Idealismus

steht — als Reaktion auf Empirismus, Rationalismus und Kritizismus — in der Kontinuität des abendländischen Geistes. Ideen sind der platonischen Definition gemäß rein geistiger Natur und dennoch voller Sachbestimmtheit. Die Kluft zwischen Bewusstsein und Ding an sich, Subjekt und Objekt, schließt sich in der Idee. Der Idealismus setzt alles Sein mit dem Sein des Geistes gleich, spricht allein dem Sein der Idee wahre Wirklichkeit zu. Sein Anliegen ist die Rettung der altererbten Werte der Wahrheit, der Sittlichkeit und der Religion gegenüber dem sich mit dem Empirismus erhebenden Skeptizismus, Utilitarismus und Materialismus. Teilweise wird der Idealismus auch als Versuch begriffen, das alte Programm der Metaphysik (Plato) mit der neu gewonnenen Gewissheit des Selbstbewusstseins und der zum Gegenstand empirischer, methodisch geregelter Naturwissenschaft gemachten Welt der Objekte zu versöhnen.
Im Unterschied zu Kants dualistischer Philosophie (Zwei-Welten-Theorie), in der Sein und Bewusstsein, Natur und Geist, Objekt und Subjekt, Reales und Ideales, Sein und Sollen streng geschieden sind, gibt es für Hegel nur eine Welt, die Welt des Geistes. Hegel versucht eine Verbindung von Antike und Christentum; der platonisch-christliche Geist seiner Geschichtsmetaphysik ist unübersehbar, sein Hohelied auf die Identität aller als Menschen ist keine Gelegenheitseuphorie; er beharrt auf Vernunft, nicht auf Herkommen und Tradition. Die Philosophie Hegels ist als Ganzes eine Philosophie des Rechts. Im Vordergrund stehen der Entwicklungsgedanke in Gestalt des dialektischen Prinzips, der Systemgedanke, die Einbeziehung der gesamten abendländischen Tradition.

Ist das Kanttche Gedankengebäude formal und abstrakt, so ist das Hegeltche System von einer beeindruckenden Konkretheit. Im Hinblick auf den Inhalt des Rechts enthält das Hegehehe System daher genaue „naturrechtlich” bestimmte Vorgaben, nach Welzel und Marcic die vollkommenste Gestalt einer materialen Naturrechtslehre. Hegels Rechtsphilosophie steht in Gegensatz zu der Kants wie auch zu der historischen Schule Savignys. Während Kant trennt (Recht und Moral; positives und natürliches Recht), fasst Hegel zusammen. Hegel ist in vielfacher Hinsicht der dialektische Gegensatz zu Kant. Hegel ist bemüht, eine Einheit zu schaffen zwischen Allgemeinheit und Besonderheit zum einen, zwischen objektiver Sittlichkeit und subjektiver Gesinnung zum anderen. Einzelinteresse und Gesamtinteresse werden versöhnt; Freiheit und Gehorsam stehen in einem spannungsfreien Verhältnis.
Die Sphäre des Rechts (Eigentums-, Vertrags- und Strafrecht) ist nur die Vorstufe der höheren Sphären von Moralität und Sittlichkeit. Der Staat ist die Wirklichkeit der konkreten Freiheit: Was vernünftig ist, das ist (wird) wirklich, und was wirklich ist, das ist (wird) vernünftig. Die Verbindung von Idee, Wirklichkeit und Vernünftigkeit ist als Forderung an die Einheit von Idee und Existenz zu verstehen, nicht als Realität.
Hegel begreift die Natur als dialektischen Entwicklungsprozess. In der Entfaltung des objektiven Geistes entfaltet sich das Reich der Freiheit. Sittlichkeit fasst Recht und Moral zusammen; der Staat ist die organische Synthese, in der Recht und Moral, Individuum, Familie und bürgerliche Gesellschaft in einer Einheit verbunden sind. Der Staat ist für Hegel lebendige Person; der Staat ist selbstbewusste sittliche Substanz (Apotheose des Staats). Es ist der Gang Gottes in der Welt, dass der Staat ist. Und in dem preußischen Staat seiner Zeit sieht er die Macht des Geistes verwirklicht.
„Und es ist insbesondere dieser Staat, der mich nun in sich aufgenommen hat, welcher durch das geistige Übergewicht sich zu einem Gewicht in der Wirklichkeit und im Politischen emporgehoben, sich an Macht und Selbstständigkeit solchen Staaten gleichgestellt hat, welche ihm an äußeren Mitteln überlegen gewesen wären. Hier ist die Bildung und die Blüte der Wissenschaften eines der wesentlichen Momente selbst im Staatsleben.” (Auszug aus der Antrittsrede bei Eröffnung seiner Vorlesungen in BerIM am 22. Oktober 1818)

In der Vorrede zu den Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse aus dem Jahr 1820 heißt es: So soll denn diese Abhandlung, sofern sie die Staatswissenschaft enthält, nichts anders sein als der Versuch, den Staat als ein in sich Vernünftiges zu begreifen und darzustellen. ... Das, was ist, zu begreifen, ist die Aufgabe der Philosophie, denn das, was ist, ist die Vernunft. Was das Individuum betrifft, so ist ohnehin jedes ein Sohn seiner Zeit; so erfasst die Philosophie ihre Zeit in Gedanken. ... Um noch über das Belehren, wie die Welt sein soll, ein Wort zu sagen, so kommt dazu ohnehin die Philosophie immer zu spät. Als der Gedanke der Welt erscheint sie erst in der Zeit, nachdem die Wirklichkeit ihren Bildungsprozess vollendet und sich fertig gemacht hat. Dies, was der Begrifflehrt, zeigt notwendig ebenso die Geschichte, dass erst in der Reife der Wirklichkeit das Ideale dem Realen gegenüber erscheint und jenes sich dieselbe Welt, in ihrer Substanz erfasst, in Gestalt eines intellektuellen Reichs erbaut. Wenn die Philosophie ihr Grau in Grau malt, dann ist die Gestalt des Lebens alt geworden, und mit Grau in Grau lässt sie sich nicht verjüngen, sondern nur erkennen; die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug.”
In den Grundlinien der Philosophie des Rechts entwickelt Hegel sein System einer „philosophischen Rechtswissenschaft”. In dialektischem Aufbau enthalten sie die Lehre vom objektiven Geist, wobei „das abstrakte Recht” die These, „die Moralität” die Antithese und „die Sittlichkeit” die Synthese bildet. Die Einleitung (§§ 1-32) hat den Begriff der Philosophie des Rechts, des Willens und der Freiheit zum Gegenstand. Der erste Teil (Das abstrakte Recht; §§ 34-104) behandelt Eigentum, Vertrag und Unrecht, der zweite Teil (§§ 105-141) befasst sich mit der Moralität (Vorsatz und Schuld, die Absicht und das Wohl sowie das Gute und das Gewissen). Der dritte Teil (Die Sittlichkeit; §§ 142-360) erörtert den „Zusammenschluss der
Individuen” in Familie, in der bürgerlichen Gesellschaft und im Staat. Bei all diesen Erörterungen sieht Hegel das Rechtssystem als das Reich der verwirklichten Freiheit. Das Eigentum ist die äußere Sphäre der Freiheit; der Vertrag ist die Verbindung zweier Willen als eines gemeinsamen; Unrecht ist die Negation der Freiheit.
Die Philosophie ist nach Hegel die Zeit in Gedanken gefasst; daher muss jede Zeit die alten Fragen neu durchdenken. Unter dieser Prämisse muss der Satz „Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig\' nicht in einem rechtfertigenden, sondern in einem kritischen Sinn ausgelegt werden. Dementsprechend heißt es in der philosophischen Propädeutik: „In der Wirklichkeit schläft die Zukunft. Die Wirklichkeit ist zugleich die Möglichkeit des Folgenden. Der Staat ist seiner Funktion (nicht der Wirklichkeit) nach die „Wirklichkeit der sittlichen Idee”, und seine Gesetze (also die des idealen Staates) sind das richtige Recht der Vernunft, dem zu gehorchen Ausdruck der Freiheit ist”. Für Hegel bedeutet „Wirklichkeit” etwas Höheres als bloße „Existenz”, für ihn ist „wirklich” das, worin die Idee wirksam ist. Wirklichkeit ist in der Sprache Hegels der Ausdruck für die dialektische Einheit von Wesen und Erscheinung, von Idee und Existenz.
Welzel, Hans: Naturrecht und materiale Gerechtigkeit. Göttingen (Vandenhoeck und Ruprecht-Verlag) ^1962. Marcic, Ryn(. Hegel und das Rechtsdenken im deutschen Sprachraum. Salzburg (Pustet-Verlag) 1970. Seubold: Hegels „Aufhebung” des Naturrechts, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie (ARSP). Wiesbaden/Stuttgart (Steiner-Verlag) 1998.




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