Haftungstatbestand

, Steuerrecht: Zivil- oder steuerrechtliche Grundlage, aus der die Inanspruchnahme einer natürlichen oder juristischen Person als steuerlicher Haftungsschuldner abgeleitet werden kann. Als zivilrechtliche Vorschriften, welche die Haftung auch für Steueransprüche des Fiskus gegen andere Personen begründen, kommen beispielsweise § 419 BGB und §§ 25, 128 HGB in Betracht. Darüber hinaus enthalten die Abgabenordnung und eine Vielzahl von Einzelsteuergesetzen haftungsauslösende Regelungen. Hiervon sind die praktisch wichtigsten:
— Haftung des Vertreters nach § 69 AO. Als mögliche Haftungsschuldner kommen nach § 69 i. V. m. §§ 34, 35 AO folgende Personen in Betracht: gesetzliche Vertreter natürlicher Personen (z. B. Eltern, Vormund); gesetzliche Vertreter juristischer Personen (z.B. Vorstand einer AG, Geschäftsführer einer GmbH); Geschäftsführer nichtrechtsfähiger Personenvereinigungen (z. B. Geschäftsführer einer Grundstücksgemeinschaft); Mitglieder und Gesellschafter nichtrechtsfähiger Personenvereinigungen, wenn diese keinen Geschäftsführer haben; Personen, denen das Vermögen nichtrechtsfähiger Vermögensmassen zusteht, wenn für diese kein Geschäftsführer bestellt ist; Vermögensverwalter (z. B. Insolvenzverwalter); Personen, die als Verfügungsberechtigte auftreten (z.B. Treuhänder, Kommissionäre). § 69 AO knüpft an folgende Voraussetzungen an:
a) Schaden des Steuerfiskus: Ein Steueranspruch ist nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt worden oder die Finanzbehörde hat ohne materiellen Rechtsgrund eine Steuervergütung/ Steuererstattung vorgenommen.
Schuldhafte Pflichtverletzung durch den Haftungsschuldner: Als möglicherweise verletzte Pflichten kommen u. a. die Mitwirkungspflicht, die Steuererklärungspflicht, Buchführungs- und Aufbewahrungspflichten in Betracht. Praktisch bedeutsam sind vor allem die Nichterfüllung von Zahlungspflichten sowie von Steuereinbehaltungs- und Abführungspflichten. Bei den letztgenannten Leistungspflichten gewinnt der sog. Grundsatz der anteiligen Tilgung eine ausschlaggebende Bedeutung. Danach hat der Vertreter eines Steuerpflichtigen, soweit er über dessen Zahlungsmittel verfügen kann, dafür Sorge zu tragen, dass der Fiskus bei unzureichender Liquidität nicht gegenüber anderen Gläubigern benachteiligt wird. Als haftungsbegründende Schuldformen nennt § 69 AO den Vorsatz und die grobe Fahrlässigkeit. Im Anwendungsbereich dieser Norm wird der Begriff der groben Fahrlässigkeit relativ weit ausgelegt. Beispielsweise kann sich der Geschäftsführer einer GmbH nicht auf mangelnde Erfahrung in handels- und steuerrechtlichen Angelegenheiten berufen. Grobe Fahrlässigkeit wird in der Regel auch dann bejaht, wenn der oben beschriebene Grundsatz der anteiligen Tilgung nicht beachtet wird. Dieses gilt in besonderem Maße bei der einzubehaltenden und abzuführenden Lohnsteuer. Grobe Fahrlässigkeit wird schon dann angenommen, wenn der Vertreter nicht beachtet, dass ein Arbeitgeber unabhängig von dem Umfang der Befriedigung der übrigen Gläubiger das Finanzamt hinsichtlich der Lohnsteuer nicht schlechter behandeln darf als die Arbeitnehmer hinsichtlich der ausgezahlten Nettolöhne.
b) Kausalität zwischen der Pflichtverletzung und dem steuerlichen Schaden. Es gilt die Adäquanztheorie.
Haftung des Steuerhinterziehers und des Steuerhehlers nach §71. AO. Es haftet jeder, der als Täter oder Teilnehmer eine Steuerhinterziehung (§ 370 AO) oder Steuerhehlerei (§ 374 AO) begeht. Da es an dem Merkmal der verkürzten Steuer fehlt, wenn die Tat nicht über das Versuchsstadium hinauskommt, kann nur eine vollendete Steuerstraftat die Haftung auslösen. Es müssen alle Voraussetzungen der Strafbarkeit vorliegen, einer Verurteilung wegen dieser Tat bedarf es nicht.
Haftung bei Organschaft nach § 73 AO. Bei einer steuerlichen Organschaft haftet die Organgesellschaft (Tochter) für die Steuern des Organträgers (Mutter) für solche Steuern, für welche das Organschaftsverhältnis steuerlich von Bedeutung ist. Es handelt sich hierbei um die USt, die GewSt, die KSt und die ESt. Streitig ist, ob die Organgesellschaft neben den durch sie selber verursachten Steuern auch für diejenigen Steuern des Organträgers haftet, die von anderen Organgesellschaften verursacht werden.
Haftung bei Übernahme eines Betriebes nach § 75 AO. Für bestimmte, die in § 75 AO bezeichneten Steueransprüche (Steuerabzugsbeträge, Betriebssteuern und Ansprüche auf Erstattung von unberechtigterweise geleisteten Steuervergütungen) haftet derjenige, dem außerhalb eines Zwangsvollstreckungsverfahrens ein Betrieb im Ganzen übereignet wird. Der Umfang der Haftung erstreckt sich auf die innerhalb des letzten Jahres vor der Anmeldung des Betriebes entstandenen und bis ein Jahr nach Anmeldung des Betriebes festgesetzten oder mit Festsetzungswirkung angemeldeten Steuern. Der Haftungszugriff beschränkt sich auf den Bestand des übernommenen Vermögens.
— Haftungstatbestände in Einzelsteuergesetzen. Beispiele für Haftungstatbestände in Einzelsteuergesetzen sind § 42 d EStG (Haftung des Arbeitgebers für Lohnsteuer) und § 11 GrStG (Haftung des Nießbrauchen und des Erwerbers eines Grundstücks für Grundsteuer).
Die Vielzahl der Haftungsvorschriften macht die gesetzgeberische Intention deutlich, die Durchsetzbarkeit der Steuerschuld massiv zu stärken. Für die Haftung kommt grundsätzlich jeder Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis in Betracht, ggf. sogar ein Haftungsanspruch (Beispiel: Haftung eines GmbH-Geschäftsführers für die seitens der GmbH nicht einbehaltene Lohnsteuer). Allerdings setzt der Haftungsanspruch schon begrifflich das Bestehen eines Anspruchs, für welchen gehaftet werden soll, voraus. Insoweit ist der Haftungsanspruch akzessorisch. Für seine Existenz ist es jedoch nicht notwendig, dass der entsprechende Anspruch durch Steuerverwaltungsakt formell festgesetzt worden ist. Der steuerliche Haftungsanspruch entsteht nach alledem unabhängig von einer Entscheidung einer Finanzbehörde. Von einer positiven Ermessensentscheidung des Finanzamtes ist lediglich die Haftungsinanspruchnahme abhängig. Diese erfolgt gem. § 191 AO mit einem Haftungsbescheid.




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