Vertrauensgrundsatz

Pflichtbegrenzendes Regulativ im Bereich der Fahrlässigkeitsstraftaten, das vor allem bei Verkehrsunfällen Bedeutung erlangt hat: Wer am Straßenverkehr teilnimmt, darf sich darauf verlassen, dass andere Verkehrsteilnehmer sich verkehrsgerecht verhalten, und sein eigenes Handeln darauf einrichten. So braucht etwa der Führer eines Kfz auf einer vorfahrtberechtigten Straße vor Kreuzungen seine Geschwindigkeit nicht deshalb zu mindern, weil ein wartepflichtiger anderer Verkehrsteilnehmer ihm die Vorfahrt nehmen könnte. Dies gilt jedoch nicht, wo andere Verkehrsteilnehmer offensichtlich den Anforderungen an die Teilnahme am Straßenverkehr nicht gewachsen sind, z. B. gegenüber Kindern, oder wo erfahrungsgemäß mit verkehrswidrigem Verhalten Anderer zu rechnen ist, etwa bzgl. der Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit.

Der Vertrauensgrundsatz ist der vom Vertrauen ausgehende Grundsatz, der darin besteht, dass jeder grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass sich jeder Rechtsgenosse rechtsfreundlich und nicht rechtsfeindlich verhält, also das Recht hält und nicht bricht. Vertrauensgrundsatz im Straßenverkehr ist der von der Rechtsprechung entwickelte straßenverkehrsrechtliche Grundsatz, wonach ein Kraftfahrer regelmäßig darauf vertrauen darf, dass sich andere Verkehrsteilnehmer verkehrsgerecht verhalten. Ist allerdings nach der Verkehrslage mit Verkehrswidrigkeiten anderer Verkehrsteilnehmer (z. B. Kinder, erkennbar Kranker, erkennbarer Rechtsbrecher) zu rechnen, so muss der Kraftfahrer sein Verhalten hierauf einstellen und beispielsweise auf sein Vorfahrtsrecht verzichten (§ 1 StVO).

Der Vertrauensgrundsatz ist im Rahmen der Fahrlässigkeitsprüfung auch auf andere Bereiche des täglichen Lebens übertragbar, bei denen mehrere arbeitsteilig tätig sind und einer von ihnen Fehler gemacht hat. Soweit Gefahren für rechtlich geschützte Interessen entstehen, handelt es sich um ein erlaubtes Risiko. Auf den Vertrauensgrundsatz kann sich jedoch nicht berufen, wer sich seinerseits regelwidrig verhält.

Bei der Vorfahrt. Bestünde ein Gebot, jedes mögliche verkehrswidrige Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer einzukalkulieren, dann würde es bei Beachtung den Kraftfahrzeugverkehr insbesondere erheblich lähmen. Deshalb gilt der Grundsatz, daß ein Verkehrsteilnehmer grundsätzlich nicht - ständig - mit unsachgemäßem, verkehrswidrigem Verhalten anderer zu rechnen braucht; das gilt besonders im Großstadtverkehr. Eine Ausnahme gilt hinsichtlich häufig begangener (typischer) Verkehrswidrigkeiten, mit denen ein gewissenhafter Fahrer verständigerweise rechnen muß. Im übrigen findet der Vertrauensgrundsatz seine Grenze in der jeweiligen, zu Bedenken Anlaß gebenden Verkehrslage.

Grundsätzlich kann jeder Verkehrsteilnehmer darauf vertrauen, dass andere sich verkehrsgerecht verhalten. Der Vertrauensgrundsatz gilt zugunsten aller Verkehrsteilnehmer und besagt, dass kein Verkehrsteilnehmer damit rechnen kann, soweit nicht besondere Umstände dagegen sprechen, dass andere Verkehrsteilnehmer die für sie geltenden Vorschriften beachten. Mit einem Verhalten anderer, das ausserhalb aller Erfahrung liegt, braucht nicht gerechnet zu werden. - Der V. gilt nicht gegenüber erkannten Verkehrswidrigkeiten anderer Verkehrsteilnehmer. Der Verkehrsteilnehmer, der selbst eine Regelwidrigkeit begangen hat, kann sich nicht darauf berufen, er habe mit einer Verkehrswidrigkeit eines anderen Verkehrsteilnehmers nicht zu rechnen brauchen. Ein V. ist auch dann nicht anwendbar, wenn an einer bestimmten Stelle oder einer bestimmten Verkehrslage Regelwidrigkeiten häufig begangen werden oder der Verkehrsteilnehmer sich einer unklaren Verkehrslage gegenübersieht. - Der V. ist eingeschränkt gegenüber Kindern und anderen erkennbar verkehrsunsicheren Personen, z. B. hochbetagten und gebrechlichen Menschen.

Lit.: Mauer, R., Die Funktion des Vertrauensgrundsatzes, 1995; Brinkmann, B., Der Vertrauensgrundsatz, 1996




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