Subsidiarität
Gesetzeskonkurrenz.
ist das Verhältnis der Nachrangigkeit. Die Frage der S. stellt sich insbesondere im Rahmen der Europäischen Union hinsichtlich der Zuständigkeit von Union, Mitgliedstaat und Bundesland (grundsätzliche S. der Europäischen Union). Im Strafrecht ist S. ein Fall der Gesetzeseinheit. Danach beansprucht ein Tatbestand ausdrücklich oder sonst erkennbar nur für den Fall Geltung, dass ein anderer Tatbestand nicht zum Zuge kommt (z. B. ist Trunkenheit am Steuer subsidiär gegenüber Gefährdung anderer, §§ 316, 315 c StGB). Lit.: Subsidiarität, hg.v. Nörr, K. u.a., 1997; Böttcher, W., Subsidiarität für Europa, 2002; Seher, G., Zur strafrechtlichen Konkurrenzlehre, JuS 2004, 482
, Strafrecht: Begriff aus der Lehre der strafrechtlichen Konkurrenzen und Unterfall der Gesetzeskonkurrenz bei Handlungseinheit. Ein Subsidiaritätsverhältnis liegt vor, wenn ein Gesetz gegenüber einem anderen nachrangig ist und deshalb nur hilfsweise - bei Nichteingreifen oder Wegfall der vorrangigen Vorschrift - zur Anwendung kommen soll. Erscheinungsformen:
* Die Subsidiarität ist z. T. im Gesetz ausdrücklich angeordnet, sog. formelle Subsidiarität
(z. B. §§ 145 d, 248b, 265 a, 246 Abs. 1 und 265 Abs. 1 StGB).
* Die Subsidiarität kann sich auch aus Zweck und Schutzbereich einer Vorschrift als sog. materielle Subsidiarität ergeben, wenn mehrere Gesetze verschiedene Stadien und verschieden intensive Arten des Angriffs auf dasselbe Rechtsgut erfassen. Unterfälle: Subsidiär ist bei verschiedenen Entwicklungsstufen desselben deliktischen Angriffs der weniger
weit vorangeschrittene Angriff gegenüber dem weiter vorangeschrittenen Angriff
Beispiele: Die verselbstständigte strafbare Vorbereitungshandlung ist subsidiär gegenüber der versuchten oder vollendeten Haupttat (z. B. § 149 StGB gegenüber § 146 StGB.
— Subsidiär sind ferner die sog. Durchgangsdelikte.
Hauptfall: Die Körperverletzung, §§ 223 ff. StGB, tritt als subsidiäres Delikt hinter einem vollendeten Tötungsdelikt zurück.
* Subsidiär ist zuletzt der ungefährlichere gegenüber dem gefährlicheren Angriff.
Beispiele: Die Fahrlässigkeitstat gegenüber der auf denselben Erfolg gerichteten Vorsatztat; die Unterlassungstat gegenüber der Begehungstat; die echte Unterlassungstat gegenüber der unechten Unterlassungstat; Gefährdungsdelikte gegenüber Verletzungsdelikten hinsichtlich desselben Schutzgutes (sofern die Gefährdung nicht über die Verletzung hinausgeht), abstrakte Gefährdungsdelikte gegenüber konkreten Gefährdungsdelikten, Anstiftung und Beihilfe gegenüber der Täterschaft, Beihilfe gegenüber der Anstiftung.
1.
S. bezeichnet den Grundsatz, dass eine größere organisatorische Einheit nur dann zur Erfüllung einer bestimmten Funktion herangezogen werden kann, wenn diese Funktion von der nächstkleineren Einheit nicht erfüllt werden kann. Dieser sog. S.grundsatz ist eine der Grundlagen des Föderalismus.
2.
Im Recht der Europäischen Union (s. Europäische Union, 5) ist der S.grundsatz in Art. 5 III EUV (s.EU-Vertrag) geregelt. Danach wird die EU in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließlich Zuständigkeit fallen, nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind. Die Einzelheiten sind in dem Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der S. und der Verhältnismäßigkeit geregelt, das zusammen mit anderen Protokollen dem EUV beigefügt ist. In Art. 6 und 7 dieses Protokolls ist vorgesehen, dass die Einhaltung des S.grundsatzes von den nationalen Parlamenten und deren Kammern (also in Deutschland von Bundestag und Bundesrat) überwacht werden kann; bei Verstößen gegen den S.grundsatz können die Mitgliedstaaten und nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts deren Parlamente und deren Kammern Klage zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) erheben (vgl. Art. 23 I a GG sowie die zur Ausführung von Art. 23 I a bis VI erlassenen Gesetze; s. a. europäische Gesetzgebung, 5); erreicht die Anzahl negativer Stellungnahmen mindestens ein Drittel der den nationalen Parlamenten zugewiesenen Stimmen (2 je Parlament, bei Zweikammersystem 1 je Kammer), so ist das geplante Vorhaben zu überprüfen.
3.
Zur S. im Bereich der Sozialhilfe s. dort; im Strafrecht s. Konkurrenz von Straftaten (3).
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