Allgemeine Handlungsfreiheit

steht in engstem Zusammenhang mit der grundrechtlich geschützten Menschenwürde. Das GG gibt jedem Menschen das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmässige Ordnung oder das Sittengesetz verstösst (Art. 2 I). Diese weitgespannte Grundrechtsnorm hat als generelle Vorschrift gegenüber den besonderen Freiheitsrechten der Verfassung eine lückenschliessende Auffangfunktion. Sie schützt nicht etwa nur den kulturellen Kernbereich der sittlich verantwortlichen Person, vielmehr die menschliche Handlungsfreiheit in einem umfassenden Sinn. Jedoch kommt dieses allgemeine Freiheitsrecht erst dann zum Zuge, wenn - wie etwa im Falle der Auswanderungsfreiheit oder der Vertragsfreiheit - ein spezielles Grundrecht nicht gegeben ist.
Für die Abgrenzung des Schutzbereichs der allgemeinen Handlungsfreiheit kommt es besonders auf die Auslegung des Schrankenvorbehalts der .verfassungsmässigen Ordnung" an. Dieser Begriff wird hier nach einer seit langem gefestigten Rechtsprechung nicht etwa als Verfassungsordnung im engeren Sinn, sondern als verfassungsmässige Rechtsordnung aufgefasst. Bei einem derart weit ausgelegten Schrankenvorbehalt - er umfasst die gesamte, mit den materiellen und formellen Verfassungsvorschriften in Einklang stehende Rechtsordnung - wäre zu besorgen, dass das allgemeine Freiheitsgrundrecht gewissermassen leerläuft, hätte nicht die Verfassungsrechtsprechung einen weiteren Interpretationsschritt getan. Hiernach folgt aus der Annahme, dass der Einzelne durch jede verfassungsmässige Rechtsnorm in seiner Handlungsfreiheit eingeschränkt wird, im Umkehrschluss: Jede legislative Massnahme, die gegen irgendeine Bestimmung des Grundgesetzes verstösst, kann als Verletzung des allgemeinen Freiheitsgrundrechts mit der Verfassungsbeschwerde angefochten werden. So verstärkt diese Judikatur die rechtsstaatliche Grundordnung und erweitert den geschützten individuellen Freiheitsraum. Dabei ist zu beachten, dass Gesetze nicht schon dann verfassungsmässig sind, wenn sie formell ordnungsgemäss zustande kamen. Sie müssen überdies in Einklang stehen mit den Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, ferner mit den ungeschriebenen elementaren Verfassungsgrundsätzen, erst recht mit den staatsgestaltenden Leitnormen des Grundgesetzes, insbesondere mit dem Rechtsstaatsprinzip. Schliesslich gehört es zur substantiellen Verfassungsmässigkeit, dass Gesetze die geistige, politische und wirtschaftliche Freiheit der Grundrechtsinhaber nicht in ihrem Wesensgehalt antasten.

Handlungsfreiheit, allgemeine

Schutz aller Betätigungen und Lebensbereiche, die nicht einem speziellen Freiheitsrecht unterfallen (Art.2 Abs. 1 GG).
Die Reichweite der allgemeinen Handlungsfreiheit wird unterschiedlich beurteilt. Nach der früheren
Kernbereichstheorie erfasst der Schutzbereich des
Art.2 Abs. 1 GG lediglich den Bereich, den der Mensch benötigt, um seine Wesenslage als geistige
Persönlichkeit zu entfalten. Eine neuere Auffassung
stellt auf die konstituierenden Elemente der Persönlichkeit ab, die in ihrer Bedeutung den anderen
Schutzgütern der Grundrechte gleichkommt. Dazu
zählen die Lebensbereiche und Verhaltensweisen, deren beliebige Regulierbarkeit durch den Staat die
Autonomie des Einzelnen gefährdet und damit einem System Vorschub leistet, das nicht mehr in Anspruch nehmen kann, auf die Achtung der Menschenwürde gegründet zu sein.
Nach h. M. und st. Rspr. des BVerfG garantiert Art. 2 Abs. 1 GG die allgemeine Handlungsfreiheit, umfasst
also jegliches menschliches Verhalten und stellt ein
allgemeines Auffanggrundrecht dar (BVerfGE 6, 32 — „Elfes-Urteil”). Entsprechend weit ist der Anwendungsbereich des Grundrechts. Erfasst werden u. a. der persönliche wie auch der soziale Bereich, die Freiheit
im wirtschaftlichen Verkehr, die Vertragsautonomie, die Ausreisefreiheit oder die Freiheit vor Belastung mit öffentlichen Abgaben.
Außerdem hat das BVerfG aus Art.2 Abs. 1 GG unter gleichzeitiger Berufung auf Art.1 Abs. 1 GG das allgemeine Persönlichkeitsrecht als spezielle Ausformung der allgemeinen Handlungsfreiheit entwickelt (Persönlichkeitsrecht, allgemeines).
Aufgrund des sehr weit gefassten Anwendungsbereiches der allgemeinen Handlungsfreiheit wird für einen Eingriff in das Grundrecht eine finale (zielgerichtete) und unmittelbare Beeinträchtigung durch einen Rechtsakt gefordert.
Beschränkt wird die allgemeine Handlungsfreiheit durch die sog. Schrankentrias, die Rechte anderer, das Sittengesetz und die verfassungsmäßige Ordnung (Art.2 Abs. 1 GG). Durch die Rechte anderer werden sowohl private als auch subjektive öffentliche Rechte Dritter geschützt, allerdings nicht jegliches Interesse des Dritten, sondern nur die rechtlich gesicherten schutzwürdigen Interessen. Mit dem Begriff „Sittengesetz” sind die allgemein anerkannten Moral- und Wertvorstellungen gemeint. Nach ganz h. M. beinhaltet die „verfassungsmäßige Ordnung” alle formell und materiell verfassungsmäßigen Normen, also auch Satzungen oder sogar Gewohnheitsrecht sowie die darauf gestützten Einzelmaßnahmen. Aus diesem Grunde wird teilweise davon gesprochen, die allgemeine Handlungsfreiheit stehe unter einem „Rechtsvorbehalt”.




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