kollektive Sicherheit

Art.1 Nr. 1 UN-Charta statuiert den Weltfrieden und die Wahrung der internationalen Sicherheit als vorrangiges Ziel der UN. Die UN-Mitglieder verzichten auf die individuelle Anwendung von Gewalt und übertragen diese auf den Sicherheitsrat, der die „Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit” (Art. 24 I UN-Charta) trägt.
Die Zentralisierung rechtlich legitimierter Zwangsgewalt ist mit einer Ausnahme verbunden: dem Fall der Selbstverteidigung. So behält Art. 51 UN-Charta den Staaten das Recht auf Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe bis zum Einschreiten des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vor.
Zur Erfüllung seiner Aufgaben werden dem Sicherheitsrat unterschiedliche Mittel an die Hand gegeben: Die „friedliche Beilegung von Streitigkeiten” (Kapitel VI UN-Charta) sowie „Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen” (Kapitel VII UN-Charta). Die „friedliche Beilegung von Streitigkeiten” umfasst Verhandlungen, Untersuchungen, Vermittlungen, Vergleiche, Schiedssprüche, gerichtliche Entscheidungen, wobei die Charta explizit auf den Internationalen Gerichtshof (IGH) verweist (Art.36 Abs. 3 UN-Charta), Inanspruchnahme regionaler Einrichtungen, Abmachungen oder andere friedliche Mittel eigener Wahl, die die beteiligten Streitparteien zunächst von sich aus anstreben sollen, zu denen sie aber auch vom Sicherheitsrat aufgefordert werden können. Nach Kapitel VII entscheidet der Sicherheitsrat für alle Mitgliedstaaten der Organisation verbindlich, ob ein Anlassfall kollektiver Sicherheit vorliegt, d. h. die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 39 UN-Charta erfüllt sind. Stellt der Sicherheitsrat eine Friedensbedrohung, einen Friedensbruch oder gar eine Angriffshandlung nach Art. 39 fest, so verfügt er über die Kompetenz, verbindliche Anordnungen zu treffen.
Konkret nennt die Charta folgende Instrumente:
1) Empfehlungen nach Art. 39 UN-Charta, wobei der Sicherheitsrat die Verbindlichkeit selbst festlegt.
2) Vorläufige Maßnahmen nach Art. 40 UN-Charta: Um einer unnötigen Verschärfung der Lage vorzubeugen, kann der Sicherheitsrat die Konfliktparteien aufrufen, vorläufigen Maßnahmen Folge zu leisten. Die Rechte, Ansprüche und die Stellung der beteiligten Parteien bleiben dadurch jedoch unberührt.
3) Nichtmilitärische Zwangsmaßnahmen nach Art. 41 UN-Charta: Um seinen Beschlüssen und Aufforderungen Nachdruck zu verleihen, kann der geheim Sicherheitsrat Zwangsmaßnahmen wie Wirtschafts-, Post-, Telekommunikations- und Verkehrssanktionen verhängen und den Abbruch der diplomatischen Beziehungen verordnen. Mit dieser Isolation soll der Aggressor an der Erreichung seiner Ziele gehindert werden, wobei der Sicherheitsrat hier nicht nur in
dessen Souveränität eingreift, sondern auch die aller
übrigen UN-Mitgliedstaaten einschränkt, haben diese die entsprechenden Maßnahmen doch ebenfalls zu implementieren.
4) Militärische Zwangsmaßnahmen nach Art.42 UN-Charta: Beurteilt der Sicherheitsrat die genannten Maßnahmen als unzulänglich, so kann er den Einsatz von See-, Luft- und Landstreitkräften beschließen. Die Möglichkeiten reichen dabei von reinen Machtdemonstrationen bis hin zum massiven Truppeneinsatz. Eigene Streitkräfte besitzen die UN nicht, sodass die Mitgliedstaaten nach Art. 43 UN-Charta dem Sicherheitsrat auf Ersuchen Streitkräfte zur Verfügung stellen, Beistand leisten und Erleichterungen einschließlich des Durchmarschrechts gewähren sollen.
Während des „Kalten Krieges” wirkten sich die Unstimmigkeiten zwischen den beiden großen Blöcken „Ost” und „West” stark auf die Handlungsfähigkeit des Sicherheitsrates aus. Die Friedenssicherung nach Kapitel VII UN-Charta blieb infolge des Vetorechts der ständigen Mitglieder (Sicherheitsrat der Vereinten Nationen) nahezu ungenutzt. Um trotz der Blockade über ein funktionierendes Instrument zur Friedenssicherung zu verfügen, verabschiedete die Generalversammlung am 30. November 1950 die „Uniting-for-Peace-Resolution”. Danach übertrug sich die Generalversammlung für den Fall des Versagens des Sicherheitsrates mangels Einstimmigkeit dessen Kompetenzen. So gefasste Beschlüsse haben allerdings keinen verbindlichen Charakter, sondern stellen bloße Empfehlungen dar, die in Form von Resolutionen ergehen.
Unter Generalsekretär Hammarskjöld entstand 1953 das Instrument der Peacekeeping-Missionen. Diese Missionen haben die gewaltfreie Stabilisierung von Krisensituationen durch die Stationierung von Blauhelmtruppen zum Ziel und bedürfen der Zustimmung der beteiligten Konfliktparteien. Den nur zur Selbstverteidigung bewaffneten Truppen kommt inzwischen ein breites Spektrum an Aufgaben zu. Als mit Beendigung des Ost-West-Konfliktes auch die gravierende Blockade der Arbeit des Sicherheitsrates aufgehoben war, beauftragte der Sicherheitsrat Generalsekretär Boutros-Ghali 1992 mit der Ausarbeitung der „Agenda for Peace”, um der neuen Situation gerecht zu werden. Sie definiert vier teilweise schon vorher gebräuchliche Begriffe, die zusammen ein umfassendes System der Friedenserhaltung und -schaffung bilden:
1) Vorbeugende Diplomatie (preventive diplomacy) soll durch diplomatische Gespräche, vertrauensbildende Maßnahmen aber auch den vorbeugenden Einsatz von UN-Truppen das Entstehen von Streitigkeiten verhindern;
2) Friedensschaffung (peacemaking diplomacy) umfasst die Maßnahmen nach Kapitel VI und VII der UN-Charta, mit denen die Streitparteien nach Ausbruch eines Konfliktes zur Einigung bewegt werden können;
3) Friedenssicherung (peacekeeping diplomacy), also die Stabilisierung der Lage in einem Konfliktgebiet
oder die Durchsetzung bzw. Überwachung von Vereinbarungen zwischen Konfliktparteien;
4) Friedenskonsolidierung (peacebuilding diplomacy), d. h. die Nachbetreuung eines Konfliktes, in der die Konfliktparteien bei einem friedlichen Wiederaufbau unterstützt werden. Die „Agenda for Peace” hat bislang jedoch allein empfehlenden Charakter.




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