Europäische Integration
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E. I. oder Europäische Einigung bezeichnet die schrittweise Entwicklung der Europäischen Union von den ersten Anfängen (Schumanplan; Montanunion) bis zum Vertrag von Lissabon.
1.
Schumanplan und Montanunion. Am Anfang stand die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS). Der Vertrag über die EGKS vom 18. 4. 1951 zwischen Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg, den Niederlanden und der Bundesrepublik Deutschland beruhte auf einem Plan des französischen Außenministers Schuman („Schuman-Plan“; ursprünglicher Vertragstext BGBl. 1952 II 447 m. Änd.). Die Organe der EGKS - die Hohe Behörde als Exekutivorgan, die Versammlung, der Ministerrat und der Gerichtshof - sind später mit den entsprechenden Organen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Euratom (Europäische Atomgemeinschaft) verschmolzen worden (s. Ziffer 2).
2.
Römische Verträge und die weitere Entwicklung (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und Euratom). Der Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) zwischen Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden (BGBl. 1957 II 766) wurde am 25. 3. 1957 in Rom zusammen mit dem Vertrag über die Europäische Atomgemeinschaft unterzeichnet (Römische Verträge) und trat am 1. 1. 1958 in Kraft. Durch den Fusionsvertrag 1965 wurden für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), die Europäische Atomgemeinschaft (EAG) und die EGKS eine gemeinsame Kommission und ein gemeinsamer Rat gebildet. Mit Wirkung vom 1. 1. 1973 wurde die Gemeinschaft durch den Beitritt Dänemarks, Großbritanniens und Irlands, ferner mit Wirkung vom 1. 1. 1981 durch den Beitritt Griechenlands sowie mit Wirkung vom 1. 1. 1986 durch den Beitritt Spaniens und Portugals erweitert; später traten Finnland, Österreich und Schweden bei. Aufgabe der EWG war es, durch Errichtung eines gemeinsamen Marktes und die schrittweise Annäherung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten innerhalb einer Übergangszeit von 12-15 Jahren eine harmonische Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft, eine beständige und ausgewogene Wirtschaftsausweitung, eine größere Stabilität, eine beschleunigte Hebung der Lebenshaltung und engere Beziehungen zwischen den Staaten zu fördern, die in der Gemeinschaft zusammengeschlossen sind (Art. 2 des Vertrages).
3.
Unionsverträge.
a) Vorstufen der Unionsverträge sind die Verträge über fortschreitende Intensivierung der politischen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten. Vor allem waren die Einheitliche Europäische Akte (EEA) und die institutionalisierte Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ) organisatorische Vorstufen der politischen Zusammenarbeit, wie sie heute in der Europäischen Union verwirklicht ist.
b) Maastricht (Vertrag über die Europäische Union). Der am 7. 2. 1992 unterzeichnete Vertrag von Maastricht (ABl. EG 1992 C 191/1; s. a. C 224/1) führte die drei Europäischen Gemeinschaften (EWG, EGKS und Euratom, s. Nr. 2) zu einer nunmehr so bezeichneten Europäischen Gemeinschaft zusammen, wobei allerdings deren rechtliche Selbständigkeit erhalten blieb. Als institutionelles Dach für die weitere Zusammenarbeit wurde die Europäische Union (EU) geschaffen, die allerdings zunächst keine eigene Rechtspersönlichkeit erhielt, sich der Organe der Europäischen Gemeinschaft bediente und nur den äußeren Rahmen für die Zusammenarbeit der Regierungen darstellte. Im Zusammenhang und in Verbindung mit dem Vertrag von M. standen eine Reihe von Protokollen, im Wesentlichen die über die Einrichtung einer gemeinschaftlichen Zentralbank und über die Einführung der Währungsunion. Der Vertrag enthielt eine Reihe von institutionellen Änderungen des EWGV (jetzt daher EGV), Verlängerung der Amtszeit der Kommissionsmitglieder, Änderungen bei der Stellung des Rechnungshofs und des Gerichtshofs. Die Gemeinschaftskompetenzen wurden ausgedehnt, z. B. im Bereich Erziehung, Aus- und Weiterbildung, Ausbau europäischer Netze, Gesundheits-, Umwelt- und Verbraucherpolitik. Die Kontrollbefugnisse des europäischen Parlaments wurden beträchtlich erweitert, die Möglichkeit von Mehrheitsentscheidungen im Rat ebenfalls. Es wurden für das Handeln der Gemeinschaft die Prinzipien der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit (Art. 3 a EGV) niedergelegt.
c) Amsterdam. Der Vertrag von Amsterdam zur Änderung der Verträge über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft v. 2. 10. 1997 (ABl. C 340/1; BGBl. 1998 II 387, ber. BGBl. 1999 II 416) trat mit Ratifizierung durch sämtliche Mitgliedstaaten in Kraft getreten. Er enthielt neben einer Neunummerierung des EUV und des EGV einschließlich überwiegend redaktioneller Streichungen auch eine Reihe von neuen Regelungen, etwa den damaligen Art. 7 EUV über Verletzung fundamentaler Grundsätze durch einen Mitgliedstaat, die damaligen Art. 43-45 EUV über verstärkte Zusammenarbeit, den früheren Art. 6 EGV zum Umweltschutz, den damaligen Art. 13 EGV über Antidiskriminierungsmaßnahmen im Sinne des allgemeinen Gleichheitssatzes, die früheren Art. 61 ff. EGV zur Asyl- und Einwanderungspolitik, die damaligen Art. 125 ff. EGV zur Beschäftigungspolitik sowie schließlich eine Fülle von Protokollen mit gemeinsamen politischen Entschließungen, etwa über die Einbeziehung des Schengener Übereinkommens in die Union und über die Anwendung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität.
d) Nizza. Der Vertrag von Nizza vom 26. 2. 2001 (ABl. C 80/1) setzt die Entwicklung fort. Er trat erst 2003 mit der letzten Ratifikation durch Irland in Kraft. Von Bedeutung ist vor allem die Anpassung an die beabsichtigte Osterweiterung (s. e). Er sicherte u.a. die einheitliche Gestaltung der Beitrittsverträge und passte die Entscheidungsmechanismen an die beabsichtigte Erweiterung an. Anlässlich der Konferenz von Nizza wurde auch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union proklamiert sowie eine grundlegend neu gestaltete Satzung des Europäischen Gerichtshofs verabschiedet. Die Charta der Grundrechte geht inhaltlich nicht über die ständige und auch praktisch durchgesetzte einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hinaus. Methodisch folgt das Grundrechtsverständnis dem französischen Modell, das sich nicht unwesentlich von dem das Grundrechtsverständnis von Art. 1 III GG prägenden normativen Verständnis unterscheidet. Mit Inkrafttreten des Vertrages von Nizza erfolgt die Benennung und Ernennung des Präsidenten der Kommission und ihrer übrigen Mitglieder durch den Rat in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs (Art. 4 EUV) mit qualifizierter Mehrheit.
e) Osterweiterung. Zum 1. 5. 2004 wurde die Union um die früheren MOE-Staaten (Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien; 1. Osterweiterung) sowie Malta und Zypern erweitert und zählte damit Ende 2006 25 Mitgliedstaaten (vgl. Beitrittsakte 2003 v. 16. 4. 2003, ABl L 236/940; BGBl. 2004 I 1102). Bei der Rechtsstellung der Unionsbürger aus diesen Staaten gibt es für eine Übergangzeit gewisse Einschränkungen (u. a. bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit). Ab dem 1. 1. 2005 stellte jeder Mitgliedstaat nur noch ein Mitglied der Kommission. Am 1. 1. 2007 traten Bulgarien und Rumänien als 26. und 27. Mitgliedstaat der Europäischen Union bei (2. Osterweiterung); vgl. Beitrittsakte 2005 v. 25. 4. 2005, ABl. L 157/203; BGBl. 2007 II 127).
f) Europäische Verfassung. Bereits am 29. 10. 2004 unterzeichneten die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union den Vertrag über eine Verfassung für Europa (Europäische Verfassung). Nach Scheitern der Referenden in den Niederlanden und in Frankreich wurde der Ratifikationsprozess gestoppt. Die erforderlichen Reformen wurden nun im Reformvertrag oder Vertrag von Lissabon (s. g) umgesetzt, der bewusst auf alle verfassungsähnlichen Elemente und auf eine Annäherung der Europäischen Union an einen Bundesstaat verzichtet.
g) Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (kurz Vertrag von Lissabon oder Reformvertrag). Am 13. 12. 2007 wurde in Lissabon der Vertrag von Lissabon unterzeichnet. Auch dieser Vertrag bedurfte der Ratifikation in allen inzwischen 27 Mitgliedstaaten entsprechend de Vorschriften des Nationalen Rechts. Die Volksabstimmung (Referendum) in Irland scheiterte beim ersten Mal, ergab aber am 2. 10. 2008 eine Mehrheit für den Vertrag. Mit U. v. 30. 6. 2009 (NJW 2009, 2267) erklärte das BVerfG den Vertrag von Lissabon für verfassungsgemäß (s. Europäische Union, 7; Grundrechte, 8; Lissabon-Entscheidung). Nachdem auch der Tschechische Verfassungsgerichtshof dem Vertrag zugestimmt und der Tschechische Staatspräsident als letzter die Ratifikationsurkunde unterzeichnet hat, konnte der Vertrag am 1. 12. 2009 in Kraft treten. Der Vertrag von Lissabon schuf zwei rechtlich gleichrangige Vertragswerke, den - reformierten - Vertrag über die Europäische Union (EU-Vertrag; EUV) und den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV); der AEUV ersetzt den früheren Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG-Vertrag; EGV). Die Trennung von Europäischer Union und Europäischer Gemeinschaft wurde aufgegeben. Die mit den Verträgen von Maastricht, Amsterdam und Nizza geschaffene Europäische Union wird zugleich Rechtsnachfolgerin der Europäischen Gemeinschaft und erhält, wie bereits bisher diese eine eigene Rechtspersönlichkeit, wodurch sie zum eigenständigen Völkerrechtssubjekt wird. Zu allen Fragen der europäischen Union nach dem Vertrag von Lissabon s. Europäische Union, Europäischer Rat, Rat der EU, Europäische Kommission, Europäischer Parlament, Europäischer Gerichtshof, Europäische Gesetzgebung, Europäisches Recht; Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Zum rechtlichen Fortbestehen der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) s. dort.
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