DDR-Recht
das während des Bestehens der Deutschen Demokratischen Republik (1949-1990) neu entwickelte und bereits bestehende, im Rahmen der marxistisch-leninistischen Rechtstheorie ausgelegte und angewendete Recht.
Verfassungsrecht: Die Fundamente der DDR wurden frühzeitig gelegt. Schon 1945 wurde der gesamte Grundbesitz über 100 ha enteignet und an Landarbeiter und andere „Neubauern” verteilt. Das hiermit letztlich verfolgte Ziel war die Schaffung einer „sozialistischen Landwirtschaft”. Im gewerblichen Bereich wurden zunächst die Unternehmen von (vermeintlichen und tatsächlichen) Kriegsverbrechern und Naziführern, dann auch ganze Wirtschaftszweige von den Banken und Versicherungen bis zu den Apotheken enteignet und zum „Volkseigentum” erklärt. Damit war sowohl in politischer als auch ökonomischer Hinsicht früh ein sozialistisches System angestrebt worden.
Bei Gründung der DDR 1949 war bereits die Hälfte der Wirtschaft unter zentraler Verwaltung.
Die schon 1946 verkündete „Deutsche Demokratische Republik” sollte zunächst ganz Deutschland umfassen. Das war nach der westlichen Wirtschafts- und Währungsreform von 1948 nicht mehr möglich. Die am 7.10. 1949 in Kraft gesetzte Verfassung wies jedoch noch viele Anklänge an die „bürgerliche” Weimarer Verfassung auf. Allerdings waren die Weichen in Richtung „Volksdemokratie” gestellt. Entgegen dem Gewaltenteilungsprinzip wurde die Volkskammer zum höchsten Organ erklärt. Das „Blocksystem” sorgte bei den Wahlen dafür, dass den Wählern nur ein einziger (gemeinsamer) Wahlvorschlag vorgelegt wurde. Eine wirkliche Wahlentscheidung gab es nicht mehr.
Die offizielle marxistisch-leninistische Staatsrechtslehre ging von einer Interessensübereinstimmung des Einzelnen, der sozialistischen Gemeinschaft und des nachrevolutionären Staates aus. Aus diesem Grund wurde die Verwaltungsgerichtsbarkeit abgeschafft (1952), eine gerichtliche Überprüfung staatlicher Akte fand nicht mehr statt. Als Ersatz für Rechtsbehelfe gegen die Verwaltung institutionalisierte ein Staatsratserlass 1961 das Eingabewesen, dessen Wurzeln in die alten Landesverfassungen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit und die DDR-Verfassung von 1949 zurückreichten und das in der Folgezeit oft in Anspruch genommen wurde, um sich gegenüber staatlichen Organen über Erscheinungen der Mangelwirtschaft zu beschweren.
Nach dem Bau der Mauer am 13.8. 1961 begann der Ausbau der sozialistischen Rechtsordnung weitere Gestalt anzunehmen. Die neue Verfassung von 1968 sprach von der DDR als einem „sozialistischen Staat deutscher Nation” und enthielt den Auftrag zur „Wiedervereinigung auf der Grundlage der Demokratie und des Sozialismus”. Die DDR war nach dieser Verfassung nur noch ein „Bestandteil der sozialistischen Staatengemeinschaft”. 1974 erfolgte eine Verfassungsrevision, bei der unter anderem der Auftrag zur Wiedervereinigung wieder aufgegeben wurde.
Strafrecht: Vor allem in der Frühphase der DDR spielte das politische Strafrecht eine besondere Rolle. Entsprechend dem instrumentellen Rechts- und Justizverständnis wurde Strafrecht als Hebel zur Errichtung des Sozialismus eingesetzt. Eine wesentliche Norm zur Repression stellte etwa Art. 6 Abs. 2 der Verfassung von 1949 dar (Boykotthetze). Zudem hatte die Steuerung der Justiz für das Strafrecht und seine Praxis in der DDR eine besondere Bedeutung: Zwar sahen die Verfassungen von 1949, 1968 und 1974 justizielle Grundrechte vor (u. a. das Gesetzlichkeitsprinzip, die Maxime des gesetzlichen Richters, das Verbot von Ausnahmegerichten). Doch traten diese Prinzipien immer dann zurück, wenn sie dem politischen Interesse und der Herrschaftssicherung der SED im Wege standen.
Nach dem Mauerbau am 13.8. 1961 wurde die Aufgabe, politischen Widerstand zu bekämpfen, dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS oder Stasi) zugewiesen
und damit ein Sanktionssystem unterhalb und neben strafrechtlicher Reaktion geschaffen. Das MfS wandte illegale psychische Zersetzungs- und Zerstörungsmethoden an und schreckte nicht vor der Tötung des Gegners (wenn auch in Einzelfällen) zurück. In Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft reichte die „Ermittlungstätigkeit” des MfS bis hin zur Festlegung des Strafinaßes. Es bereitete darüber hinaus in politischen Strafverfahren die Anklagen vor und unterhielt eigene Untersuchungsgefängnisse. Daneben war das MfS eine Behörde, die mit ca. 100 000 hauptamtlichen und 150 000 „inoffiziellen” Mitarbeitern die eigene Bevölkerung ausspionierte.
Zivilrecht: Entsprechend der sozialistischen Rechtstheorie war auch das Zivilrecht ein Leitungsinstrument im sozialistischen Staat. Bestrebungen zur Reform des Zivilrechts hatten daher in der DDR schon wenige Jahre nach deren Gründung eingesetzt, waren jedoch erst nach dem VIII. Parteitag der SED 1971 wieder intensiviert worden. Da in der DDR die Planwirtschaft den Markt als Verteilungsinstanz in weiten Bereichen verdrängt hatte und der Gestaltungsspielraum privatautonomen Handelns durch staatliche Preisfestsetzungen, Vertragszwang, Musterverträge immer mehr reduziert wurde, spielte das BGB, und dort auch nur das Vertragsrecht, nur noch in den Beziehungen zwischen Endverbrauchern und Betrieben eine Rolle.
Das Zivilgesetzbuch, das am 1. 1. 1976 das BGB außer Kraft setzte, umfasste nur 480 Paragraphen, was durch eine Ausgliederung von Sondergesetzen (u. a. Gesetzbuch der Arbeit von 1961, das Familiengesetzbuch von 1965) und die inhaltliche Reduktion des Zivilrechtsbegriffs im Rechtssystem der DDR möglich war. Es brach mit dem Abstraktionsprinzip und verabschiedete das Pandektensystem des BGB.
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