Gesamtschule gestörte
Der Begriff bezeichnet eine Konstellation, bei der es bei der Verletzung einer Person zwei Schädiger gibt, der Zweitschädiger aber aufgrund einer vertraglichen oder gesetzlichen Haftungsfreistellung nicht Gesamtschuldner wird. Dies führt vor allem zu Schwierigkeiten beim Regreß. Klassisches Beispiel ist an dieser Stelle die Verletzung eines Kindes durch einen Dritten, wobei auch dem beaufsichtigenden Elternteil der Vorwurf leichter Fahrlässigkeit zu machen ist. Wegen §§ 1664 I, 277 BGB scheidet ein Anspruch des Kindes gegen seine Eltern regelmäßig aus. Fraglich ist daher, in welcher Höhe der nicht freigestellte Zweitschädiger in Anspruch genommen werden kann bzw. wie es mit dessen Regreßmöglichkeit aussieht.
Die Rspr. hat früher in zahlreichen Fällen die Haftungsfreistellung außer Betracht gelassen und eine Gesamtschuld fingiert. Das Kind kann den Zweitschädiger voll in Anspruch nehmen und diesem wird aufgrund des fingierten Gesamtschuldverhältnisses eine Regreßmöglichkeit bei dem privilegierten Schädiger eröffnet, § 426 I, II BGB. Gegen diese Lösung zu Lasten des an sich freigestellten Gesamtschuldners bestehen aber Bedenken, da in diesem Fall die Eltern bei bloßer Mitverursachung schlechter stehen, als wenn sie den Schaden allein verursacht hätten. Denn dann käme § 1664 I BGB unstreitig zum Zug. Das Lösungsmodell der fingierten Gesamtschuld wird nicht dadurch besser, daß man den Eltern ihrerseits nun eine Regreßmöglichkeit gegenüber dem Kind aus Bereicherung eröffnet, da auch dieser Regreßkreisel unpraktikabel und wenig interessengerecht ist.
Weitgehend abgelehnt wird auch die Lösung zu Lasten des Zweitschädigers, die der BGH (BGHZ 103, 346) allerdings gerade für § 1664 BGB vertreten hat: Denn die volle Inanspruchnahme des Zweitschädigers ohne Regreßmöglichkeit gegenüber den Eltern ist ebenfalls unbillig, da auch er für den eingetretenen Schaden nicht alleine verantwortlich ist bzw. er auch für einen u.U. nur sehr kleinen Verursachungsbeitrag voll haften müßte. Hintergrund für die Entscheidung des BGH dürfte daher in erster Linie auch die Wahrung des Familienfriedens gewesen sein. Die h.L. löst den Konflikt bei der gestörten Gesamtschuld daher zu Lasten des Geschädigten, da dessen Schutzbedürftigkeit aufgrund der Haftungsfreistellung ohnehin abgewertet ist.
Indem der Anspruch gegen den Zweitschädiger analog § 254 I BGB automatisch um den Haftungsteil des freigestellten Gesamtschuldners gekürzt wird, erzielt man ein interessengerechtes Ergebnis und ein umständlicher Regreßkreisel wird vermieden.
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