Europäische Gesetzgebung

1.
Der AEUV unterscheidet zwischen dem Erlass von Rechtsakten (Verordnungen, Richtlinien und Beschlüssen) im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren (Art. 294 AEUV) und im besonderen Gesetzgebungsverfahren (Art. 289 II AEUV). Durch die europäische Gesetzgebung wird europäisches Recht, und zwar Sekundärrecht, geschaffen. Eine Änderung des Primärrechts, also insbes. des EU-Vertrag (EUV) und AEUV, durch e. G. i. e. S. ist nicht möglich. Zur Setzung von Tertiärrecht durch die Europäische Kommission s. europäisches Recht (4). S. a. Europäische Verordnung, Europäische Richtlinie.

2.
Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren gilt immer dann, wenn nach den Verträgen eine Maßnahme gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren zu erlassen ist. Das Verfahren beginnt mit dem Vorschlag der Europäischen Kommission an das Europäische Parlament und an den Rat der EU. In der 1. Lesung legt das Europäische Parlament seinen Standpunkt fest und übermittelt ihn dem Rat der EU. Billigt der Rat der EU den Standpunkt, dann ist der Rechtsakt erlassen. Billigt der Rat der EU den Standpunkt nicht, so legt er einen eigenen Standpunkt fest und übermittelt ihn dem Europäischen Parlament. In der 2. Lesung kann das Europäische Parlament den Standpunkt des Rates der EU entweder billigen oder abändern oder ablehnen. Bei Billigung ist der betreffende Rechtsakt erlassen. Bei Ablehnung ist das Gesetzgebungsverfahren bereits in diesem Stadium gescheitert. Bei Abänderung kommt es zu einem Vermittlungsverfahren, es sei denn der Rat der EU stimmt den Änderungen sofort zu. Billigt der Vermittlungsausschuss einen gemeinsamen Entwurf, so bedarf dieser im Rat der EU und im Europäischen Parlament - dort in 3. Lesung - der Zustimmung. Kommt diese doppelte Zustimmung zu Stande, dann ist der Rechtsakt erlassen. Kommt diese doppelte Zustimmung nicht zu Stande, ist das Gesetzgebungsverfahren gescheitert. In Gesetzgebungsverfahren, die zentrale Fragen des nationalen Interesses eines Mitgliedstaates betreffen, kann ein Mitglied des Rates der EU den Europäischen Rat anrufen. In diesen Fällen wird das ordentliche Gesetzgebungsverfahren ausgesetzt (Art. 48 II, Art. 82 III und IV AEUV).

3.
Im besonderen Gesetzgebungsverfahren stehen Rat der EU und Europäisches Parlament nicht gleichberechtigt nebeneinander. Es gilt i. d. R. in den Fällen, in denen der AEUV Einstimmigkeit im Rat der EU vorsieht (z. B. Rechtsakte zur Freizügigkeit gem. Art. 21 II AEUV, zum kommunalen Wahlrecht gem. Art. 22 I AEUV und zum konsularischen Schutz für Unionsbürger gem. 23 AEUV). Im besonderen Gesetzgebungsverfahren erfolgt nur eine Anhörung des Europäischen Parlaments, in Ausnahmefällen ist die Zustimmung erforderlich (z. B. für Antidiskriminierungsregelungen gemäß Art. 19 I AEUV).

4.
Die EU darf von ihrer Gesetzgebungsbefugnis nur Gebrauch machen, wenn EU-Vertrag und AEUV (s. dort insbes. Nr. 2) entweder eine ausschließliche oder eine geteilte Zuständigkeit der EU vorsehen. Im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit darf nur die EU Rechtsnormen erlassen, nicht die Mitgliedstaaten; im Bereich der geteilten Zuständigkeit dürfen die Mitgliedstaaten Vorschriften nur erlassen, wenn nicht die EU Rechtsnormen erlassen hat.

5.
Die innerstaatliche Beteiligung von Bundestag und Bundesrat sowie der Länder am Rechtsetzungsverfahren der EU regeln Art. 23 I a bis VI GG sowie das G über die Integrationsverantwortung des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union (Integrationsverantwortungsgesetz - IntVG) v. 22. 9. 2009 (BGBl. I 3022) m. Änd., das G über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union v. 12. 3. 1993 (BGBl. I 311, ber. 1780) m. Änd. und das G über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union v. 12. 3. 1993 (BGBl. I 313, ber. 1780) m. Änd. Das gesamte Regelwerk wurde unter Beachtung des Lissabon-Urteils des BVerfG nochmals überarbeitet. In Angelegenheiten der EU wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die einzelnen Regelungen sehen umfassende Informationspflichten der Bundesregierung gegenüber Bundestag und Bundesrat in Angelegenheiten der EU vor. Wichtige Kontrollinstrumente des Bundestages und des Bundesrates sind die Subsidiaritätsrüge und die Subsidiaritätsklage (s. Subsidiarität). Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind, wird die Wahrnehmung der Rechte, die Deutschland als Mitgliedstaat der EU zustehen, auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen; dieser nimmt die ihm für Deutschland zustehenden Rechte unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung unter Wahrung der gesamtstaatlichen Verantwortung wahr (Art. 23 VI GG).




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