Doppelirrtum

, Strafrecht: Kumulation mehrerer Irrtümer bei derselben Tat. Die wichtigsten Erscheinungsformen: Tatbestandsebene:
Der Täter kennt einen objektiven Tatumstand nicht, stellt sich aber irrtümlich einen anderen Umstand vor, der denselben Tatbestand erfüllen würde.
Beispiel: Der Erwerber einer gestohlenen Sache weiß nichts von der Diebstahlsvortat, glaubt aber dass die Sache vom Vortäter durch Betrug erlangt worden sei.
Hier erlaubt die Lit. eine juristische Kompensation der Unkenntnis durch die irrige Annahme und bejaht den Vorsatz jedenfalls dann, wenn der objektive Tatbestand eine generalisierende Auffangklausel enthält, durch die die Gleichwertigkeit der fehlenden und der irrigen Vorstellung zum Ausdruck kommt. Im Beispielsfall ist danach der Hehlereivorsatz zu bejahen, weil §259 StGB nicht nur den Diebstahl als Vortat verlangt, sondern generalisierend jede gegen fremdes Vermögen gerichtete Vortat ausreichen lässt.
Der Täter kennt aufgrund eines Sachverhaltsirrtums einen Umstand nicht, der ein Tatbestandsmerkmal ausfüllt, glaubt aber aufgrund eines Rechtsirrtums, der von ihm vorgestellte Sachverhalt erfülle gleichwohl das fragliche Merkmal.
Beispiel: Der Wilderer verwechselt die Artenzugehörigkeit des von ihm erlegten Tieres. Er weiß deshalb nicht, dass das von ihm erlegte Tier einer Art angehört, die dem Jagdrecht untersteht. Er meint aber rechtsirrig, dass die Tierart, die er annimmt, jagdrechtlich geschützt sei, und hält sein Verhalten - im Ergebnis zutreffend - für strafbar (Mauswiesel-Fall).
Die überwiegende Auffassung vertritt eine Gesamtbetrachtung. Entscheidend sei, dass durch den Doppelirrtum letztlich doch das mit der objektiven Lage übereinstimmende Vorstellungsbild in dem Täter erzeugt worden sei. Danach begründet der Doppelirrtum die Vorsatzstrafbarkeit. Die Gegenauffassung betont, dass eine an sich straflose, weil wahnhafte Verkennung der Rechtslage keine strafbegründende Bedeutung erlangen könne, denn letztlich bleibe dem einem Doppelirrtum verhafteten Täter das „richtige” Unrecht seines Verhaltens doch verborgen. Nach dieser Ansicht handelt der Täter hinsichtlich der verwirklichten Tat im Tatbestandsirrtum, der gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 StGB die Vorsatztat insoweit ausschließt.
Rechtfertigungsebene:
Der Täter stellt sich in Verkennung der Tatsachenlage einen an sich rechtfertigungsfähigen Sachverhalt vor, überschreitet jedoch zusätzlich die Grenzen des Erlaubnissatzes und nimmt trotzdem rechtsirrig an, sich immer noch im zulässigen Rahmen zu bewegen.
Beispiel: Der Täter glaubt, das vor ihm stehende Kind wolle ihn mit einem Stock schlagen. Tatsächlich will das Kind den Erwachsenen nur erschrecken. Zur „Selbstverteidigung” schlägt der Erwachsene das Kind nieder, obwohl ein Ausweichen möglich und auch bei realem Angriff geboten gewesen wäre, weil gegenüber Kindern das Rechtsbewährungsprinzip der Notwehr nur eingeschränkt gilt.
In diesem Fall liegt nach allgemeiner Ansicht kein Erlaubnistatbestandsirrtum vor, weil dieser voraussetzt, dass sich der Täter Umstände vorstellt, die die konkrete Handlung rechtfertigen würden. Das ist wegen der Überschreitung der Rechtfertigungsgrenzen aber gerade nicht der Fall. Gegeben ist bei solchen Doppelirrtümern vielmehr nur ein nach § 17 StGB zu behandelnder Erlaubnisirrtum.




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