Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Im Sozialrecht :
Arbeitsunfähigkeit wird regelmässig durch einen Arzt in der sog. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bescheinigt. In Zweifelsfällen kann die Krankenkasse trotz dieser Bescheinigung eine Begutachtung des Versicherten vornehmen lassen. An Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aus dem EU-Ausland sind die Krankenkassen grundsätzlich gebunden (EuGH NZA 1992, 735).
Im Arbeitsrecht:
Alle AN sind im Falle der Erkrankung gehalten, unverzüglich (§ 121 BGB) den AG (regelmässig bis 11 Uhr) zu informieren (für Arbeiter: § 3 LohnFG; für Angestellte: AP 12 zu § 63 HGB; AP 2 zu § 626 BGB Krankheit). Die Informationspflicht ist eine unselbständige Nebenpflicht, die bei ihrer Verletzung zum Schadensersatz u. nach vorheriger Abmahnung zur ordentl. Kündigung berechtigt, wenn die Interessen des AG (Arbeitseinsatzplanung usw.) berührt werden (NZA 90, 433 = BB 90, 559 = DB 90, 790). Bei beharrlichem Verstoss kann auch ao. Kündigung gerechtfertigt sein (AP 2 zu § 626 BGB Krankheit). Weitergehende Rechte können bestehen, wenn vertragl., tarifl. o. durch Betriebsvereinbarung Informationspflicht geregelt (Haftung des AN). Gelegentlich kann ein AN, vor allem ein höherer Angestellter gehalten sein, seinen AG auf besonders dringende Arbeiten hinzuweisen. Nach § 3 LohnFG hat ein Arbeiter bis zum Ablauf des 3. Kalendertages nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit seinem AG eine ärztliche Bescheinigung einzureichen. Dasselbe gilt nach § 55 IV AGB-DDR für alle AN der neuen Bundesländer. Für die übrigen AN besteht keine gesetzliche Regelung; indes geht das BAG (AP 31
zu § 615 BGB) von einer entsprechenden Verpflichtung aus. Vielfach ergibt sich die Vorlagepflicht aus tariflichen, betrieblichen o. arbeitsvertraglichen Regelungen. Die Verletzung der Vorlagepflicht (eine arbeitsvertragl. Nebenpflicht) kann nach h., M. zur ordentl. u. bei wiederholtem o. beharrlichem Verstoss nach vorheriger Abmahnung zur ausserordentl. Kündigung (AP 93 zu § 626 BGB = NZA 87, 93) führen. Unterlässt der AN die Vorlage der A., so kann er gleichwohl Krankenvergütung beanspruchen (§ 1 LohnFG; 616 BGB, 63 HGB; 133 c GewO); jedoch erlangt AG zumindest gegen-
über dem Arbeiter und den AN in den neuen Bundesländern ein
Leistungsverweigerungsrecht bis zur Vorlage (§ 5 LohnFG) (bei Vorlage alsdann Nachzahlung, AP 1 zu § 3 LohnFG; AP 63 zu § 1 LohnFG
NJW 85, 2213 = NZA 85, 427). Im übrigen kann AG dem Gehaltsfortzahlungsanspruch dann den Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegensetzen, wenn er zur ausserordentl. Kündigung berechtigt gewesen wäre u. diese nur aus Rücksichtnahme o. Unkenntnis nicht ausgesprochen hat (AP 12 zu § 63 HGB). Der Arzt ist nach § 3 I3 LohnFG verpflichtet, der Krankenkasse eine AU zu übersenden. Hat er sie dem AN ausgehändigt, so hat dieser sie der Krankenkasse einzureichen. Wird sie dem AG übersandt, so haftet dieser nur dann bei unterlassener Weiterleitung auf Schadensersatz, wenn er betriebsüblich deren Weiterleitung übernommen hat. Eine AU beurkundet nicht mit der Wirkung inhaltlicher Richtigkeit die Krankheit eines AN, vielmehr hat sie nur die tatsächl., aber widerlegliche Vermutung der Richtigkeit für sich (AP 2 zu § 3 LohnFG; AP 48 zu § 1 LohnFG; AP 98 = BB 92, 2222 = DB 92, 2347, 2633 (Hunold); Anscheinsbeweis). Der AG kann im Rechtsstreit Umstände darlegen u. beweisen, die zu ernsthaften Zweifeln an der Erkrankung Anlass geben. Dann ist eine erschöpfende u. in sich widerspruchsfreie Würdigung aller für u. gegen die Erkrankung sprechenden Umstände im Rahmen des § 286 ZPO erforderlich (AP 2, 3 zu § 3 LohnFG). Solche Umstände sind etwa anderweitige Arbeitsleistung. Ausstellung aufgrund fernmündlicher Mitteilung ohne Untersuchung durch Arzt, Ankündigung der Krankheit während des Urlaubs. Wird eine AU entgegen § 27 BMV-Ä (Verträge der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Loseblattausgabe, Stand 1. 4. 1993) ausgestellt, so ist ihr Beweiswert gemindert. In § 27 BMV-Ä v. 28. 9. 1990 i. d. F. v. 8. 4. 1992 ist normiert, dass sie grundsätzlich nicht rückwirkend ausgestellt werden soll. Einer von einem ausländischen Arzt ausgestellten AU kommt der gleiche Beweiswert zu wie der von einem deutschen Arzt ausgestellte. Die Bescheinigung musste jedoch erkennen lassen, dass der ausländische Arzt zwischen einer blossen Erkrankung und einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Erkrankung unterscheidet (AP 4 zu § 3 LohnFG = DB 85, 2618 = NZA 85, 737). Demgegen-
über hat der EuGH entschieden, dass Art. 18 1—IV EWG-VO Nr. 574/72 dahin auszulegen ist, dass die Zuständigkeitsträger der Vergütungsfortzahlung, auch wenn es sich dabei um einen AG handelt, in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht an die vom Träger des Wohn- oder Aufenthaltsortes getroffenen ärztlichen Feststellungen über den Eintritt und die Dauer der Arbeitsunfähigkeit gebunden sind, sofern die betroffene Person nicht durch einen Arzt der Wahl des AG untersucht worden ist (Fall Paletta: DB 92, 1577 = NJW 92, 2687). Kündigt der AG mit der Begründung ao, die AU sei erschlichen, so ist er darlegungs- u. beweispflichtig. Nach § 275 SGB V sind die Krankenkassen verpflichtet, eine Begutachtung der Arbeitsunfähigkeit durch medizinischen Dienst herbeizuführen, wenn es zur Sicherung des Heilerfolges, insbesondere zur Einleitung von Massnahmen der Sozialleistungsträger für die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit oder der Arbeitgeber dies unter Darlegung begründeter Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit verlangt. Dagegen hat der AG keinen Anspruch auf Begutachtung durch einen bestimmten Arzt. Auch bei vertraglich vereinbarter Verpflichtung, sich ärztlich untersuchen zu lassen, ist die Weigerung des AN kein Grund zur ausserordentlichen Kündigung, wenn dieser dafür vertretbare Gründe hatte (AP 1 zu § 7 BAT; vgl. auch AP 21 zu § 611 BGB Musiker = NZA 93, 81). Durch Tarifvertrag kann bestimmt sein, dass die Arbeitsunfähigkeit durch einen bestimmten Arzt festgestellt wird. Dies ist keine Schiedsgutachterabrede, sondern die Überlassung der Feststellung einer Tatsache nach § 317 BGB. Das Gericht überprüft die Feststellung, ob das Gutachten nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt ist (AP 2 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bundesbahn). Eine Sonderregelung besteht, wenn der Arbeiter im Ausland erkrankt (§ 3 II LohnFG).
Borchert, ArbuR 90, 375; ders., DOK 90, 643; Brill AuA 93, 197; Lepke DB 93, 2025; zur Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie: Wanner DB 92, 93.
ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers. Nach §5 Abs. 1 S. 2 EntgeltfortzahlungsG muss der Arbeitnehmer eine solche Bescheinigung vorlegen, wenn er länger als drei Tage arbeitsunfähig ist. Der Arbeitgeber kann die Vorlage einer solchen Bescheinigung allerdings nach § 5 Abs. 1 S. 3 EngeltfortzahlungsG auch schon früher verlangen. Während danach eine einzelfallbezogene Anforderung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für eine kurzzeitige Erkrankung ohne Weiteres möglich ist, betrifft die allgemeine Anordnung, auch kurzzeitige Erkrankungen durch die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu belegen, das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer. Daher hat der Betriebsrat bei der Frage, ob die Arbeitnehmer abweichend von der gesetzlichen Regelung schon früher eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen müssen, nach § 87 Abs. 1 Nr.1 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht (Betriebsrat).
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