Anordnungsverfahren
Gerichtliches Verfahren im vorläufigen Rechtsschutz gerichtet auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung, § 123 VwGO.
Für einen Antrag nach § 123 VwG() muss der Verwaltungsrechtsweg (Rechtsweg) eröffnet sein. Statthaft ist der Antrag gem. § 123 Abs. 5 VwGO, wenn kein Fall der §§ 80,80 a VwG() vorliegt (Aussetzungsverfahren). Dies ist grundsätzlich der Fall, wenn in der Hauptsache keine Anfechtungsklage, sondern eine Verpflichtungs-, Leistungs- oder Feststellungsklage einschlägig ist.
§ 123 Abs. 1 VwG() unterscheidet zwei Arten der einstweiligen Anordnung, und zwar
— die Sicherungsanordnung, § 123 Abs. 1 S.1 VwGO, mit der es dem Antragsteller um die Sicherung einer bestehenden Rechtsposition (des status quo) geht. Wesensmerkmal der Sicherungsanordnung ist, dass die zu sichernde Rechtsposition bereits unstreitig besteht und der bestehende Zustand nicht verändert werden soll (z. B. Verhinderung der Beförderung eines Konkurrenten im beamtenrechtlichen Konkurrentenstreit Konkurrentenklage);
— die Regelungsanordnung, § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO, die auf die vorläufige Regelung eines streitigen Rechtsverhältnisses oder Rechts des Antragstellers gerichtet ist. Hier geht es dem Antragsteller um eine Erweiterung seines Rechtskreises und damit um eine Veränderung des status quo (z. B. Erteilung einer vorläufigen Baugenehmigung).
Auch die einstweilige Anordnung setzt eine Antragsbefugnis analog § 42 Abs. 2 VwG() voraus (Klagebefugnis). Der richtige Antragsgegner bestimmt sich analog § 78 VwGO, soweit in der Hauptsache eine Verpflichtungsklage einschlägig wäre. Ansonsten gilt das Rechtsträgerprinzip (Klagegegner).
Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn der Antragsteller nicht vorab einen Antrag bei der Behörde gestellt hat. Anders als ins Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ist jedoch ein Rechtsbehelf in der Hauptsache nicht Voraussetzung für einen zulässigen Antrag nach § 123 VwGO.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist begründet, wenn der Antragsteller die tatsächlichen Voraussetzungen für einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat (§ 123 Abs. 3 VwGO, § 920 ZPO).
Der Anordnungsanspruch ist identisch mit dem in der Hauptsache zu verfolgenden materiell-rechtlichen Anspruch, also z. B. dem Bewerbungsverfahrensanspruch beim beamtenrechtlichen Konkurrentenstreit. Entscheidend sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Das VG überprüft, ob der geltend gemachte Anspruch nach den (glaubhaft gemachten) Tatsachen gegeben ist oder nicht.
Des Weiteren muss ein Anordnungsgrund gegeben sein. Der Anordnungsgrund betrifft die Frage nach der Eilbedürftigkeit der begehrten Maßnahme. Bei der Sicherungsanordnung ist ein solcher Grund gegeben, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO. Dies ist der Fall, wenn die Durchsetzbarkeit des Rechts im Hauptsacheverfahren ernstlich gefährdet würde. Ob eine solche Gefahr besteht, bestimmt sich nach einer umfassenden Güter- und Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Dringlichkeit des Anspruches, der Zumutbarkeit, ein Hauptsacheverfahren abzuwarten, sowie der Frage, ob irreparable Schäden drohen. Bei der Regelungsanordnung ist ein Anordnungsgrund gegeben, wenn die vorläufige Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint, § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO. Es erfolgt auch hier eine umfassende Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Interessen des Antragstellers sowie der gegenläufigen öffentlichen und privaten Interessen. Abgestellt wird darauf, ob dem Antragsteller ein Abwarten auf eine Entscheidung in der Hauptsache zumutbar ist.
Nach § 123 Abs. 3 VwGO gelten die §§ 920 ff. ZPO für das Anordnungsverfahren entsprechend. Gem. § 920 Abs. 2 ZPO genügt hinsichtlich der den Erlass der einstweiligen Anordnung rechtfertigenden Tatsachen die Glaubhaftmachung. Dies geschieht durch alle (präsenten) Beweismittel oder durch die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung (§ 294 ZPO). Sind die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegeben, so muss die einstweilige Anordnung erlassen werden. Das Ermessen des Gerichts bezieht sich lediglich auf den Inhalt der Entscheidung, § 123 Abs. 3 VwGO, § 938 ZPO. Hinsichtlich des Ermessens bestehen zwei Einschränkungen: Das Gericht darf
- nicht mehr gewähren als in der Hauptsache. Problematisch ist diese Einschränkung, wenn in der Hauptsache allenfalls ein Bescheidungsurteil (Verpflichtungsklage) ergehen könnte. Da eine bloße Neubescheidung kurzfristig keinen ausreichenden Rechtsschutz gewährleistet, hält die Rspr. in engen Ausnahmefällen, eine über die Hauptsacheentscheidung hinausgehende (vorläufige) Verpflichtung der Behörde für zulässig;
* die Hauptsache nicht vorwegnehmen. Dies folgt daraus, dass die einstweilige Anordnung nur eine vorläufige Entscheidung bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens darstellt. Das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache gilt aber nicht uneingeschränkt. Wegen des Gebotes der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Rechtsschutzgarantie, Art. 19 Abs. 4 GG) ist eine Vorwegnahme der Hauptsache ausnahmsweise zulässig, wenn das Recht des Antragstellers ansonsten vereitelt würde oder ihm aus anderen Gründen eine bloß vorläufige Regelung nicht zumutbar wäre, z. B. weil Schäden drohen, die bei einem erfolgreichen Hauptsacheverfahren nicht mehr rückgängig gemacht werden können.
Über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung entscheidet das Verwaltungsgericht durch Beschluss (§ 123 Abs. 4 VwGO), gegen den die Beschwerde (§ 146 Abs. 1 VwGO) stattfindet.
Das Gericht kann wie im -÷ Aussetzungsverfahren den Beschluss nachträglich aufheben oder ändern. Umstritten ist lediglich, ob hierfür § 927 ZPO analog gilt (die Nichterwähnung des § 927 ZPO in § 123 Abs. 3 VwG() wird als redaktionelles Versehen angesehen), oder ob § 80 Abs. 7 VwG() analog anzuwenden ist. Bedeutung hat dies für die Frage, ob das Gericht die Änderung - wie im Rahmen des § 80 Abs. 7 VwG() auch von Amts wegen vornehmen darf, oder ob - wie im Rahmen des § 927 ZPO - ein Antrag erforderlich ist.
Der Antragsteller ist dem Antragsgegner gern. § 123 Abs. 3 VwGO, § 945 ZPO zum Schadensersatz verpflichtet, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung von vornherein unberechtigt war. Dabei handelt es sich um eine verschuldensunabhängige Haftung des Antragstellers. Anspruchsberechtigt ist jedoch nur der Antragsgegner, dagegen nicht der Beigeladene. Beiladung.
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