actio libera in causa
(lat.: eine in der Ursache freiwillige Handlung), Grundsatz der vorverlegten Schuld. Hat sich der Täter vorsätzlich oder fahrlässig durch alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel in einen Zustand der Zurechnungsunfähigkeit versetzt und in diesem Zustand eine Straftat (odereine Ordnungswidrigkeit) begangen, so wird er wegen der begangenen Tat ebenso bestraft (oder mit Geldbusse belegt), als hätte er die Tat im zurechnungsfähigen Zustand begangen, vorausgesetzt jedoch, er hat bei Beginn der Einnahme der Rauschmittel gewusst oder zumindest annehmen müssen, dass er die im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit begangene Tat ausführen werde. Beispiel: Täter trinkt sich Mut an, um im Rausch einen Raub, Diebstahl, Mord zu begehen, oder der Kraftfahrer trinkt Alkohol in Kenntnis der Tatsache, dass er anschliessend noch mit seinem Fahrzeug heimfahren werde. - Vgl. Trunkenheit. - Zivilrechtlich ist der Täter, der sich vorsätzlich oder fahrlässig in einen Zustand der Zurechnungsunfähigkeit versetzt und eine unerlaubte Handlung begeht, für den angerichteten Schaden haftbar (§ 827 BGB).
([lat.] freies Handeln in der Verursachung) ist das Verhalten des Täters in willensfreiem Zustand, das die spätere Begehung einer bestimmten Straftat in einem Zustand auslöst, in dem er nicht mehr verantwortlich handeln kann (z.B. Täter betrinkt sich, um in diesem Zustand die Tat leichter begehen zu können [Vorsatz] oder obwohl er damit rechnen hätte müssen [Fahrlässigkeit], dass er in diesem Zustand eine bestimmte Straftat begehen werde). Der Täter hat die bestimmte Tat vorausgesehen oder hätte sie voraussehen müssen. Er ist daher aus der begangenen Straftat (z.B. vorsätzliche Körperverletzung, fahrlässige Tötung) strafbar (anders Strafbarkeit wegen Herbeiführung der Schuldunfähigkeit bei Vollrausch § 323 a StGB). Die a. l.i.c. ist auf Tätigkeitsdelikte im Straßenverkehr (z.B. Fahren ohne Führerschein, Straßenverkehrsgefährdung) im Gegensatz zu (an schuldhaftes Vorverhalten anknüpfbaren) Erfolgsdelikten im Straßenverkehr (z.B. fahrlässige Tötung) nicht anwendbar (BGH, NJW 1997, 138), weil Trinken an sich nicht strafbar ist (aber Bestrafung wegen Vollrauschs möglich). Lit.: Stühler, H., Die actio libera in causa, 1999; Schweinberger, D., Actio libera in caus, JuS 2005, 507
, Abk. a. 1. i. c.: Rechtsfigur, nach der eine im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) begangene Tat bestraft werden kann, wenn der Täter sich selbst schuldhaft in diesen Zustand (z.B. einen Rausch) versetzt hat. Wegen vorsätzlicher Begehung wird danach bestraft, wer sich vorsätzlich in den Zustand der Schuldunfähigkeit versetzt hat und zu diesem Zeitpunkt bereits den Vorsatz hinsichtlich der später ausgeführten Tat hatte (vorsätzliche a. 1. i. c.). Handelt der Täter hinsichtlich der Verursachung seiner Schuldunfähigkeit und/oder der später ausgeführten Tat nur fahrlässig, wird er, soweit dies mit Strafe bedroht ist, wegen fahrlässiger Begehung bestraft (fahrlässige a.1. i. c.). Eine Strafbarkeit wegen Vollrausches gem. § 323 a StGB kommt erst in Betracht, wenn nach den vorgenannten Regeln die Strafbarkeit der Rauschtat nicht zu begründen ist. Unter denselben Voraussetzungen entfällt auch die Anwendung des § 21 StGB, falls sich der Täter schuldhaft in den Zustand verminderter Schuldfähigkeit versetzt hat. Ferner erfassen die Regeln der a.l. i. c. auch den Fall der schuldhaften Verursachung der eigenen Handlungsunfähigkeit.
Die Anwendbarkeit der a. 1. i. c. ist heute streitig: Überwiegend wird angenommen, die Herbeiführung der Schuldunfähigkeit sei Teil der tatbestandsmäßigen Handlung (sog. Vorverlegungstheorie). Dabei wird z. T. auf die Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft zurückgegriffen, da auch dort Grundlage der strafrechtlichen Haftung die Veranlassung oder das Ausnutzen der tatbestandsmäßigen Handlung des nicht frei verantwortlich handelnden Tatmittlers sei. Bei der a. 1. i. c. mache sich der Täter durch die Herbeiführung der eigenen Schuldunfähigkeit zu seinem eigenen Werkzeug.
Nach a. A. handelt es sich um eine gewohnheitsrechtlich begründete Ausnahme von § 20 StGB (sog. Ausnahmetheorie), wonach der Täter eigentlich bei Begehung der Tat schuldfähig sein muss. Der Gesetzgeber habe diese Regelung in Kenntnis der Billigung der a. 1. i. c. durch Rspr. und Lit. getroffen und daran nichts ändern wollen. Andere (sog. Ausdehnungsmodell) verstehen den Begriff der Begehung der Tat i. S. d. § 20 StGB dahin, dass hierunter auch die Verursachung
des Zustandes der Schuldunfähigkeit zu verstehen sei. Eine weitere Ansicht will § 20 StGB dahin auslegen,
dass er nur ein schuldhaftes Handeln bezüglich der Begehung der Tat voraussetze; dieses liege in der Verursachung der eigenen Schuldunfähigkeit.
Eine in der Lit. zunehmende Ansicht hält die a.l. i. c. dagegen mit dem Gesetz für nicht vereinbar. Die Vorverlegungstheorie sei mit der tatbestandlichen Umschreibung der Tathandlung bei verhaltensgebundenen und eigenhändigen Delikten nicht vereinbar. Bei reinen Erfolgsdelikten sei sie nicht mit dem Grundsatz vereinbar, dass der Täter zumindest bei Versuchsbeginn schuldfähig gewesen sein müsse. Denn die Verursachung der Schuldunfähigkeit sei kein Versuch der später begangenen Tat gern. § 22 StGB. Die Ausnahmetheorie sei mit Art. 103 Abs. 2 GG nicht vereinbar. Die möglicherweise anzunehmende Billigung durch den Gesetzgeber habe im Gesetz selbst keinen Ausdruck gefunden. Den Begriff der Begehung der Tat in § 20 StGB anders auszulegen als in den §§ 16,17, 19 StGB sei willkürlich und nicht begründbar. Daher sei bis zu einer Regelung durch den Gesetzgeber lediglich auf den subsidiären Vollrauschtatbestand gern. § 323 a StGB zurückzugreifen.
Für fahrlässige Erfolgsdelikte wird die a. 1. i. c. überwiegend für überflüssig gehalten, da eine strafrechtliche Haftung unter Anwendung allgemeiner Grundsätze an die Herbeiführung der Schuldunfähigkeit geknüpft werden könne.
Die Rspr. ist uneinheitlich. Der 4. Strafsenat des BGH (NStZ 1997, 228) hält die Regeln der a.l. i. c. im Bereich der fahrlässigen Erfolgsdelikte für überflüssig und hat sich im Bereich des Verkehrsstrafrechts der vorstehenden Kritik angeschlossen. Derselbe Senat (Beseh\'. v. 15.4. 1999 — 4 StR93/99) hält jedoch für den Tatbestand des Totschlags gern. § 212 StGB an der a. 1. i. c. fest. Auch andere Strafsenate respektieren zwar den Standpunkt des 4. Strafsenats für Verkehrsdelikte, haben aber in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen für andere Straftaten an den Regeln der a. 1. i. c. festgehalten (NStZ 1997, 229; NStZ 2000, 584 in.w.N.).
Hat der Täter im Zustand der Schuldunfähigkeit eine rechtswidrige Tat (§ 11 I Nr. 5 StGB) begangen, so ist er gleichwohl strafbar, wenn er den Zustand bei voller oder nur verminderter Schuldfähigkeit herbeigeführt hat, und zwar wegen vorsätzlichen Handelns (z. B. Täter trinkt sich Mut an, um im Rausch Körperverletzungen zu begehen) oder wegen Fahrlässigkeit (z. B. Mutter erdrückt ihr Kind im Schlaf). Die Strafbarkeit wegen des begangenen Delikts tritt also, anders als beim Vollrausch (§ 323 a StGB), nicht wegen Herbeiführung der Schuldunfähigkeit ein, sondern weil der Täter vorausgesehen hat oder hätte voraussehen müssen, dass er in diesem Zustand eine bestimmte Straftat begehen werde. Die Grundsätze der a. l. i.c. sind aber auf Tätigkeitsdelikte im Straßenverkehr (Straßenverkehrsgefährdung, Fahren ohne Führerschein) nicht anwendbar; für sie kann ein schuldunfähiger Täter nur wegen Vollrausches bestraft werden (BGH NJW 1997, 138). Bei fahrlässigen Erfolgsdelikten im Straßenverkehr (fahrlässige Tötung oder Körperverletzung ) ist i. d. R. ein Rückgriff auf die a. l. i. c. nicht notwendig; hier kann an ein schuldhaftes Vorverhalten wie das Sich-Betrinken angeknüpft werden (BGH a. a. O.).
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