Abstraktionsprinzip
Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft sind in ihrem Bestand voneina-der grundsätzlich unabhängig. Das Erfüllungsgesnäft (z.B. Übereignung) ist trotz eines Mangels Verpflichtungsgeschäfts (z. B. Kauf) wirksam. Rückabwicklung erfolgt gegebenenfalls über ungerechtfertigte Bereicherung, insbesondere § 812 11 BGB. Das dingliche Rechtsgeschäft bedarf keiner kausalen Zweckbestimmung (inhaltliche Abstraktion) und ist in seiner Wirksamkeit von der des Verpflichtungsgeschäfts unabhängig (äußerliche Abstraktion). Voraussetzung für das A. ist zunächst das Trennungsprinzip. Das A. ist eine der Besonderheiten des deutschen Privatrechts, die es von anderen europäischen Rechtsordnungen (z.B. Frankreich, Spanien, Österreich, Schweiz) unterscheidet.
ist das Prinzip, dass privatrechtliches Verpflichtungsgeschäft und privatrechtliches Erfüllungsgeschäft in ihrem Bestand voneinander unabhängig sind. Das Erfüllungsgeschäft (z.B. Übereignung, Abtretung) ist trotz eines Mangels (z.B. Formmangel) des Verpflichtungsgeschäfts (z.B. Sachkauf, Forderungskauf) (grundsätzlich) wirksam. Die Rückabwicklung des gültigen Erfüllungsgeschäfts trotz unwirksamen Verpflichtungsgeschäfts hat evtl. über die ungerechtfertigte Bereicherung zu erfolgen. Das A. ist eine Eigentümlichkeit des modernen deutschen Privatrechts im Gegensatz zum älteren deutschen Privatrecht wie zum ausländischen Privatrecht. Lit.: Jauernig, O., Trennungsprinzip und Abstraktionsprinzip, JuS 1994, 721; Stadler, A., Gestaltungsfreiheit und Verkehrsschutz durch Abstraktion, 1996; Nolden, C., Das Abstraktionsprinzip im urheberrechtlichen Lizenzverkehr, 2005
wichtiges, nicht ausdrücklich geregeltes (sondern als selbstverständlich vorausgesetztes) Grundprinzip des BGB, das aus dem Trennungsprinzip und dem Abstraktionsprinzip i. e. S. besteht.
Nach dem Trennungsprinzip wird zunächst rechtlich — auch bei an sich einheitlichen Lebenssachverhalten — zwischen dem nur Leistungspflichten der Parteien schaffenden Verpflichtungsgeschäft (z. B. Kauf, Schenkung) einerseits und der der Erfüllung der geschuldeten Leistung dienenden Verfügung (z. B. Übereignung, Abtretung) andererseits unterschieden. Beide Vorgänge sind getrennte und jeweils in sich vollständige Rechtsgeschäfte.
Erwirbt der Käufer an der Kasse einer Buchhandlung ein Buch, liegen rechtlich drei voneinander zu trennende Rechtsgeschäfte vor: Zunächst wird ein Kaufvertrag abgeschlossen, mit dem sich einerseits der Buchhändler verpflichtet, dem Käufer das Buch frei von Sach- und Rechtsmängeln zu übergeben und zu übereignen, und der Käufer sich andererseits verpflichtet, den Kaufpreis zu zahlen und das Buch abzunehmen (vgl. § 433 BGB). Zur Erfüllung dieses Kaufvertrages werden sogleich zwei Verfügungen vorgenommen, nämlich einerseits die Übereignung des Buches und andererseits die des zur Bezahlung hingegebenen Geldes (§ 929 S. 1 BGB).
Diese gedankliche Trennung zwischen dem verpflichtenden und dem verfügenden Teil eines Übertragungsvorganges im deutschen Recht geht insbes. auf den Gelehrten Friedrich Carl v. Savigny (* 1779, -1-1861) zurück und ist in fast allen anderen Rechtsordnungen unbekannt. Sie ermöglicht es, Verpflichtung und Verfügung isoliert auf ihre Wirksamkeit hin zu untersuchen (und so insbes. die Verfügungsmacht als besonderes Wirksamkeitserfordernis der Verfügung zu erkennen) und rechtliche Konstruktionen zu schaffen, bei denen Vornahme und Wirksamwerden beider Rechtsgeschäfte zeitlich auseinanderfallen (wie beim Eigentumsvorbehalt, bei dem der Eigentumserwerb auf der Grundlage eines unbedingt abgeschlossenen Kaufvertrages unter die aufschiebende Bedingung der vollständigen Kaufpreiszahlung gestellt ist, § 449 BGB).
Nach dem (naturrechtlich geprägten) französischen Code Civil führt der Kaufvertrag zur Übereignung der Kaufsache, hat also zugleich verfügende Wirkung (Art.1583 CC). Nach dem DDRZGB erfolgt die Übereignung (nach gemeinrechtlichein Vorbild) durch den (Kauf-) Vertrag mit hinzutretender Übergabe der Sache (§26 DDR-ZGB). Ein Eigentumsvorbehalt ist aus praktischer Notwendigkeit beiden Rechtsordnungen bekannt („clause de reserve de propriete”, § 139 Abs. 3 DDR-ZGB), rechtskonstruktiv aber kaum verständlich.
Nach dem Abstraktionsprinzip i. e. S. ist die nach dem Trennungsprinzip bei Übertragungsgeschäften als neben dem Verpflichtungsgeschäft eigenständiges Rechtsgeschäft anerkannte Verfügung rechtlich vom zugrunde liegenden Verpflichtungsgeschäft unabhängig. Diese Unabhängigkeit besteht sowohl in materieller („inhaltlicher”) als auch in formeller („äußerlicher”) Hinsicht. Materiell ist die Verfügung vom zugrundeliegenden Verpflichtungsgeschäft unabhängig, weil sie selbst keiner kausalen Zweckbestimmung bedarf. Die Verfügung ist daher ein abstraktes Rechtsgeschäft.
Warum eine Übereignung, eine Abtretung, ein Forderungserlass usw. vorgenommen wird, ist nicht Bestandteil dieses Rechtsgeschäfts, sondern ergibt sich allein aus dem zugrunde liegenden (kausalen) Verpflichtungsgeschäft. Fehlt es an einem solchen außerhalb des verfügenden Rechtsgeschäfts liegenden Rechtsgrund, kann die Verfügung nach den Regeln der ungerechtfertigten Bereicherung (§§ 812 ff. BGB) rückabgewickelt werden.
Formell ist die Verfügung vom zugrunde liegenden Verpflichtungsgeschäft unabhängig, weil ihre Wirksamkeit nicht vom Vorliegen eines wirksamen kausalen Rechtsgeschäfts abhängt.
Ist der Kaufvertrag nichtig, bleibt die zur Erfüllung der vermeintlichen kaufvertraglichen Leistungspflicht vorgenommene Übereignung wirksam (anders nur bei sog. „Fehleridentität”, d.h., wenn der Unwirksamkeitsgrund des Kausalgeschäfts zugleich auch Grund für die Unwirksamkeit der Verfügung ist). Eine Rückabwicklung der Verfügung muss dann nach den Regeln der ungerechtfertigten Bereicherung vorgenommen werden.
Dies führt zugleich zur Sicherheit im Rechtsverkehr, da für den wirksamen Rechtserwerb allein die Verfügungsmacht des Veräußerers von Belang ist, während dessen fehlende obligatorische Berechtigung oder Mängel seines eigenen kausalen Erwerbsgeschäftes den Erwerber regelmäßig nicht zu interessieren brauchen.
Verkauft V an K ein Buch weiter, das er selbst zuvor von X auf der Grundlage eines unwirksamen Kaufvertrages erworben hat, ist K nach erfolgter Übereignung vor Ansprüchen des X geschützt (Ausnahme: unentgeltlicher Erwerb, § 822 BGB); dieser muss sich an V halten. Verkauft V das Buch nacheinander an X und K, übereignet es aber an K, ist K vor Ansprüchen des X geschützt (Ausnahme: Herausgabeanspruch nach §§826,249 Abs. 1 BGB wegen vorsätzlich sittenwidriger Mitwirkung an fremdem Vertragsbruch); X muss sich vielmehr an V halten. Ohne Abstraktionsprinzip könnte K nur nach den Vorschriften des gutgläubigen Erwerbs vom Nichtberechtigten geschützt werden.
Eine weitere Ausprägung hat das Abstraktionsprinzip im Recht der Stellvertretung gefunden. Zurückgehend auf den Staatsrechtler Paul Laband (* 1838, t 1918) unterscheidet das BGB zwischen der im Außenverhältnis wirkenden, durch einseitige Willenserklärung erteilten Vollmacht (§ 167 BGB) und dem der Vollmacht zugrundeliegenden Innenverhältnis, dem kausalen Rechtsgeschäft (z.B. Auftrag, Geschäftsbesorgungsvertrag) als zwei verschiedenen Rechtsgeschäften. Die Unwirksamkeit des Kausalgeschäfts berührt die Vollmacht regelmäßig nicht (vgl. aber § 168 BGB).
Andere Rechtsordnungen (z.B. Art. 1984 franz. CC) sehen die Vollmacht demgegenüber als Bestandteil des Mandatsvertrages an.
Sachenrecht: sachenrechtlicher Grundsatz, der auf dem Trennungsprinzip aufbaut. Es besagt, dass schuldrechtliches und dingliches Rechtsgeschäft rechtlich voneinander unabhängig sind. Fehler des Verpflichtungsgeschäfts wirken sich grds. nicht auf die Wirksamkeit des Verfügungsgeschäfts aus und umgekehrt. Etwas anderes gilt nur in Fällen einer Fehleridentität. Danach können ausnahmsweise beide Rechtsgeschäfte aus demselben Grund unwirksam sein.
Beispiele: Anfechtungsberechtigender Irrtum liegt sowohl beim Abschluss des Verpflichtungs- als auch des Verfügungsgeschäfts vor; beide Rechtsgeschäfte verstoßen gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) oder gegen die guten Sitten (§ 138 Abs. 1 BGB).
Die Parteien können die Wirksamkeit des Verpflichtungsgeschäfts auch als Bedingung i. S. d. § 158 BGB für die Wirksamkeit des Verfügungsgeschäfts vereinbaren, sofern dies nicht ausdrücklich durch Gesetz (z. B. § 925 Abs. 2 BGB) ausgeschlossen ist. Darüber hinaus können schuldrechtliches und dingliches Geschäft nach h.M. auch in der Weise miteinander verbunden sein, dass beide Geschäfte ein einheitliches Rechtsgeschäft i. S. d. § 139 BGB darstellen.
Zweck des Abstraktionsprinzip ist es, einen hinreichenden Verkehrsschutz zu gewährleisten. Es führt insbesondere dazu, dass der Erwerber eines dinglichen Rechts auch bei einem unwirksamen Kausalgeschäft als Berechtigter über die Sache verfügen und ein Dritter den Verfügungsgegenstand selbst dann erwerben kann, wenn ihm die Unwirksamkeit des ursprünglichen Kausalgeschäfts bekannt war.
Sachenrecht.
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