Zeugenschutz

Sammelbegriff für Maßnahmen vor, während oder nach der Aussage eines Zeugen, die den Zeugen entweder vor Gefahren schützen sollen (insbes. „Racheakte” aus dem Umfeld des Beschuldigten) oder der Geheimhaltung von Personalien des Zeugen dienen, um dessen Wahrnehmungen auch zukünftig als Informationsquelle nutzen zu können. Besondere Bedeutung hat der Zeugenschutz ins Bereich der Organisierten Kriminalität. Die StPO enthält insbesondere durch das am 1. 12.1998 in Kraft getretene Gesetz zum Schutz von Zeugen bei Vernehmungen im Strafverfahren und zur Verbesserung des Opferschutzes” (ZSG; BGBl. I, 820) zahlreiche Einzelregelungen, die den Schutz von Zeugen bezwecken:
* Bei der Gefährdung des Zeugen kann statt des Wohnortes der Dienstort oder eine andere ladungsfähige Anschrift angegeben werden (§ 68 Abs. 2 StPO).
* Unter den Voraussetzungen des § 68 Abs. 3 StPO kann der Zeuge Angaben zur Person nicht oder nur über eine frühere Identität machen.
* Unter den Voraussetzungen des § 68b StPO kann das Gericht dem Zeugen einen Rechtsanwalt als Zeugenbeistand beiordnen.
* Bei Gefährdung von Zeugen kann der Beschuldigte gemäß § 168 c Abs. 3 StPO von der Anwesenheit bei richterlichen Vernehmungen ausgeschlossen werden.
* Ist ein erheblicher Nachteil für einen unter 16 Jahre alten Zeugen durch die Vernehmung in Gegenwart des Angeklagten zu beflirchten, ist die vorübergehende Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungssaal in der Hauptverhandlung möglich (§ 247 S.2 StPO). Bei der Gefahr schwerwiegender Nachteile für den Zeugen ist ferner - subsidiär gegenüber der Möglichkeit, den Angeklagten zu entfernen eine Video-Vernehmung gemäß § 247 a StPO in Betracht zu ziehen (vgl. auch §§ 58a, 168e StPO zu den Möglichkeiten einer Bild-Ton-Aufzeichnung).
* Dem Zeugenschutz dienen kann die Verweigerung der Aussagegenehmigung oder die Geheimhaltung von Name und Anschrift eines Zeugen durch eine Behörde. Den Ausschluss der Öffentlichkeit zum Schutz eines Zeugen ermöglicht § 172 Nr.1 a GVG.
Über diese punktuellen Regelungen hinausgehende Zeugenschutzmaßnahmen wurden früher auf die polizeirechtlichen Generalklauseln oder auf die Regelung des strafrechtlichen Notstandes (§ 34 StGB) gestützt. Auf Bundesebene sahen §§ 6 und 26 BKAG Befugnisse des Bundeskriminalamts vor. Das am 31. 12. 2001 in Kraft getretene „Gesetz zur Harmonisierung des Schutzes gefährdeter Zeugen” (ZSHG; BGBl. I, 3510) hat nunmehr in wichtigen Bereichen bundeseinheitliche Regelungen geschaffen:
* § 4 ZSHG sieht vor, dass Zeugenschutzdienststellen der Polizeien gegenüber öffentlichen und nichtöffentlichen Stellen mit Ausnahme von Staatsanwaltschaften jede Auskunft über personenbezogene
Daten der zu schützenden Personen verweigern können.
§5 ZSHG regelt den Aufbau vorübergehender Tarnidentitäten für gefährdete Zeugen. Der Gesetzgeber hat sich damit gegen die weitergehenden Forderungen der Praxis nach der Möglichkeit dauerhafter Tarnidentitäten entschieden. Die Norm erfasst auch das Herstellen und Beschaffen entsprechender Urkunden („Tarnpapiere”).
Die weiteren Regelungen des Gesetzes betreffen den Fortbestand von Leistungsansprüchen der durch Tarnidentitäten geschützten Zeugen sowie Ansprüche gegen diese Personen und Sonderregelungen für den Zeugenschutz bei freiheitsentziehenden Maßnahmen. Die neuen Regelungen des ZSHG sind gegenüber § 26 Abs. 1 S.1 BKAG vorrangig.

1.
Z. im Strafverfahren ist vor allem zur wirksamen Strafverfolgung der Organisierten Kriminalität erforderlich. Das berechtigte Verteidigungsinteresse des Angeklagten muss aber berücksichtigt werden.

2.
Eine Behörde oder ein Beamter kann Namen und Anschrift eines Zeugen geheim halten, wenn eine Sperrerklärung von der obersten Dienstbehörde abgegeben wird (§ 96 StPO) oder keine Aussagegenehmigung erteilt wird (§ 54 StPO). Ist dies nicht der Fall, kann in der Vernehmung ein Zeuge, der seine Wahrnehmungen in amtlicher Eigenschaft gemacht hat, statt des Wohnorts den Dienstort angeben. Einem gefährdeten Zeugen kann gestattet werden, statt des Wohnorts den Geschäfts- oder Dienstort anzugeben oder keine Angaben dazu zu machen, einem erheblich gefährdeten Zeugen, Angaben zur Person nicht oder nur über eine frühere Identität zu machen; die Unterlagen über die Identität werden dann bei der Staatsanwaltschaft verwahrt (§ 68 StPO). In der Anklageschrift, in der grundsätzlich die Angabe des Wohn- oder Aufenthaltsorts ohne Angabe der vollständigen Anschrift ausreicht, genügt in diesen Fällen die Angabe des Namens des Zeugen (§ 200 I 3, 4 StPO). Der Beschuldigte kann von der Vernehmung eines Zeugen von der Hauptverhandlung ausgeschlossen werden, wenn seine Anwesenheit den Untersuchungszweck gefährden würde (§ 168 c StPO). Der Angeklagte kann während der Zeugenvernehmung aus der Hauptverhandlung entfernt werden, wenn andernfalls eine nicht wahrheitsgemäße Aussage des Zeugen oder ein nicht unerheblicher Nachteil für das Wohl eines Zeugen unter 18 Jahren zu befürchten oder wenn ein schwerwiegender Nachteil für die Gesundheit eines Zeugen über 18 Jahren zu erwarten ist (§ 247 StPO).

3.
Zulässig sind auch Bild-Ton-Aufzeichnungen oder -Übertragungen von Zeugenaussagen (§§ 58 a, 168 e, 247 a, 255 a StPO). In Verfahren wegen Sexualstraftaten, Tötung und Misshandlung von Schutzbefohlenen (Körperverletzung) kann die Vernehmung eines Zeugen unter 18 Jahren in der Hauptverhandlung durch die Vorführung der Aufzeichnung seiner früheren richterlichen Vernehmung ersetzt werden. Im Übrigen ist die Vorführung der Aufzeichnung einer früheren Zeugenvernehmung in der Hauptverhandlung unter den gleichen Voraussetzungen (§§ 251, 252, 253, 255 StPO) zulässig wie die Verlesung eines Protokolls. Bewirkt eine Vernehmung vor oder in der Hauptverhandlung die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen, so kann sie getrennt von den Anwesenheitsberechtigten durchgeführt werden; sie ist diesen zeitgleich in Bild und Ton zu übertragen.

4.
In der Hauptverhandlung kann die Öffentlichkeit bei Gefährdung eines Zeugen ausgeschlossen werden (§ 172 Nr. 1 a GVG). S. a. verdeckte Ermittlungen und z. B. für Bayern Richtlinien zum Z. (Bek. v. 29. 11. 1994, JMBl. 1995, 14) sowie Bundeskriminalamt.

5.
Der Z. außerhalb des Strafverfahrens ist im Z.-HarmonisierungsG (ZSHG) vom 11. 12. 2001 (BGBl. I 3510) geregelt. Er kann einer Person gewährt werden, ohne deren Angaben in einem Strafverfahren die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsorts des Beschuldigten aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre, wenn durch ihre Aussagebereitschaft Leben, Gesundheit, Freiheit oder wesentliche Vermögenswerte gefährdet sind. Ebenso können Angehörige der Person oder sonst nahestehende Personen geschützt werden. Die Beendigung des Strafverfahrens führt nicht zur Aufhebung des Z., soweit die Gefährdung fortbesteht. Zuständig für den Z. sind die Z.-Dienststellen, die zur Geheimhaltung verpflichtet sind. Sie können öffentliche Stellen ersuchen, die dann entsprechend berechtigt sind, und von nicht öffentlichen Stellen verlangen, personenbezogene Daten des Zeugen zu sperren (z. B. § 44 a BZRG) oder nicht zu übermitteln und Tarndokumente mit mitgeteilten Daten zum Aufbau oder zur Aufrechterhaltung einer vorübergehenden Tarnidentiät herzustellen oder zu verändern und die geänderten Daten zu verarbeiten. Der Zeuge darf unter der Tarnidentiät am Rechtsverkehr teilnehmen. Bei einer Vernehmung in einem anderen gerichtlichen Verfahren als dem Strafverfahren ist er berechtigt, Angaben zur Person nur über seine frühere Identität zu machen und i. ü. unter Hinweis auf den Z. zu verweigern. Zuwendungen an den Z. dürfen nur in dem erforderlichen Umfag gewährt werden.




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