Sozialrecht
das Recht der öffentlich-rechtlichen
Leistungen und Hilfen, mit denen Risiken und Notständen begegnet wird, die der einzelne individuell nicht bewältigen kann. Dazu zählen insbes. die im Sozialgesetzbuch geregelten Rechtsbereiche.
. Aufgabe des S. ist es, dem einzelnen Schutz vor den Wechselfällen des Lebens (Krankheit, Invalidität, Arbeitslosigkeit, Alter u.a.) zu bieten. Es umfasst demgemäss sämtliche Rechtsnormen, die die soziale Sicherung des Bürgers regeln. - Das moderne S. begann mit der Sozial- u. Arbeitsschutzgesetzgebung der 80er Jahre des 19. Jh., die nicht zuletzt darauf abzielte, die Arbeiterschaft mit dem neu errichteten Reich zu versöhnen u. revolutionären Bestrebungen entgegenzuwirken. Nach zwei Weltkriegen u. Inflationen, nach Wirtschaftskrisen u. gesellschaftlichen Umwälzungen hat das S., auf der Grundlage des Sozialstaatsgebots des Grundgesetzes, erheblich an Bedeutung u. Umfang zugenommen. In ihm realisiert sich, was man in der politischen Sprache der Bundesrepublik als "soziales Netz" zu bezeichnen pflegt. - Das S. gehört zum öfftl. Recht, und zwar zum R.echt der leistenden Verwaltung. Man unterteilt es traditionell in die 3 Bereiche der Sozialversicherung, der Sozialversorgung u. der Sozialhilfe (Fürsorge). Diese 3 Säulen der sozialen Sicherung werden neuerdings ergänzt durch die Sozialförderung. Bislang ist das S. noch auf viele Einzelgesetze zersplittert; als wichtigste sind zu nennen: die ReichsVersicherungsordnung von 1911, das AngestelltenVersicherungsgesetz von 1924, das Sozialhilfegesetz von 1961 u. das Arbeitsförderungsgesetz von 1969. Eine umfassende Kodifikation des S. in Form eines Sozialgesetzbuches (SGB) wird vorbereitet. Das SGB, dessen Allgemeiner Teil neben Gemeinsamen Vorschriften für die Sozialversicherung (IV. Buch) u. Vorschriften für das Verwaltungsverfahren (X. Buch) inzwischen in Kraft getreten ist, soll die verschiedenen Sozialleistungsbereiche zusammenfassen. Dagegen zeichnet sich eine Vereinheitlichung der Zuständigkeiten noch nicht ab. Je nach Aufgabengebiet sind verschiedene Einrichtungen völlig unabhängig voneinander tätig: Versicherungsträger (Versicherungsanstalten, Krankenkassen, Bundesanstalt für Arbeit, Berufsgenossenschaften), Sozialämter, Versorgungsämter u. a.
Im Sozialrecht:
Begriff des Sozialrechts. Anders als im Ausland, im internationalen und noch in der Weimarer Zeit in Deutschland, als man dem Sozialrecht das Arbeits- und das Sozialrecht zuordnete, versteht man heute in Deutschland einheitlich unter Sozialrecht nur das Recht der sozialen Sicherheit. Über die Definition dieses Begriffes konnte indessen bislang noch keine Einigkeit erzielt werden. Im sozialrechtlichen Schrifttum wird das Sozialrecht überwiegend in einem formellen Sinne (teilweise wird auch vom positivistischen, pragmatischen oder extensionalen Sozialrechtsbegriff gesprochen) als die Gesamtheit der Rechtsvorschriften umschrieben, die der Gesetzgeber erkennbar dem Sozialrecht zuweist. Zum Sozialrecht gehören danach die im SGB sowie in den durch § 68 SGB I in das SGB einbezogenen Gesetzen geregelten (z.B. BAföG) Materien. Wenngleich dieser Definitionsansatz zu eindeutigen Zuordnungen von Materien zum Sozialrecht führt, vermag er dennoch nicht voll zu überzeugen, da er auf inhaltliche Kriterien verzichtet. Im Schrifttum sind deshalb immer wieder Versuche unternommen worden, das Sozialrecht an Hand inhaltlicher Kriterien zu definieren (Sozialrecht im materiellen Sinne, manche sprechen auch vom positiven, substantiellen oder intensionalen Sozialrechtsbegriff). So wird Sozialrecht u.a. etwa als das der sozialen Gerechtigkeit und Sicherheit dienende Recht, das diese Ziele durch die Gewährung von Sozialleistungen realisiert, umschrieben (vgl. Schulin/Igl: Sozialrecht. 7. Aufl. 2002. Rn. 1). Es ist indessen im Schrifttum umstritten, ob eine solche Definition überhaupt möglich ist. Insbesondere das Begriffsmerkmal der gesteigerten sozialen Zielsetzung grenzt das Sozialrecht nicht hinreichend präzise gegenüber anderen Rechtsmaterien ab, da eine solche gesteigerte soziale Zielsetzung auch ausserhalb des Sozialrechts, im Mietrecht, im Verbraucherschutzrecht, im Arbeitsrecht und im Steuerrecht anzutreffen ist.
Regelungsgegenstände und Gliederung des Sozialrechts. Lange Zeit wurde das Sozialrecht nach der sog. klassischen Trias gegliedert. Danach waren im Sozialrecht die drei Teilbereiche Sozialversicherung, Sozialversorgung und Fürsorge zu unterscheiden. Die derzeit h.M. unterteilt das Sozialrecht dagegen wie auf nachfolgender Seite dargestellt.
Standort des Sozialrechts im Rechts- und sozialen Sicherungssystem. Das Sozialrecht wird überwiegend dem öffentlichen Recht zugeordnet, da im Zentrum des Sozialrechts das dem öffentlichen Recht zuzuordnende Rechtsverhältnis zwischen Leistungsträger und Leistungsberechtigten steht. Im Sozialrecht finden sich aber auch Regelungen zu zivilrechtlichen Rechtsbeziehungen. Dies gilt insbesondere für das sog. Leistungserbringungsrecht. Soziale Risiken werden in der Bundesrepublik Deutschland nicht nur mit Sozialleistungen, sondern auch mit sonstigen öffentlich-rechtlichen Leistungen, Steuererleichterungen, Leistungen der Arbeitgeber und privater Vorsorge geleistet. Bei den öffentlichen Leistungen kommt den Sozialleistungen die grösste Bedeutung zu. Sonstige öffentliche Leistungen sind z.B. das Meister-BAföG, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sowie der Lastenausgleich für Vertriebene. Die Arbeitgeber sind teilweise zur Beteiligung an der sozialen Sicherung ihrer Arbeitnehmer verpflichtet (z.B. Tragung eines Teiles der Sozialversicherungsbeiträge, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall), teilweise erbringen sie diese freiwillig (z.B. Zahlung von Betriebsrenten). Zunehmende Bedeutung kommt in den letzten Jahren bei der Absicherung sozialer Risiken der privaten Vorsorge zu. Da die öffentlichen Systeme keine ausreichenden Leistungen mehr zur Verfügung stellen können, müssen die Bürger vermehrt private Vorsorge für soziale Risiken treffen. Teilweise wird dies durch staatliche Zuschüsse, z.B. zu den Beiträgen zur Riesterrente, gefördert.
Aufgaben des Sozialrechts. Das Sozialrecht hat die Aufgabe, soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherheit zu verwirklichen (vgl. §1 Abs.l S.l SGB IV Diese allgemeine Aufeabenumschreibune wird in § 1 Abs. 1 S. 2 SGB I dahingehend konkretisiert, dass das SGB zur Sicherung eines menschenwürdigen Daseins, zur Schaffung gleicher Voraussetzungen für die freie Entfaltung der Persönlichkeit, zum Schutz und zur Förderung der Familie, zur Ermöglichung des Erwerbs des Lebensunterhalts durch eine frei gewählte Tätigkeit sowie zur Abwendung bzw. zum Ausgleich besonderer Belastungen des Lebens, auch durch Hilfe zur Selbsthilfe beizutragen hat. Eine weitere Konkretisierung der sozialen Gerechtigkeit und der sozialen Sicherheit erfolgt durch Umschreibungen der sozialen Rechte in den §§3-10 SGB I sowie durch die Aufzählung der in den einzelnen Leistungsbereichen vorgesehenen Sozialleistungen in den Einweisungsvorschriften. Das Sozialrecht hat ferner die Aufgabe, das Sozialwesen zu organisieren (sog. Organisationsfunktion). Es regelt einerseits die institutioneilen Rahmenbedingungen der sozialen Sicherung (z.B. die Organisation der Leistungsträger), andererseits legt es das Verfahren der Erbringung der Sozialleistungen fest. Bismarck sah in der Einführung der Sozialversicherung in erster Linie ein Instrument der Sicherung des damaligen Gesellschaftssystems. Mit der Sozialversicherung wollte er die Arbeiterschaft den linken Kräften entfremden. Diese staatserhaltende Funktion des Sozialrechts ist heute weitgehend in den Hintergrund getreten. Bei der Wiedervereinigung der beiden deutschen Nachkriegsstaaten hatte die staatserhaltende Funktion des Sozialrechts nochmals an Bedeutung gewonnen. Durch den schnellen Transfer sozialer Leistungen wurde der Zusammenbruch der Sozialleistungssysteme der ehemaligen DDR aufgefangen und der Wiedervereinigungsprozess unterstützt.
Rechtsquellen. Das Sozialrecht weist eine hochkomplexe Rechts- quellen- und Steuerungsstruktur auf. Vorschriften zum Sozialrecht finden sich im internationalen Recht, im Verfassungsrecht, in Parlamentsgesetzen (insbesondere im Sozialgesetzbuch und den nach § 68 SGB I in das SGB eingezogenen Gesetzen) des Bundes und der Länder, in Rechtsverordnungen des Bundes und der Länder sowie in autonomen Satzungen der Versicherungsträger. Weiterhin nehmen Normsetzungsverträge, Richtlinien, Empfehlungen, Weisungen und Gerichtsentscheidungen Einfluss auf sozialrechtliche Entscheidungen.
Sozialrechtsverhältnis bezeichnet das Rechtsverhältnis zwischen dem Leistungsberechtigten und dem Leistungsträger. Das Sozialrechtsverhältnis enthält sowohl Rechte und Pflichten des Leistungsberechtigten als auch des Leistungsträgers Sozialleistungen
ist das Recht des Ausgleichs einzelmenschlicher Güterunterschiede durch Leistungen eines Trägers öffentlicher Verwaltung. Das S. ist ein Teil des Verwaltungsrechts und damit des öffentlichen Rechts. Zu ihm gehören vor allem das Sozialversicherungsrecht, das Kriegsopferversor- gungsrecht, die Sozialhilfe, das Ausbildungsförderungsrecht, das Arbeitsförderungsrecht, das Kindergeldrecht und das Wohngeldrecht. Lit.: Arbeits- und Sozialordnung, hg.v. Kittner, M., 32. A. 2007; Gitter, W./Schmitt, J., Sozialrecht, 5. A. 2001; Erlenkämper, A./Fichte, Sozialrecht, 5. A. 2003; Schulin, B./Igl, G., Sozialrecht, 7. A. 2002, 8. A. 2007; Eichenhofer, E., Sozialrecht der Europäischen Union, 2. A. 2003; Sozialrechtshandbuch, hg.v. Maydell, B.v., 3. A. 2003; Kommentar zum europäischen Sozialrecht, hg.v. Fuchs, M., 3. A. 2002; Eichenhofer, E., Sozialrecht, 5. A. 2004; Waltermann, R., Sozialrecht, 6. A. 2006; Übersicht über das Sozialrecht, hg. v. Bundesministerium für Arbeit, 2003; Münchener Anwaltshandbuch Sozialrecht, hg.v. Plagemann, //., 2. A. 2005; Mu- ckel, S., Sozialrecht, 2. A. 2007; Sartorius, U./Bubeck, T., Sozialrecht, 2.A. 2004; Brühl, A. u.a., Handbuch Sozialrechtsberatung, 2005
Mangels Legaldefinition Unterscheidung nach dem formellen bzw. materiellen Begriffsinhalt. Zum Sozialrecht im formellen Sinne gehören all diejenigen Normen, die der Gesetzgeber diesem Rechtsgebiet zuweist. Entscheidend dafiir ist die Regelungstechnik des Sozialgesetzbuches. Die sozialen Rechte nach §§ 3-10 SGB I werden insofern durch die Bestimmung der Leistungsarten und zuständigen Leistungsträger in §§ 18-29 SGB I konkretisiert. Maßgeblich ist danach, ausgehend vom allgemeinen Teil des Sozialgesetzbuches, der bisher im SGB II bis SGB XII erfolgte Umfang gesetzgeberischer Normsetzung. Ergänzend ist für die Bereiche, die noch nicht in das SGB selbst eingeordnet sind, die Vorschrift des § 68 SGB I mit den dort aufgezählten Regelungsmaterien.
Diese Gesetze, etwa das Bundesversorgungsgesetz, gelten als Teile des SGB, unterfallen damit auch dem SGB I und den Verfahrensvorschriften des SGB X und sind im Wesentlichen, jedenfalls innerhalb der Zuständigkeitsnorm des § 51 SGG, auch im Verfahren vor den Sozialgerichten Grundlage gerichtlicher Überprüfung angefochtener Verwaltungsentscheidungen.
Der materielle Begriff des Sozialrechts hingegen orientiert sich an sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit, § 1 Abs. 1 SGB I. Systematisiert wird dabei nach vier Teilbereichen:
— der sozialen Vorsorge mit den gesetzlichen Pflichtversicherungen für die Bereiche Krankheit, Unfall, Rente, Arbeitslosigkeit und Pflegebedürftigkeit,
— dem Teilbereich der sozialen Entschädigung mit dem Bundesversorgungsgesetz und den Gesetzen, nach denen das BVG entsprechende Anwendung findet, u. a. dem SVG und dem OEG,
— darüber hinaus der sozialen Förderung mit dem Recht der Ausbildungsförderung, der Berufsförderung, der Familienleistungen in Form von Kindergeld und Erziehungsgeld sowie seit 2007 dem Elterngeld, der Kinderhilfe und
— > Jugendhilfe und schließlich
— den Leistungen der Sozialhilfe speziell nach dem SGB XII.
umfasst den Rechtsbereich des Sozialgesetzbuchs, ferner das Recht der Aussiedler und Spätaussiedler, Flüchtlinge, Heimkehrer, die Kriegsgefangenenentschädigung, den Lastenausgleich u. a. S. ferner im Anhang: Übersicht über die Sozialversicherung.
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