des Unterliegens in dem Rechtsstreit ist. Mutwillig ist die Rechtsverfolgung, wenn der Antragsteller den Prozess nicht führen würde, wenn er selbst die Kosten tragen müsste (BSG NZS 2001,162). Die Prozesskostenhilfe muss beantragt werden. Liegen die Voraussetzungen vor, wird der Antragsteller je nach seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen von den Prozesskosten ganz oder teilweise freigestellt oder ihm ermöglicht, die Prozesskosten in Raten zu bezahlen. Ist die Bestellung eines Rechtsanwalts erforderlich, wird ihm ein vertretungsbereiter Rechtsanwalt beigeordnet (§ 121 Abs. 1 ZPO). Über die Prozesskostenhilfe entscheidet das Sozialgericht durch Beschluss. Gegen die Ablehnung der Prozesskostenhilfe kann innerhalb 1 Monats Beschwerde eingelegt werden. Mit der Beiordnung hat der Rechtsanwalt einen Anspruch auf Vergütung durch die Landeskasse. Die Vollstreckung der sozialgerichtlichen Entscheidungen richtet sich nach den §§ 704 bis 945 ZPO.




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