Demokratieprinzip
(demokratisches Prinzip) ist der Grundsatz, dass das Volk selbst durch eine von Parteien - und der öffentlichen Meinung - getragene Volksvertretung unter solchen Bedingungen herrscht, die eine Ablösung der Regierung durch eine Opposition möglich machen. Lit.: Wegge, G., Zur normativen Bedeutung des Demokratieprinzips, 1996
Basis eines funktionalen Rechts-und Staatsverständnisses. Staat und Recht sind Sache des Volkes und der Gesellschaft; das Demokratieprinzip ist der Ausgangspunkt aller Staatsgewalt und allen Rechts. Das Demokratieprinzip seinerseits hat seine Grundlage in der Ethik der Humanität, des Pluralismus und der Ehrfurcht vor dem Leben (Albert Schweitzer) und hat daher neben seiner formalen auch eine materielle Seite. Notwendig sind der stete dialektische Rückbezug der repräsentativen Leitungsund Entscheidungsgewalt, die Verhinderung des Abgleitens der handelnden Repräsentanten in eine souveräne Stellung und die demokratische Korrigierbarkeit und Balancierung der repräsentativen Leitungs- und Entscheidungsgewalt, sei es durch Abberufung der Repräsentanten, sei es durch Sachentscheidungen des Volkes selbst. Dies gilt umso mehr, als nach dem Zusammenbruch der Dominanzideologien des
20. Jahrhunderts sowie der Preisgabe eines ethischen oder religiösen Identitätskerns die Gesellschaft ihren ontotheologischen Rückhalt und substanzielle Hintergrundkonzepte verloren hat. Die Entwicklung der letzten zweihundert Jahre ist ein Prozess fortdauernder Demokratisierung und Emanzipation, vom Rechtsstaat zu den Grundrechten, zu deren Bedeutungswandel von Abwehr- zu Status- und Teilhaberechten, zur Demokratie und dem heutigen Gemeinwesen, vom Rechtsstaat über den Sozialstaat zum Steuerungsstaat der Risikogesellschaft. So wichtig Globalisierung, Individualisierung und Utilitarisierung sein mögen, im Vordergrund steht nach wie vor die Demokratisierung von Staat und Recht. Im Gewalten-teilenden Staat hat der demokratische Gesetzgeber den Vorrang, Rechtsprechung und Verwaltung dienen der einwandfreien Umsetzung der Gesetze. Aus dem Legitimationsgedanken des Demokratieprinzips folgt, dass das BVerfG den Inhalt der Gesetze nicht ändern, sondern lediglich die Einhaltung des Verfahrens (Zustandekommen des Gesetzes im „freien Diskurs”) überwachen sollte.
Das Mehrheitsprinzip ist die allgemeine Form demokratischer Entscheidungsbildung; es bedarf der Begrenzung durch die Beachtung der Rechte der Minderheit. Die Mehrheit darf ihre Rechte nicht bedingungslos durchsetzen. In besonderen Fällen können auch Einstimmigkeit und qualifizierte Mehrheiten verlangt werden. Dezionistisch betrachtet liefert die Mehrheitsregel die Möglichkeit, Streitfragen zu entscheiden. Ergänzt wird dieser Aspekt durch das prozedurale Argument, welches die allgemeine Chancengleichheit betont und die Möglichkeit späterer Korrektur offen hält. Das veritative Argument besagt, dass bei offener Diskussion mangels besserer Erkenntnismöglichkeiten die Alternative die Vermutung der Richtigkeit für sich hat, die mehr Bürgern einsichtig gemacht werden kann. Das Stabilitäts-Argument geht davon aus, dass eine Mehrheitsentscheidung zu einer relativ hohen Stabilität der Gesellschaft führt, da mehr Bürger zufrieden als unzufrieden sind, und sich damit dem Ideal nähert, eine möglichst große Zahl zufrieden zu stellen („the greatest happiness of the greatest number”). Schließlich das voluntative Element, nach dem bei weitestgehender Interessenkongruenz die Anwendung des Mehrheitsprinzips unproblematisch ist (Zusammenfallen des
volonte g8nerale mit dem volonte de tour).
in Müllers, Christoph; Demokratie — Zumutungen und Versprechungen. Berlin (Wagenbach-Verlag) 2008. Ginsborg, Paul Wie Demokratie leben. Berlin (Wagenbach-Verlag) 2008. Habermas, Jürgen, Ratzinger, Josef Dialektik der Säkularisierung — über Verfutuft und Staat. Freiburg (Herder-Verlag) 22005; Di Fabio, Udo Die Staatsrechtlehre und der Staat. Paderborn (Schöningh-Verlag) 2003.
Vorheriger Fachbegriff: Demokratie | Nächster Fachbegriff: Demokratische Grundordnung