Binnenmarkt, Umsatzsteuer

1.
Der von der Europäischen Union angestrebte und zum 1. 1. 1993 verwirklichte gemeinsame Wirtschaftsraum (Binnenmarkt) verlangte die Angleichung der Umsatzsteuer und der speziellen Verbrauchsteuern in den Mitgliedstaaten. Nur so konnte ein freier Warenverkehr ohne Grenzkontrollen zwischen den Mitgliedstaaten gewährleistet werden. Diesem Ziel dient die Richtlinie des Europäischen Rates vom 16. 12. 1991 (Binnenmarkt-Richtlinie, ABl. EG 1991 Nr. L 376/1). Art. 3 der Richtlinie hat die Mitgliedstaaten verpflichtet, die notwendigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die zur Anpassung erforderlich sind, mit Wirkung zum 1. 1. 1993 zu erlassen. Die BRep. hat durch das Gesetz zur Anpassung des Umsatzsteuergesetzes an den Binnenmarkt vom 25. 8. 1992 die erforderlichen Ergänzungen und Änderungen vorgenommen. Die Binnenmarktbesteuerung wurde durch das Einschieben von „a, b, c …“ - §§ in das Umsatzsteuergesetz vorgenommen. Die zunächst bis zum 31. 12. 1996 befristete Übergangslösung gilt mangels anderweitiger Regelung noch heute.

2.
Durch das Umsatzsteuer-Binnenmarktgesetz wurden u. a. folgende neue Begriffe und Prinzipien eingeführt:

a)
Innergemeinschaftliche Lieferung: Lieferung von Gegenständen, die im Rahmen des innergemeinschaftlichen gewerblichen Warenverkehrs aus einem Mitgliedstaat in einen anderen ausgeführt werden. Diese Lieferung ist grundsätzlich umsatzsteuerfrei.

b)
Innergemeinschaftlicher Erwerb: Gelangt im Rahmen des innergemeinschaftlichen gewerblichen Warenverkehrs ein Gegenstand aus einem Mitgliedstaat in einen anderen, so liegt beim Erwerber regelmäßig ein innergemeinschaftlicher Erwerb vor. Dieser Erwerb ist grundsätzlich umsatzsteuerpflichtig in dem Mitgliedstaat, in den der Gegenstand durch die Lieferung gelangt (Bestimmungsland).

c)
Umsatzsteuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung und umsatzsteuerpflichtiger innergemeinschaftlicher Erwerb stehen einander spiegelbildlich gegenüber. Zur Gewährleistung dieses Grundprinzips erhalten Unternehmen, die sich am innergemeinschaftlichen Waren- und Dienstleistungsverkehr beteiligen, eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer. Diese wird auf Antrag vom Bundeszentralamt für Steuern, Außenstelle Saarlouis, erteilt. Gibt der Erwerber beim Kauf des Liefergegenstandes diese an, so kann der liefernde Unternehmer davon ausgehen, dass der Erwerb des Gegenstands beim Abnehmer im anderen Mitgliedstaat der Umsatzsteuer unterliegt.

d)
Privatperson: Erfolgt eine Lieferung aus einem Mitgliedstaat an eine Privatperson in einem anderen Mitgliedstaat, so ist die Umsatzsteuer grundsätzlich in dem Staat zu erheben, aus dem der gelieferte Gegenstand kommt (Ursprungsland). Ausnahmen bestehen beim Versandhandel und bei der Fahrzeugeinzelbesteuerung.

e)
Versandhandel: Eine Versendungslieferung liegt vor, wenn Gegenstände aus einem Gebiet des Mitgliedstaats in das Gebiet eines anderen - insbes. an private Abnehmer - vom liefernden Unternehmer befördert oder versendet werden. Grundsätzlich sind diese Lieferungen dort zu erfassen, wo die Beförderung oder Versendung endet (Bestimmungsland). Bedingung ist u. a., dass der Lieferant mit seinen gesamten innergemeinschaftlichen Versendungslieferungen im Vorjahr und voraussichtlich auch im laufenden Jahr die Lieferschwelle überschreitet. Die Lieferschwellen sind in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich (vgl. 42 j UStR 2005). Die deutsche Lieferschwelle beträgt 100 000 EUR. Sie gilt für Unternehmer aus anderen Mitgliedstaaten, die in die BRep. Versendungslieferungen ausführen. Wird diese Lieferschwelle nicht erreicht, so ist die Umsatzsteuer für die Versendungslieferung in dem Mitgliedstaat abzuführen, in dem die Versendung beginnt (Ursprungsland).

f)
Fahrzeugeinzelbesteuerung. Die Lieferung neuer Fahrzeuge (bis 3000 km, stets in den ersten 3 Monaten) unterliegt immer der Umsatzsteuer im Bestimmungsland. Der Lieferant ist zum Vorsteuerabzug berechtigt. Der Erwerber muss im Inland die Umsatzsteuer (Erwerbsteuer) bezahlen. Damit diese Steuerfestsetzung erfolgt, muss der Erwerber innerhalb von 10 Tagen nach dem Erwerb eine Umsatzsteuererklärung abgeben.

g)
Schwellenerwerber: Unternehmer, die wegen ausschließlich steuerfreier Umsätze vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen sind, z. B. Ärzte; Kleinunternehmer, die keine Umsatzsteuer entrichten (§ 19 I UStG); pauschaliert besteuerte Land- und Forstwirte (§ 24 I UStG, Durchschnittssätze) sowie juristische Personen außerhalb ihres Unternehmens, z. B. öffentliche Hand im Hoheitsbereich oder gemeinnütziger Verein im ideellen Bereich, führen grundsätzlich keinen innergemeinschaftlichen Erwerb aus. Überschreitet der Gesamtbetrag der Entgelte für derartige Erwerbe im laufenden Jahr 12 500 EUR oder wurde dieser Betrag im Vorjahr überschritten, dann nehmen auch diese Unternehmer einen innergemeinschaftlichen Erwerb vor. Ein Vorsteuerabzug steht ihnen aus diesen Erwerben grundsätzlich nicht zu (Umsatzsteuer, 7). Die Erwerbsschwellen der einzelnen Mitgliedstaaten sind verschieden hoch. Auf die Anwendung der Erwerbsschwelle kann der Unternehmer verzichten und sich für eine uneingeschränkte Besteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs entscheiden. Die Verzichtserklärung hat der betreffende Erwerber an das Finanzamt zu richten. Sie bindet ihn für mindestens zwei Jahre.

h)
Zusammenfassende Meldung: Der Unternehmer ist verpflichtet, vierteljährlich die steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferungen und ab 1. 1. 2010 auch die innergemeinschaftlichen Dienstleistungen in zusammenfassenden Meldungen an das Bundeszentralamt für Steuern zu melden. Dabei ist für jeden belieferten Erwerber der Gesamtbetrag der umsatzsteuerlichen Bemessungsgrundlage der an ihn ausgeführten innergemeinschaftlichen Lieferungen im Meldezeitraum sowie dessen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer anzugeben (zu den Einzelheiten s. VO 13. 5. 1993, BGBl. I 726; BMF BStBl. I 1998, 99). Als innergemeinschaftliche Dienstleistungen werden solche Dienstleistungen erfasst, die unter das Empfängerortprinzip (Umsatzsteuer, 4 b) fallen und für die die in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Leistungsempfänger die Steuer schulden. Die Anforderungen an die Angaben entsprechen denen bei innergemeinschaftlichen Lieferungen. Die Leistungen sind in dem Meldezeitraum anzugeben, in dem der Unternehmer die Rechnung ausgestellt hat, spätestens in dem auf den Monat der Ausführung der Dienstleistung folgenden Monat.

i)
Fiskalvertreter: Ein solcher ist erforderlich, wenn ein ausländischer Unternehmer in einem Mitgliedstaat keine Betriebsstätte hat, dort jedoch Umsätze ausführt und deshalb gegenüber den Steuerbehörden dieses Mitgliedstaates Pflichten zu erfüllen hat. Der Fiskalvertreter hat in der Regel die gleichen Rechte und Pflichten wie der ausländische Unternehmer. Die Anforderungen, die an den Fiskalvertreter gestellt werden, sind in den Mitgliedstaaten unterschiedlich.

j)
Vorsteuervergütungsverfahren: Sind einem in Deutschland ansässigen Unternehmer im europäischen Ausland Vorsteuerbeträge entstanden, kann er einen Erstattungsantrag beim Bundeszentralamt für Steuern einreichen (§ 18 g UStG). Der Antrag ist grundsätzlich in dem Staat zu stellen, in dem der Antragsteller ansässig ist. Der Antrag ist in elektronischer Form zu übermitteln. Das Bundeszentralamt für Steuern leitet den Antrag an den Erstattungsstaat. Dabei wird bestätigt, dass die Umsatzsteueridentifikationsnummer gültig ist und einem für Mehrwertsteuerzwecke registrierten Unternehmen zugewiesen ist. Der Erstattungsstaat soll dem Antragsteller unverzüglich eine Empfangsbestätigung auf elektronischen Weg übersenden. Innerhalb von 4 Wochen soll die Prüfung des Antrags beendet sein. Bei verspäteter Auszahlung erfolgt eine Verzinsung.




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