Anfechtungsklage
Bei der Anfechtungsklage handelt es sich um eine Klage vor dem Verwaltungsgericht, in der ein Bürger die Aufhebung eines ihn betreffenden Verwaltungsaktes, beispielsweise eines Gebührenbescheides, begehrt.
1. Hat ein Schuldner in der Absicht, seine Gläubiger zu benachteiligen, Vermögenswerte verschoben (zum Beispiel seiner Frau oder seinen Kindern geschenkt), so können seine Gläubiger (bei einem Konkurs der Konkursverwalter) von den derart begünstigten Personen die Rückübertragung der Vermögenswerte auf den Schuldner verlangen, damit sie diese verwerten können (§§ 29-42 KO). Hat eine verheiratete Frau ein Kind bekommen, so wird zunächst vermutet, daß dieses von ihrem Ehemann abstammt. Stammt das Kind jedoch in Wahrheit aus einem Ehebruch seiner Mutter, so kann entweder der Ehemann oder das Kind selbst seine Ehelichkeit durch Klage vor dem Amtsgericht anfechten, die allerdings nur binnen zwei Jahren nach Bekannt werden des Ehebruchs (vom Kind auch noch binnen zwei Jahren nach Eintritt seiner Volljährigkeit) erhoben werden kann. Mit Rechtskraft des Urteils wird das Kind dann nichtehelich (§§1593-1600 BGB). Ist ein Bürger durch einen Verwaltungsakt in seinen Rechten beeinträchtigt worden, so kann er eine Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht erheben, mit der er die Aufhebung des Verwaltungsaktes beantragen kann - allerdings erst, wenn er bei der vorgesetzten Behörde Widerspruch gegen den Verwaltungsakt eingelegt hat und damit erfolglos geblieben ist. Die Klage muß dann binnen eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheides erhoben werden. Sie hat in der Regel aufschiebende Wirkung, das heißt, der mit ihr angegriffene Verwaltungsakt darf nicht vollzogen werden, bis über sie entschieden worden ist (§§68-80 VwGO). Ähnliches gilt für Anfechtungsklagen vor dem Finanz- und dem Sozialgericht.
auf Vernichtung eines Rechtes (Rechtszustandes) gerichtete Gestaltungsklage. Im Zivilprozess z. B. Die Ehenichtigkeitsklage (Klage), Anfechtung der Ehelichkeit eines Kindes (Ehelichkeitsanfechtung), Anfechtungsklage gegen Hauptversammlungsbeschlüsse einer Aktiengesellschaft. Im Verwaltungsrechtmrd mit A. die Aufhebung eines fehlerhaften Verwaltungsaktes verlangt (Verwaltungsprozess). Mit der Rechtskraft des (obsiegenden) Urteils wird der angefochtene Akt oder Zustand wirkungslos.
Klage; verwaltungsgerichtliches Verfahren.
Im Sozialrecht:
Sozialgerichtsprozess
(§ 42 I VwGO) ist die auf Aufhebung eines Verwaltungsakts gerichtete Klage. Die A. ist eine Gestaltungsklage. Sie setzt die erfolglose Durchführung eines vorgerichtlichen Widerspruchsverfahrens voraus. Sie ist nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten beeinträchtigt zu sein. Sie hat grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Begründet ist sie, soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch tatsächlich in seinen Rechten verletzt ist (§11311 VwGO). Dann wird der Verwaltungsakt im Urteil aufgehoben. Lit.: Pöcker, M., Die Rechtsfolgen der Einlegung von Widerspruch und Anfechtungsklage, 2001; Holler, L., Das Verhältnis der Anfechtungsklage und Spruchverfahren, 2006
, Gesellschaftsrecht: Klage gern. § 243 ff. AktG mit dem Ziel, einen Beschluss der Hauptversammlung für nichtig zu erklären. Obwohl die Anfechtungsklage als Gestaltungsklage formal ein anderes Ziel verfolgt als die auf Feststellung der Nichtigkeit gerichtete Nichtigkeitsklage, ist der Streitgegenstand beider Klagen identisch. Die Anfechtungsklage und die Nichtigkeitsklage verfolgen dasselbe materielle Ziel, nämlich die richterliche Klärung der Nichtigkeit des Beschlusses mit Wirkung für und gegen jedermann (BGHZ 134, 364). Die Regeln über die Anfechtungsklage gelten entsprechend für Beschlüsse in Gesellschafterversammlungen von Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Dies gilt allerdings nicht für die strikte Frist von einem Monat, innerhalb derer gem. § 246 Abs. 1 AktG die Anfechtungsklage erhoben werden muss. Die Klage muss gleichwohl mit aller den an fechtungsberechtigten Gesellschaftern zumutbaren Beschleunigung erhoben werden. Dabei kann die Monatsfrist des § 246 Abs. 1 AktG als Leitbild herangezogen werden (BGHZ 111, 224).
Aufgrund der hohen Anzahl von missbräuchlichen Aktionärsklagen, ist derzeit eine Verschärfung des Freigabeverfahrens gern. § 246 a AktG geplant.
Sozialrecht: Sozialgerichtlich als isolierte Anfechtungsklage weniger bedeutsam als in der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit. Das Klagebegehren ist nämlich nicht auf die Abwehr eines Eingriffs in bestehende Rechte, also bloß auf die Aufhebung eines belastenden Verwaltungsaktes, sondern regelmäßig auf die Verurteilung zur Gewährung einer Sozialleistung ausgerichtet. Die isolierte Anfechtungsklage ist deshalb einschlägig, wenn ein Leistungsträger durch einen Verwaltungsakt in Rechte eines Beteiligten eingegriffen hat, wie beispielsweise bei der Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes gem. § 45 SGB X oder der Erteilung eines Änderungsbescheides i. S. d. Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung gem. § 48 SGB X. Als Besonderheit gerade für isoliert belastende Verwaltungsenstchseidungen sieht § 114a SGG seit dem 1.4. 2008 bei Musterverfahren mit Widersprüchen in mehr als 20 gleichgelagerten Fällen die Aussetzung der Parallelsachen und Durchführung allein eines einzigen Musterprozesses unter den dort näher bezeichneten gesetzlichen Voraussetzungen vor. Allgemein hat im Übrigen die kombinierte Anfechtungsklage und Leistungsklage i. S. v. § 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz die praktisch größte Bedeutung im Sozialgerichtsprozess. Mit dieser Klageart erstrebt der Kläger die Aufhebung eines ablehnenden Verwaltungsaktes sowie die Verurteilung des Beklagten zur Leistung. Voraussetzungen sind, dass ein ablehnender Verwaltungsakt, der die beantragte Leistung ganz oder teilweise versagt, vorliegt, zudem das Vorverfahren durchgeführt wurde und im Übrigen die allgemeinen Rechtsschutzvoraussetzungen für die sozialgerichtliche Überprüfung vorliegen. Bei der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage handelt es sich regelmäßig um die völlige bzw. teilweise Ablehnung einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, wie beispielsweise der Rente wegen Erwerbsminderung, dem Krankengeld oder von Leistungen der Bundesagentur für Arbeit wie Arbeitslosengeld.
Die Leistung darf nicht im Ermessen der Behörde stehen, wie beispielsweise bei Rehabilitationsmaßnahmen der einzelnen Sozialleistungsträger. In derartigen Fällen ist die Verurteilung der Behörde auf Erteilung eines Verwaltungsaktes das Klageziel, abgesehen von den auch im allgemeinen Verwaltungsrecht anerkannten Sonderfällen der Ermessensreduzierung. Das Klagebegehren geht bei kombinierter Anfechtungs-und Verpflichtungsklage dahin, die Behörde unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides zu verpflichten, den Antrag auf die Leistung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden. Bei der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage geht der Antrag dahin, den angefochtenen Bescheid, regelmäßig in der Gestalt des Widerspruchsbescheides, ganz bzw. teilweise aufzuheben und den Leistungsträger zur Gewährung der mit der Klage begehrten Sozialleistung, beispielsweise Rente, Krankengeld oder Arbeitslosengeld, zu verurteilen.
Verwaltungsprozessrecht: Verwaltungsgerichtliche Klageart, die auf die Aufhebung eines Verwaltungsaktes gerichtet ist, § 42 Abs. 1, 1. Fall VwGO. Sie ist eine Gestaltungsklage, die den Verwaltungsakt ganz oder teilweise aus der Welt schafft, nicht aber den Inhalt ändert. Etwas anderes gilt für die Abänderungsklage nach § 113 Abs. 2 VwGO: Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsaktes, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Dies gilt allerdings nur bei gebundenen Verwaltungsakten, nicht bei Ermessensentscheidungen. Ermessen.
Typischer Fall der Anfechtungsklage ist die Klage des Adressaten gegen einen ihn belastenden Verwaltungsakt (z. B. eine Ordnungsverfügung). Die Anfechtungsklage ist aber auch dann einschlägig, wenn sich der Kläger gegen einen Verwaltungsakt wehrt, der einen Dritten belastetet (z. B. die Ehefrau eines Ausländers klagt gegen die an ihren Ehemann gerichtete Ausweisungsverfügung). Die Anfechtungsklage ist ebenfalls statthaft gegen Verwaltungsakte mit Doppelwirkung, wenn sich ein Dritter z. B. gegen einen ihn belastenden, aber den Adressaten begünstigenden Verwaltungsakt wendet (Nachbar klagt gegen die dem Bauherrn erteilte Baugenehmigung, sog. Nachbarklage). Dann spricht man auch von einer Drittanfechtungsklage.
Gegenstand einer Anfechtungsklage ist grundsätzlich der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat, § 79 Abs. 1 Nr.1 VwGO. Der Widerspruchsbescheid kann alleiniger Gegenstand der Anfechtungsklage sein,
— wenn er eine erstmalige Beschwer enthält, § 79 Abs. 1 Nr.2 VwG() (z.B. erlässt die Widerspruchsbehörde auf einen Widerspruch des Bauherrn die ursprünglich versagte Baugenehmigung, die den Nachbarn beschwert, da die Abstandsflächen nicht eingehalten werden), oder
— wenn der Widerspruchsbescheid gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche selbstständige Beschwer enthält, § 79 Abs. 2 S.1 VwG() (Verschlechterungsverbot). Als eine zusätzliche Beschwer gilt auch die Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift, sofern der Widerspruchsbescheid darauf beruht, § 79 Abs. 2 S.2 VwG() (z. B. ein Verstoß gegen die Anhörungspflicht gem. § 71 VwGO).
Besondere Sachurteilsvoraussetzungen der Anfechtungsklage sind das Vorliegen einer Klagebefugnis, die ordnungsgemäße Durchführung eines Widerspruchsverfahrens, die Einhaltung der Klagefrist und der richtige Klagegegner.
Die Anfechtungsklage ist begründet, soweit der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig und der
Kläger dadurch tatsächlich in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 S.1 VwGO). Der Verwaltungsakt muss nicht nur objektiv rechtswidrig sein, sondern ein subjektives Recht des Klägers verletzen. Der Bürger hat keinen allgemeinen Gesetzesvollziehungsanspruch. Bei der Adressatenklage ist dies unproblematisch, da belastende Maßnahmen stets zumindest in die allgemeine Handlungsfreiheit des Adressaten (Art.2 Abs. 1 GG) eingreifen, sodass bei rechtswidrigem Verwaltungsakt in diesen Fällen eine Rechtsverletzung stets gegeben ist. Denn ein Eingriff in das Grundrecht kann nur von rechtmäßigen Maßnahmen gedeckt sein. Problematisch ist das Vorliegen einer Rechtsverletzung bei Klagen eines Dritten. In dieser Situation kann sich der Dritte nur auf die Verletzung einer drittschützenden Norm berufen. Dies sind nach der Schutznormtheorie nur solche Vorschriften, die nicht nur die Interessen der Allgemeinheit schützen, sondern zumindest auch dem Schutz der Individualinteressen des Klägers zu dienen bestimmt sind. Im Zweifelsfall ist dies durch Auslegung nach Sinn und Zweck der Norm zu ermitteln (z. B. Nachbarschutz im Baurecht). Mit der Anfechtungsklage kann gern. § 113 Abs. 1 S. 2 VwG() ein Antrag auf Rückgängigmachung der Vollziehung verbunden werden, wenn der Verwaltungsakt im Zeitpunkt des Urteils schon vollzogen ist (Annex-Antrag). Hat z. B. der Kläger auf einen Leistungsbescheid gezahlt, so kann er neben der Aufhebung des Verwaltungsaktes (Anfechtungsklage) gleichzeitig die Rückzahlung des Geldes begehren (Annex-Antrag). Beim Annex-Antrag handelt es sich entweder um einen Leistungsantrag oder um einen Verpflichtungsantrag, je nach dem, ob der Vollzug durch schlichtes Verwaltungshandeln oder durch Erlass eines Verwaltungsaktes rückgängig gemacht werden muss. Der Annex-Antrag hat für den Kläger den Vorteil, dass er nicht die Rechtskraft des Anfechtungsurteils abwarten muss, sondern sein Leistungsbegehren zusammen mit der Anfechtungsklage verfolgen kann. Außerdem entfällt eine gesonderte Prüfung der besonderen Sachurteilsvoraussetzungen für den Annex-Antrag, sodass z. B. bei einem Verpflichtungs-Annex-Antrag die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens nicht erforderlich ist.
In den Fällen, in denen der materiell-rechtliche Leistungsanspruch ebenfalls erst mit Rechtskraft des Anfechtungsurteils entsteht, es sich aber nicht um einen Anspruch wegen Vollzugs eines Verwaltungsaktes handelt, kann ein Annex-Antrag gern. § 113 Abs. 4 VwG() gestellt werden.
Verwaltungsstreitverfahren (1 a), Abstammung (3 a), Hauptversammlungsbeschluss.
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