Schwangerschaftsabbruch (Abtreibung)

ist die vorsätzliche Tötung einer vorgeburtlichen menschlichen Leibesfrucht.

1. Die Strafbarkeit des S. soll das ungeborene Leben schützen. Sie beginnt aber erst mit Abschluss der Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutter (Nidation). Vor diesem Zeitpunkt ist ein S. im Sinne des StGB nicht möglich (§ 218 I 2 StGB), also straffrei. Für die Zeit danach galten im BGebiet ab 3. 10. 1990 auf Grund des Einigungsvertrages unterschiedliche Regelungen, wann der S. straflos ist.

a) In den alten Ländern bestand die Indikationslösung. Straflosigkeit trat ein bei medizinischer Indikation (Abwendung einer Gefahr für das Leben oder einer Gefahr einer schwerwiegenden körperlichen oder seelischen Gesundheitsbeeinträchtigung der Schwangeren), darüber hinaus innerhalb bestimmter Fristen bei embryopathischer oder eugenischer Indikation (Erwartung einer schwerwiegenden, unbehebbaren und der Schwangeren nicht zumutbaren Schädigung des Kindes auf Grund Erbanlage oder schädlicher Einflüsse vor der Geburt), kriminologischer oder ethischer Indikation (Schwangerschaft auf Grund einer Sexualstraftat nach §§ 176-179 StGB) und sozialer Indikation (schwerwiegende, unabwendbare Notlage der Schwangeren, auf Grund deren die Fortsetzung der Schwangerschaft nicht verlangt werden kann).

b) In den neuen Ländern galt dagegen eine Fristenlösung. Straflosigkeit bestand bei einem S. binnen 12 Wochen seit der Empfängnis, nach der 12. Woche bei einer Gesundheitsgefährdung der Schwangeren. Diese blieb in jedem Fall straflos.

c) Der Gesetzgeber versuchte, einheitliche Vorschriften für den S. im Schwangeren- und FamilienhilfeG (SFHG) vom 27. 7. 1992 (BGBl. I 1398), das eine modifizierte Fristenregelung mit obligatorischer Beratung enthielt, zu schaffen. Das BVerfG erklärte jedoch mit Urteil vom 28. 5. 1993 (NJW 1993, 1751) mehrere Bestimmungen des Gesetzes für nichtig, insbes. die Regelung über die Straflosigkeit des S. und über die Beratung der Schwangeren. Nach Auffassung des BVerfG ist der S. grundsätzlich Unrecht. Es besteht daher ein grundsätzliches Verbot des S. und eine grundsätzliche Pflicht der Mutter zum Austragen des Kindes. Dem Gesetzgeber sei es aber grundsätzlich nicht verwehrt, zu einem Konzept für den Schutz des ungeborenen Lebens überzugehen, das den Schwerpunkt auf die Beratung der Schwangeren legt, um sie für das Austragen des Kindes zu gewinnen, und dabei auf eine indikationsbestimmte Strafdrohung und die Feststellung von Indikationstatbeständen durch einen Dritten verzichtet. Ein solches Beratungskonzept müsse positive Voraussetzungen für ein Handeln der Schwangeren zugunsten des ungeborenen Lebens schaffen. Der Staat trage für das Beratungskonzept die volle Verantwortung. Ein S. ohne Feststellung einer Indikation nach der Beratungsregelung dürfe nicht als gerechtfertigt (nicht rechtswidrig) erklärt werden.

2. Nach Erlass des Schwangeren- und FamilienhilfeÄndG vom 21. 8. 1995 (BGBl. I 1050) gilt Folgendes:

a)
Der S. ist grundsätzlich verboten und rechtswidrig. Für die Schwangere ist der S. (auch Zulassung des S. durch einen anderen) mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 1 Jahr bedroht; der Versuch ist für sie nicht strafbar (§ 218 III, IV 2 StGB), ebenso der S. unter bestimmten Voraussetzungen (§ 218 a IV 1, § 218 b I 3, § 218 c I).
Für andere ist der S. mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren bedroht; bei besonders schweren Fällen, insbes. S. gegen den Willen der Schwangeren oder leichtfertiger Gefahr des Todes oder einer schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigung für die Schwangere droht Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 5 Jahren; der Versuch ist strafbar (§ 218 I, II, IV 1 StGB). Nach § 5 Nr. 9 StGB ist auch ein S. im Ausland strafbar, wenn der Täter ein Deutscher aus der BRep. ist (Auslandsdelikte, Geltungsbereich des Strafrechts). Strafbar ist auch ein S. ohne Feststellung der eigentlich vorliegenden medizinischen oder kriminologischen Indikation oder eine unrichtige ärztliche Feststellung einer solchen Indikation (§ 218 b I 1, 2 StGB). Strafbar sind auch bestimmte ärztliche Pflichtverletzungen bei einem S. (§ 218 c I StGB), wenn der Arzt z. B. der Schwangeren keine Gelegenheit zur Begründung ihres Verlangens oder keine Aufklärung über den Eingriff gegeben hat.

b)
Der Tatbestand des S. ist nicht verwirklicht, wenn die Schwangere den S. verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung einer anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle ihre Beratung gemäß § 219 StGB mindestens 3 Tage vor dem Eingriff nachgewiesen hat und der S. von einem Arzt binnen 12 Wochen seit der Empfängnis vorgenommen wird (Beratungsregelung, § 218 a I StGB).

c)
Der ärztliche S. mit Einwilligung der Schwangeren ist nicht rechtswidrig bei Vorliegen einer sozial-medizinischen Indikation (§ 218 a II StGB) ohne zeitliche Begrenzung und gilt als nicht rechtswidrig bei Vorliegen einer kriminologischen Indikation binnen 12 Wochen seit der Empfängnis (§ 218 a III StGB). Eine embryopathische Indikation ist nicht ausdrücklich vorgesehen. Bei ihr ist ein S. aber nicht rechtswidrig, wenn zugleich die Voraussetzungen einer medizinischen Indikation vorliegen. Die soziale Indikation ist weggefallen; bei ihr kann aber § 218 a I StGB und u. U. § 218 a II StGB eingreifen.

3. Die Einzelheiten des Vorgehens zur Vermeidung und Bewältigung eines S. regelt das SchwangerschaftskonfliktG vom 27. 7. 1992 (BGBl. I 1398) m. Änd. Es gibt jeder Frau und jedem Mann Anspruch auf umfassende Beratung in allen berührten Fragen. Die Beratung ist ergebnisoffen zu führen und dient dem Schutz des ungeborenen Lebens. Die Länder haben ein ausreichendes Angebot von Einrichtungen zur Vornahme von S. sicherzustellen.

4. Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung und mitversicherte Familienangehörige haben Anspruch auf ärztliche Beratung über Fragen der Empfängnisregelung. Zur ärztlichen Beratung gehören auch die erforderliche Untersuchung und die Verordnung von empfängnisregelnden Mitteln. Darüber hinaus besteht ein Anspruch auf Leistungen bei einem nichtrechtswidrigen Abbruch der Schwangerschaft durch einen Arzt (§§ 24 a und 24 b I, II SGB V, § 8 KVLG 1989). Bei einem S. nach der Beratungsregelung besteht ebenfalls Anspruch auf Leistungen; davon sind aber die Vornahme des S. und die Nachbehandlung ausgenommen (§ 24 b III SGB V). Bei Bedürftigkeit hat die Frau nach dem Ges. zur Hilfe für Frauen bei S. in besonderen Fällen gem. dem Ges. vom 21. 8. 1995 (BGBl. I 1054) Anspruch auf Leistungen, die bei einem S. nach der Beratungsregelung auch den Eingriff selbst umfassen. Die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung übernehmen die Kosten nach diesem Ges., die ihnen von den Ländern zu erstatten sind. Die Kosten für ärztlich verordnete empfängnisregelnde Mittel, die in diesem Ges. nicht erfasst sind, werden u. U. von der Sozialhilfe übernommen (§ 49 SGB XII).

5.
Ein fehlgeschlagener S., der zu einem ungewollten Kind führt, kann einen ärztlichen Behandlungsfehler darstellen, der den Arzt zum Ersatz des Schadens, der im Unterhaltsanspruch des Kindes besteht, verpflichten kann, wenn Schutzzweck des Vertrages die Vermeidung einer Unterhaltsbelastung ist und der S. gemäß § 218 II oder III StGB rechtmäßig gewesen wäre.




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