Pandektistik
ist in der Rechtsgeschichte die auf den Pandekten aufbauende (romanistische) Rechtswissenschaft des 19. Jh.s. Lit.: Henkel, T., Begriffsjurisprudenz und Billigkeit, 2003
im 19.P. dominierender Wissenschaftsstil im Umgang mit dem römischen Recht (sog. Pandektenwissenschaft).
Unter teilweiser Ablösung von der rein historischen Erforschung der Rechtsquellen (sog. Historische Rechtsschule), rückte vor allem Georg Friedrich Puchta (1798-1846), Schüler Friedrich Carl von Savignys (1779-1861), die systematische Seite der Lehre Savignys in den Vordergrund. Es entstanden in der Folgezeit Pandektenlehrbücher, die dem Zweck dienten, für die Praxis und den akademischen Unterricht eine entscheidungstaugliche und in einem klaren System angeordnete Darstellung des „heutigen” römischen Rechts zu liefern. Hatte man in der Anordnung dabei zunächst noch das Institutionensystem
verwendet (personae — res — actiones), so entwickelte sich unter dem Einfluss Savignys das sog. Pandektensystem, nämlich die im —) Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) zum Ausdruck kommende Einteilung in fünf Bücher.
Ab den 50er-Jahren des 19. Jh. wurde diese Richtung als rechtswissenschaftlicher Positivismus und Begriffsjurisprudenz bezeichnet. In Anlehnung an den philosophischen Positivismus und die Naturwissenschaften stellte sich die Überzeugung ein, dass Recht allein aus den Begriffen und dem System der Rechtssätze herzuleiten sei. Rudolph v. Jhering (1818-1892) suggerierte mit dieser „naturhistorischen Methode” eine ähnliche Wissenschaftlichkeit und Unparteilichkeit wie die naturwissenschaftlicher Forschungen. Bernhard Windscheids (1817-1892) Pandekten-Lehrbuch (1. Aufl. 1862) fasste das gemeine Recht zusammen und hatte bestimmenden Einfluss auf die Praxis und die BGB-Entstehung (Bürgerliches Gesetzbuch). Die als überspitzt empfundenen juristischen Konstruktionen der Pandektenwissenschaft führten in den 1880er-Jahren zur Kritik. Jhering selbst spottete über das Streben nach dem juristischen Begriffshimmel und betonte den „Zweck als Schöpfer des Rechts”. Die scharfe Kritik an der Pandektenwissenschaft durch die Freirechtsschule und Interessenjurisprudenz hat ein verzerrtes Bild dieser Epoche geschaffen, das ihre Vertreter als Mathematiker des Rechts ohne Sinn für Gerechtigkeit und Verfechter eines lebensfernen Richters als „Subsumtionsautomaten” zeigt. Neuere Forschungen haben indes hervorgebracht, dass die Begriffsjuristen selbst sich über die Grenzen wertungsfreier Rechtsfindung im Klaren waren.
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