Rechtsphilosophie
will wie die allgemeine Philosophie eine Sinndeutung der menschlichen Existenz vornehmen und daraus Ziele des Handelns ableiten;
i. G. zur allg. R. erfasst die R. jedoch nur einen kleinen Ausschnitt aus der Welt des Menschen; nicht sein gesamtes Sein ist ihr Gegenstand, sondern nur die sozialen Ordnungen, die er sich gibt; der ganze Bereich des rein Persönlichen liegt ausserhalb ihrer Fragestellung (Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie). In der Vergangenheit beherrschte vor allem die Naturrechtslehre (Naturrecht) die R., an deren Ausgestaltung vor allem Hugo Grotius, Samuel von Pufendorf und Christian Wolff Anteil hatten; den naturrechtlichen Lehren trat der von Auguste Comte begründete Rechtspositivismus (positives Recht) entgegen. Gegenwärtig ist die R. bemüht, den Rechtspositivismus zu überwinden. Eine besondere Bedeutung kommt dabei der Wertphilosophie, aber auch der Existenzphilosophie zu, die zu einer vertieften Einsicht in ein Naturrecht als Wesensrecht der menschlichen Natur geführt haben; Reine Rechtslehre.
ist die Lehre von den Grundfragen und Grundwerten des Rechts. Sie ist ein Teil (der Rechtswissenschaft wie) der Philosophie. Ihre Hauptanliegen betreffen die Herkunft, das Wesen und die Gerechtigkeit des Rechts bzw. die Möglichkeiten einer rationalen Begründung nichtpositiver Richtigkeitsgarantien und die Bestimmung einer sinnvollen Begrenzung rechtlicher Regelungen. Lit.: Zippelius, R., Rechtsphilosophie, 5. A. 2007; Coing, H., Grundzüge der Rechtsphilosophie, 5. A. 1993; Seelmann, K., Rechtsphilosophie, 3. A. 2004; Horn, N., Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, 3. A. 2004; Braun, J., Rechtsphilosophie im 20. Jahrhundert, 2001; Mayer-Maly, T., Rechtsphilosophie, 2001; Rechtsphilosophie, hg. v. Pfordten, D. von der, 2002; Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, hg. v. Kaufmann, A./Hassemer, W., I.A. 2004; Osterkamp, T., Forum Rechtsphilosophie, JuS 2004, 657
(Rechtsethik), die insbesondere von der Allgemeinen Rechtslehre und der Rechtstheorie zu unterscheiden ist, diskutiert Rechtswerte, die zu einem vernünftigen Gemeinwesen i. S. eines „bonuni commune” führen; die Rechtsphilosophie orientiert sich an Grundwerten, wie Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Die Rechtsphilosophie antwortet daher nicht nur auf die Fragen, wo das Recht herkommt und wie die Regeln für ein Leben in Gerechtigkeit beschaffen sein können, sondern hat auch Vorschläge für ein „richtiges Recht” zu machen, ohne dadurch zur Ideologie zu werden. Rechtsphilosophie ist nicht deskriptive Rechtsgeschichte. Die Rechtsgeschichte befasst sich auch mit der Geschichte der Rechtsphilosophie; die Rechtsphilosophie geht aber über die rein beschreibende Rechtsgeschichte weit hinaus.
Die Antwort auf die Frage, wie das Recht beschaffen sein kann, ist abhängig von dem jeweiligen Menschenbild, von der Struktur der Gesellschaft, von der Stellung des Menschen in der Gesellschaft und von dem Verhältnis der Menschen zueinander. Entsprechend differenziert sind die Vorstellungen über Recht und Gerechtigkeit. Das Recht und die philosophische Reflexion über das Recht sind wie alles menschliche Wirken geschichtlichem Wandel unterworfen. Jede Rechtsphilosophie ist Ausdruck ihrer Zeit; jede Zeit entwickelt ihre eigene Rechtsphilosophie. Platon und Aristoteles haben für ihre Zeit in ähnlicher Weise die richtige Antwort gegeben wie Max Weber und Hans Kelsen in der ihrigen. Die Rechtsphilosophie ist eingebunden in die allgemein-philosophischen Entwicklungen. Die Wertvorstellungen, wie sie in der allgemeinen Philosophie entwickelt werden, finden regelmäßig auch Eingang in die Rechtsphilosophie. Die Rechtsphilosophie ist abhängig von der Struktur der jeweiligen Gesellschaft und deren Menschenbild (z.B. Sklavenhaltung; Elternmord bei den Maori); die Rechtsphilosophie im demokratischen Rechtsstaat hat eine andere Gestalt als die im hellenistischen Ständestaat oder in der mittelalterlichen Feudalgesellschaft. Ein weltanschaulicher Pluralismus wirkt unmittelbar auf die Rechtsphilosophie ein; die Rechtsphilosophie wird bestimmt von den allgemeinen Wertvorstellungen der Gesellschaft; so kann der Gedanke des Schutzes der Umwelt für eine ökologisch gefärbte Rechtsphilosophie fruchtbar gemacht werden.
Die Rechtsphilosophie kann mit ihren theoretischen und praktischen Erkenntnissen über den Gesetzgeber und die Justiz auf das gesetzte (positive) Recht einwirken. Neben der Rechtsphilosophie steht die Rechtspolitik und die (besondere) Rechtswissenschaft. Die Rechtswissenschaft betreibt die wissenschaftliche (forschende) Aufbereitung des (geltenden) Rechts unter verschiedenen Aspekten, wobei die allgemeine Rechtslehre (Rechtstheorie)
sowohl Teil der allgemeinen Rechtswissenschaft wie auch der Rechtsphilosophie ist. Rechtsphilosophie ist der „Uberbau” des Rechts; die Rechtsphilosophie bildet eine Brücke zwischen dem positiven Recht und den anderen Kulturerscheinungen. Die Rechtsphilosophie befasst sich weniger mit den Einzelheiten als vielmehr mit den richtungsweisenden Grundlinien. Rechtsphilosophie bewegt sich daher auf einer anderen Ebene als die einfache Rechtsanwendung. Erkenntnisse der Rechtsphilosophie können den Gesetzgeber und das positive Recht bestimmen. Die Rechtsphilosophie ist jedoch nicht in der Lage, (positives) Recht zu verdrängen. Positives Recht und Rechtsphilosophie sind zu trennen.
Rechtsphilosophie ist nicht zweckfrei. Sie muss darauf gerichtet sein, durch Reflexion und Nachdenken die Wirklichkeit (das positive Recht und seine Wirkungen) zu beobachten und (ggf. und in dem dafür vorgesehenen Verfahren) zu verbessern. Der Philosophie des Rechts obliegt es damit auch, die Institutionen von Recht und Staat als Erscheinungen der Wirklichkeit zu untersuchen, zu verstehen und zu entwickeln. Recht ist nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck; das Recht hat eine dienende Funktion. Recht soll gewährleisten, dass der Mensch ein seiner Existenz entsprechendes Dasein führen kann; dazu schafft das Recht den äußeren Rahmen und die äußeren Bedingungen.
Rechtsphilosophische Postulate sind in die Verfassung (Grundgesetz) übernommen worden. Die auf dem aufklärerischen Naturrecht beruhende rechtsphilosophische Reflexion über die Stellung des Menschen im Staat und die Notwendigkeit der Kontrolle sind heutzutage in den meisten europäischen Staaten kodifiziert. Rechtsphilosophisch begründete Ansprüche sind verfassungsrechtlich normiert und besitzen unmittelbare Geltung auch für den Gesetzgeber. Die Verfassung ist in ihrem Grundrechtsteil konkretisierte Rechtsphilosophie. Die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit, Eigentum, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Sozialstaatlichkeit — all diese Elemente könnten einem Lehrbuch der Philosophie entnommen sein. Der „Verrechtlichung” der Verfassung liegt die Kantsche Trennung von Moralität und Legalität zugrunde.
Zippelius, Reinhold: Rechtsphilosophie. München (BeckVerlag) ,2007. Hofmann, Hasso, Einführung in die Rechts- und Staatsphilosophie. Stuttgart (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 32006. Horn, Norbert: Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie. Heidelberg (C.E Müller Verlag) .42007. Kriele, Martin: Grundprobleme der Rechtsphilosophie. Münster (LIT-Verlag) 2003. Kunz, Karl-Ludwig/ Mona, Martino. Rechtsphilosophie, Rechtstheorie, Rechtssoziologie. Bern (Haupt-Verlag) 2006. Weber-Gellet, Heinrich: Rechtsphilosophie und Rechtstheorie. Münster (Alpmann Schmidt) 42009.
ist der Zweig der allgemeinen Philosophie, der sich mit der Herkunft und dem Grund des Rechts, seinem Wesen und Inhalt und seinem Zweck befasst. Zum inneren Bereich der R. gehören die Rechtswertlehre, die Bedeutung und Funktion des Rechts als solchen behandelt, und die Rechtsprinzipienlehre oder Allgemeine Rechtslehre, d. h. die Lehre von den Grundbegriffen des Rechts (z. B. Anspruch, Verwirkung, Prozessrechtsverhältnis). Die bedeutendsten Richtungen der R. sind: die Naturrechtslehre, die historische Rechtsschule, die Allgemeine Rechtslehre, die als selbständige Richtung durch Untersuchung der allgemeinen Rechtsbegriffe eine Erkenntnis vom Wesen des Rechts zu gewinnen sucht (unter Anlehnung an den Rechtspositivismus), und in neuerer Zeit das Wiederaufleben naturrechtlicher Gedanken, z. T. unter Abkehr von jeder theologischen Grundlage, z. T. unter dem Einfluss der Existenzphilosophie (Erkenntnis des Wesens des Rechts vom „Sein“ her, nicht vom „Sollen“). Die Auffassungen über die Entstehung des Rechts werden von den rechtsphilosophischen Grundanschauungen entscheidend beeinflusst; das tritt insbes. in den unterschiedlichen Ansichten der Anhänger des Naturrechts und der historischen Rechtsschule zutage. Weitere Unterschiede offenbaren sich in den Grundauffassungen über die intuitive Rechtsschöpfung oder die rationale Konstruktion des Rechts. Das Wesen des Rechts wird heute zunehmend von seiner sozialen Funktion her gesehen und aus seinem Zweck abgeleitet, soziale Ordnungen aufrechtzuerhalten und auszugestalten; danach beruht das Recht auf dem gemeinschaftsbildenden Willen einer Gruppe von Menschen, ihrem Streben nach Zusammenschluss und Ordnung der Gemeinschaftsverhältnisse. S. a. Rechtssoziologie.
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