Nulla poena sine lege
(lat. "keine Strafe ohne Gesetz").
(Keine Strafe ohne Gesetz), Kurzformel für ein mehrschichtiges Grundrecht im Bereich der Strafjustiz. Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde (Art. 103 II). Diese für die Aktualisierung des Rechtsstaates im Strafrecht grundlegende Verfassungsnorm enthält mehrere Verbote und Gebote.
Sie verbietet einerseits eine rückwirkende oder analoge oder gewohnheitsrechtliche Begründung der Strafbarkeit oder der Strafverschärfung von Taten. Andererseits gebietet sie geschriebene Straftatbestände, und zwar durch hinreichend bestimmtes Gesetz. Nullum crimen sine lege (Kein Straftatbestand ohne Gesetz) ist das rechtsstaatliche Ausgangsprinzip der verschiedenen Schutzwirkungen des Nulla-poena-sine-lege-Grundsatzes. Die vom GG vorgeschriebene strikte Gesetzesgebundenheit des Strafrechts gilt nicht nur für Kriminalstrafen und Ordnungswidrigkeits-Sanktionen, sondern grundsätzlich auch für Disziplinarstrafen und standesgerichtliche Strafen.
Gesetz im Sinne des Art. 103 II GG ist nicht nur das förmliche Parlamentsgesetz, sondern jede gültige geschriebene Rechtsnorm. Daher können z.B. vorschriftsmässig zustande gekommene Rechtsverordnungen oder Gemeindesatzungen wirksame Strafbestimmungen enthalten. Da die Strafbarkeit vor der Tat gesetzlich bestimmt gewesen sein muss, ist der Gesetzgeber verpflichtet, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so genau zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände hinreichend klar erkennbar sind. Der Einzelne soll nicht nur wissen können, was bei Strafe verboten ist, sondern auch, mit welcher Strafe er gegebenenfalls zu rechnen hat.
Das Nulla-poena-sine-lege-Prinzip schliesst die Begründung von Straftatbeständen durch Gewohnheitsrecht oder im Wege der Analogie aus. Es enthält überdies ein absolutes Rückwirkungsverbot. Verfassungswidrig sind sowohl rückwirkend-strafbegründende als auch rückwirkend-strafverschärfende Gesetze. So ist der Bürger davor geschützt, dass ein bisher erlaubtes Verhalten nachträglich für strafbar erklärt wird oder dass der Unrechtsgehalt eines von ihm begangenen Verstosses später strenger bewertet wird als zur Zeit der Tat.
= keine Strafe ohne Gesetz. Strafrecht.
Garantiefunktion des Strafgesetzes.
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