Chancengleichheit
demokratisch-sozialstaatlicher Grundsatz gleicher Startbedingungen und Teilhabemöglichkeiten im politischen und gesellschaftlichen Prozess. Dabei geht es insbesondere um die Rechtsstellung der politischen Parteien und das Verfassungsgebot gleicher Wahl (Wahlrechtsgrundsätze). Im freien Wettbewerb um die Stimmen des Wahlvolkes bedeutet Gleichheit der Wahl vor allem Chancengleichheit der konkurrierenden Kräfte. Daraus folgt freilich nicht eine Pflicht des Staates, die nach Mitgliederzahl, Vermögen usw. unterschiedlich starken Parteien durch faktische Ausgleichsmassnahmen zu egalisieren. Vielmehr bedeutet Chancengleichheit nur die grundsätzliche Unparteilichkeit und Neutralität des Staates gegenüber den bei der Parlamentswahl konkurrierenden Parteien.
Ein exemplarischer Anwendungsfall dieses Prinzips ist die Zuteilung von Sendezeiten durch öffentlich-rechtliche Rundfunk- und Fernsehanstalten. Bei dieser Art der Wahlpropaganda müssen nicht alle Konkurrenten im selben Umfang zu Wort kommen, vielmehr darf aus sachlichen Gründen differenziert werden nach der jeweiligen Bedeutung der Parteien. Zulässige Gesichtspunkte für die unterschiedliche Bemessung von Sendezeiten sind u.a. die Vertretung der Parteien im Parlament, ihre Beteiligung an der Regierung in Bund und Ländern sowie die Ergebnisse der vorhergehenden Wahlen. Allerdings müssen auch neue Parteien angemessen berücksichtigt werden.
Das durch die Gleichheitssätze (Art. 3 I und III) in Verbindung mit der Freiheit der Parteigründung (Art. 211) grundrechtlich geschützte Prinzip der formalen Chancengleichheit darf von der öffentlichen Gewalt nur aus zwingenden Rechtfertigungsgründen durchbrochen werden. Ein solcher Ausnahmetatbestand ist z.B. die mit der Existenz von Splitterparteien verbundene Gefahr der Funktionsunfähigkeit des parlamentarischen Regierungssystems. Diesem staatspolitischen Übel kann durch Sperrklauseln begegnet werden. Da die Chanchengleichheit der Parteien auf Grundrechten beruht, können einschlägige Verstösse der öffentlichen Hand mit der Verfassungsbeschwerde angefochten werden. Entschliesst sich der Gesetzgeber - wozu er von Verfassungs wegen nicht verpflichtet ist -, die Parteien mit öffentlichen Mitteln zu unterstützen (z.B. durch Wahlkampfkostenerstattung), so muss er dabei den Grundsatz der Chancengleichheit beachten.
Weitere Anwendungsfälle des Prinzips der Chancengleichheit liegen im Schutzbereich der Berufsfreiheit, wenn sich z.B. das Recht auf freie Wahl der Ausbildungsstätte unter Knappheitsbedingungen gegen den Staat richtet. Demgemäss müssen begrenzte Studienplatzkapazitäten an Universitäten und Hochschulen so verteilt werden, dass jeder Bewerber die gleiche Chance hat, überhaupt bzw. an einer Stätte seiner Wahl studieren zu können. Zulässige Auswahlkriterien sind dabei u. a. Abiturnoten, Testergebnisse, Wartezeiten und soziale Härtefälle.
Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes und des Grundsatzes der Gleichheit der Wahl (Wahlrechtsgrundsätze) für Wahlbewerber und die sie tragenden Parteien. Die Rechtsordnung muss jeder Partei und jedem Wahlbewerber grundsätzlich die gleichen Möglichkeiten im Wahlkampf und Wahlverfahren und damit die gleiche Chance im Wettbewerb um die Wählerstimmen gewährleisten. In Konkretisierung des Art. 38 GG sind nach § 5 ParteiG alle Parteien gleich zu behandeln, wenn ein Träger öffentlicher Gewalt den Parteien Einrichtungen zur Verfügung stellt oder andere öffentliche Leistungen gewährt. Der Umfang der Gewährung kann nach der Bedeutung der Parteien bis zu dem für die Erreichung ihres Zweckes erforderlichen Mindestmaß abgestuft werden (Prinzip der abgestuften Chancengleichheit, §5 Abs.1 S.2 ParteiG). Nach BVerfG, Beschl. v. 17. 4. 2008 — 2 BvL 4/05 — gilt dieser Grundsatz nicht nur zwischen Parteien untereinander, sondern auch im Verhältnis z. B. zu kommunalen Wählervereinigungen.
ist ein aus der Gleichheit vor dem Gesetz (Gleichheitssatz) und anderen Verfassungsbestimmungen (z. B. Art. 33 GG) folgender Grundsatz, der besagt, dass alle Bewerber um Teilhabe an politischer Macht (z. B. polit. Parteien), öffentlichen Einrichtungen, Ämtern und Leistungen im Wettbewerb stehen und gleiche Möglichkeiten haben müssen. Der Grundsatz hat je nach Rechtsgebiet verschiedenartige Ausprägungen (vgl. z. B. den finanziellen Chancenausgleich bei polit. Parteien). Besondere Bedeutung hat die C. bei Prüfungen; hier darf das Verfahren keinen Bewerber ohne sachl. Grund bevorzugen oder benachteiligen.
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