Öffentlichkeitsgrundsatz
rechtsstaatlicher Grundsatz, wonach Gerichtsverhandlungen für die Allgemeinheit zugänglich sind. Bestimmte Verfahren sind davon ausgenommen (z.B. Familien- und Kindschaftssachen, Jugendgerichtssachen); in anderen Fällen kann das Gericht die Öffentlichkeit ausschließen (z.B. bei Gefährdung der Staatssicherheit, der Sittlichkeit, wichtiger Geschäftsgeheimnisse oder wenn eine Person unter 16 Jahren vernommen wird); nicht jedoch bei der Urteilsverkündung. Außerdem kann der Zutritt zu einer an sich öffentlichen Verhandlung unerwachsenen und solchen Personen versagt werden, die in einer der Würde des Gerichts nicht entsprechenden Weise erscheinen.
gilt im Zivilprozeß, soweit vor dem erkennenden Gericht mündlich verhandelt wird, § 169 S.1 GVG. Er bildet die Grundlage für das Vertrauen des einzelnen in die Unabhängigkeit der Gerichte und spielt naturgemäß im Strafprozeß eine größere Rolle als im Zivilprozeß. § 169 S.2 GVG verbietet eine Erweiterung der Öffentlichkeit durch Fernseh-, Rundfunk-, und Filmaufnahmen. Ausnahmen vom Ö. zum Schutz bestimmter Rechtsgüter enthalten die §§ 170 ff. GVG. Auch die Beratung des Gerichts ist gem. §193 GVG nichtöffentlich. Die Verletzung des Ö. ist nach § 551 Nr. 6 ZPO ein absoluter Revisionsgrund.
Ausschluss der Öffentlichkeit
bedeutet, dass im gerichtlichen Verfahren die Öffentlichkeit zugelassen ist. Der Ö., der die bis in die Neuzeit hin übliche Geheimjustiz abgelöst hat, ist Ausfluss des rechtsstaatlichen Prinzips. Er ist in den Verfahrensgesetzen ausdrücklich enthalten (z. B.§ 169GVG,§ 55 VwGO). In Familien-, Kindschafts- u. Entmündigungssachen ist dagegen die Öffentlichkeit kraft Gesetzes ausgeschlossen (§§ 170, 171 GVG). Das Gericht kann darüber hinaus die Öffentlichkeit unter bestimmten Voraussetzungen (z.B. bei Gefährdung der Staatssicherheit oder der öffentlichen Ordnung, bei Gefährdung schutzwürdiger persönlicher oder wirtschaftlicher Interessen, in Jugendgerichtssachen) ausschliessen. Die Verkündung des Urteils muss stets öffentlich erfolgen.
wichtiges Prinzip demokratischer Rechtspflege, wonach sowohl die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht als auch die Verkündung einer Entscheidung öffentlich ist. Der Grundsatz gilt in der ordentlichen Gerichtsbarkeit (§§ 169, 173 Abs. 1 GVG; in Familiensachen nur eingeschränkt, vgl. § 170 GVG), aber auch in allen anderen Prozessordnungen (vgl. § 52 ArbGG, § 55 VwGO,
§61 SGG, §52 FGO), und wird von Art.6 Abs. 1. EMRK gewährleistet.
Der Öffentlichkeitsgrundsatz gilt auch für einen anderen Ort als
die Gerichtsstelle, z.B. bei Einnahme eines Augenscheins. Dem Hausrecht Privater geht der Öffentlichkeitsgrundsatz jedoch nicht vor. Das Unvermögen des Gerichts, die Öffentlichkeit in einem solchen Fall herzustellen, erfordert eine Abwägung zwischen dem Stellenwert des Grundsatzes und dem Erfordernis der Sachaufklärung im konkreten Einzelfall.
Die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden kann nur in den ausdrücklich gesetzlich geregelten Fällen (vgl. §§ 170,171 b, 172, 173 Abs. 2, 175 GVG, § 52 S.2-4 ArbGG, § 55 VwGO, § 61 Abs. 1 SGG, § 52 Abs. 1, 2 FGO); zwingend auszuschließen ist sie im Jugendstrafverfahren (§ 48 Abs. 1 JGG), auf Antrag eines Betroffenen, dessen persönlicher Lebensbereich in bestimmter Weise betroffen ist (§ 171 b Abs. 2 GVG) und auf Antrag eines Beteiligten im Finanzprozess (§ 52 Abs. 2 FGO).
Ton-, Rundfunk- und Filmaufnahmen während der Verhandlung sind hingegen grundsätzlich unzulässig, § 169 S.2 GVG. Die Vorschrift ist verfassungsgemäß (BVerfG NJW 2001, S. 1633): Zwar handelt es bei Gerichtsverhandlungen uns Informationsquellen i. S. d. Art. 5 Abs. 1 S.1 GG; über deren öffentliche Zugänglichkeit entscheidet der Gesetzgeber jedoch im Rahmen seiner Befugnis zur Ausgestaltung des Gerichtsverfahrens.
Das Sitzungsprotokoll muss zwingend eine Angabe darüber enthalten, ob öffentlich verhandelt wurde oder ob die Öffentlichkeit ausgeschlossen war (§ 160 Abs. 1 Nr.5 ZPO, §272 Nr.5 StPO, § 105 VwGO, § 122 SGG, §94 FGO). Ein Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz ist absoluter Revisionsgrund (§ 547 Nr.5 ZPO, § 338 Nr.6 StPO, § 138 Nr.5 VwGO).
Der Grundsatz bedeutet, dass die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht unbeteiligten Personen zugänglich ist. Der Ö. entspringt rechtsstaatlichen Grundsätzen. Er bestand im Mittelalter und bis in das 19. Jahrhundert hinein nicht (Geheimjustiz). Die Öffentlichkeit ist vorgeschrieben in § 169 GVG, § 52 ArbGG, § 55 VwGO, § 52 I FGO, § 61 I SGG, kann aber aus verschiedenen Gründen ausgeschlossen werden (Gefährdung der öffentlichen Ordnung, insbes. der Staatssicherheit, der Sittlichkeit oder wichtiger Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse, vor Sozialgerichten auch zur Vermeidung von Nachteilen für Gesundheits- oder Familienverhältnisse eines Beteiligten); unzulässig ist aber der Ausschluss für die Urteilsverkündung (§§ 172, 173 I GVG, § 52 II FGO, § 61 I SGG). Kraft Gesetzes ist die Öffentlichkeit ausgeschlossen in bestimmten Familiensachen und in Unterbringungssachen (§§ 170, 171 a GVG) sowie im Jugendstrafverfahren (§ 48 JGG). Bestimmten Personen kann der Zutritt versagt werden (§ 175 GVG). In der Verhandlung sind Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zweck der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts unzulässig (s. § 169 S. 2 GVG, Rundfunkurteile des Bundesverfassungsgerichts). Andere Ton-, Film- und Tonaufnahmen richten sich nach den Anordnungen des Vorsitzenden zur Prozessleitung und dem Recht am Bildnis des Betroffenen (s. a. Tonbandaufnahmen). Von der allgemeinen Öffentlichkeit ist die Parteiöffentlichkeit zu unterscheiden.
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