Wahlrechtsgrundsätze
sind bestimmte Verfassungsprinzipien im Dienste freiheitlich-demokratischer Legitimität der Volksvertretung. Für die Berufung sowohl der Bundestagsabgeordneten (Art. 3811) als auch der Volksvertreter in den Ländern, Kreisen und Gemeinden (Art. 28 I 2) gelten die Grundsätze allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl.
Allgemeinheit der Wahl bedeutet, dass grundsätzlich alle Staatsbürger wahlberechtigt sind. Zulässige Ausnahmen von diesem Prinzip sind dem Gesetzgeber nur in engen Grenzen erlaubt, so z.B. bei der Anknüpfung des Wahlrechts an ein Mindestalter oder an sonstige zwingend einleuchtende Voraussetzungen. Unzulässig wäre etwa das in früheren Epochen praktizierte Verfahren, das Stimmgewicht nach Massgabe des individuellen Vermögens zu klassifizieren. Der Allgemeinheitsgrundsatz des GG verbietet es im übrigen, bestimmte Gruppen von Staatsbürgern aus politischen, ökonomischen oder sozialen Gründen vom Wahlrecht auszuschliessen.
Das Gebot der Unmittelbarkeit der Wahl soll gewährleisten, dass die Volksvertreter direkt vom wahlberechtigten Volk durch dessen Stimmabgabe berufen werden. Demgemäss ist jede Form mittelbarer Wahl der Parlamentsmitglieder untersagt. Diesem Verbot unterfällt zum einen die Wahl der Volksvertreter durch vorgeschaltete Wahlmänner. Unzulässig wäre es aber auch, das Wahlvolk durch nachträgliche Zwischenschaltung von Auswahlinstanzen zu mediatisieren. Der wählende Staatsbürger soll das entscheidende letzte Wort haben.
Freiheit der Wahl bedeutet vor allem Freiheit des Wahlaktes selbst. Es muss gewährleistet sein, dass der Wähler sein Wahlrecht ohne äusseren Zwang oder Druck auszuüben bzw. nicht auszuüben vermag. Als statthafte, die Freiheit des Wahlaktes nicht berührende Einflussnahme wird die Wahlpropaganda der politischen Parteien oder etwa auch ein kirchliches ,Hirtenwort1 kurz vor dem Wahltermin angesehen. Andererseits findet die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung dort ihre verfassungsrechtliche Grenze, wo die Wahlwerbung beginnt.
Der Grundsatz geheimer Wahl stützt das Prinzip der freien Wahl. Öffentliche Stimmabgabe, um geheime Voten gegen die Regierung zu verhindern, ist ein Kennzeichen totalitärer Herrschaft. Die vom Grundgesetz geforderte strikte Wahrung des Wahlgeheimnisses gebietet eine Organisation der Wahlvorbereitung und der Stimmabgabe, die es unmöglich macht, dass andere Personen gegen den Willen des Wählers erfahren, wie dieser sein Wahlrecht ausübt. Das Wahlgeheimnis sichert die Freiheit des Bürgers, seine Wahlentscheidung für sich zu behalten.
Das Prinzip gleicher Wahl ist - wie das Allgemeinheitsgebot - eine Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes. Kennzeichnend für den wahlrechtlichen Gleichheitsgrundsatz ist seine formale Natur. Sie entspricht dem geltenden Demokratieprinzip, das ohne Rücksicht auf soziale und wirtschaftliche Unterschiede alle Staatsbürger als Träger der Staatsgewalt egalisiert. Da diesem Gleichheitserfordernis grundsätzlich nur Genüge geschieht, wenn jede Stimme mit gleichem Gewicht bei der Zuteilung von Parlamentssitzen berücksichtigt wird, entsteht das Problem der Zulässigkeit von Sperrklauseln zur Abwehr von Splitterparteien. Aus dem Grundsatz gleicher Wahl ergeben sich Konsequenzen auch für die Wahlbewerber und die hinter ihnen stehenden Parteien. Aus der Sicht konkurrierender Kräfte bedeutet Wahlgleichheit insbesondere Chancengleichheit.
die grundlegenden Prinzipien für die Wahl von Parlamentsabgeordneten oder Vertretern in sonstigen Vertretungskörperschaften. Art.38 Abs. 1 S.1 GG normiert (für die Bundestagswahl) die fünf grundlegenden Wahlrechtsgrundsätze: Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt.
1) Die Allgemeinheit der Wahl betrifft die Teilnahme an der Wahl in den beiden Beteiligungsformen: wählen und gewählt werden (aktives und passives Wahlrecht). Der Grundsatz bedeutet, dass das aktive und passive Wahlrecht grundsätzlich allen Bevölkerungsgruppen in gleicher Weise offenstehen muss. Unzulässig ist es daher, bestimmte Personen aus politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Gründen von der Ausübung des Wahlrechts auszuschließen. Einschränkungen sind nur zulässig, wenn sie ihrerseits allgemein gehalten sind und für sie ein zwingender Grund besteht.
Anerkannt ist z. B. die Beschränkung der Wahlberechtigung auf Deutsche (Ausländerwahlrecht) und im Hinblick auf das Wahlalter.
2) Der Grundsatz der Gleichheit der Wahl ist eine spezielle Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes. Gleichheit der Wahl verlangt, dass jedermann sein Wahlrecht in formal möglichst gleicher Weise ausüben kann. Alle Wähler sollen mit ihren Stimmen den gleichen Einfluss auf das Wahlergebnis haben.
Dies gilt für den gesamten Wahlvorgang von der Aufstellung der Bewerber über die Stimmabgabe und Auswertung der abgegebenen Stimmen bis zur Zuteilung der Abgeordnetensitze; für die Wähler ebenso wie für die Wahlbewerber (Kandidaten) und die sie unterstützenden politischen Parteien (Chancengleichheit). Einschränkungen der Wahlrechtsgleichheit sind nur zulässig, wenn der Zweck des Wahlverfahrens es zwingend erfordert. Dies ist z. B. bei der 5 %-Klausel anerkannt (Sperrklausel).
3) Unmittelbarkeit der Wahl bedeutet, dass zwischen Stimmabgabe des Wählers und Ermittlung der gewählten Abgeordneten keine weitere Instanz mit Entscheidungsbefugnissen eingeschaltet werden darf.
Unzulässig wäre also z.B. ein Wahlmännergremium wie bei der Wahl des US-Präsidenten.
4) Freiheit der Wahl verlangt, dass kein öffentlicher oder privater Zwang auf den Inhalt der Wahlentscheidung ausgeübt werden darf.
Unzulässig ist danach selbstverständlich eine Wahlbeeinflussung durch staatliche Stellen. Aber auch Einwirkungen Privater sind unzulässig, wenn sie die Entscheidungsfreiheit der Wähler ernstlich beeinträchtigen können.
5) Der Grundsatz der geheimen Wahl dient der Absicherung der Wahlfreiheit. Er gibt dem Wähler das Recht, den Inhalt seiner Wahlentscheidung für sich zu behalten und gebietet Vorkehrungen organisatorischer Art beim Wahlvorgang (z. B. Wahlkabinen).
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