Einwendungslehre
Rechtslehre, nach der alle Verteidigungsmittel des aus einem Wechsel in Anspruch genommenen Schuldners zu seinen Einwendungen zählen. Dazu gehören neben rechtshindernden, rechtsvernichtenden und rechtshemmenden Einwendungen auch die prozessualen Verteidigungsmittel des Wechselschuldners wie z.B. das einfache oder qualifizierte Bestreiten von klagebegründenden Tatsachen. Ist wechselrechtlich von Einwendungen die Rede, so gilt für die rechtshemmenden Einreden gleichwohl, dass der Wechselschuldner mit ihnen im Prozess nur dann gehört wird, wenn er sich auf sie beruft. Kernthema der so genannten wechselrechtlichen Einwendungslehre ist die Frage, inwieweit einmal entstandene Einwendungen nach einem wechselrechtlichen Verkehrsgeschäft, wie Voll- und Blankoindossament oder Begebung des Wechsels an den Wechselnehmer, nicht mehr erhoben werden können. Zur Sicherung der Umlauffähigkeit des Wechsels schließt hierzu Art. 17 WG die Anwendbarkeit des § 404 BGB für wechselrechtliche Beziehungen aus. Demnach kann der Wechselschuldner gegenüber dem jetzigen Wechselinhaber keine Einwendungen geltend machen, die aus seiner unmittelbaren Beziehung zu dem Aussteller oder einem früheren Wechselinhaber herrühren. Welche Einwendungen gleichwohl erhoben werden können, ist im Rahmen der gesetzlichen Wertung der Art. 10 und Art. 17 WG zu ermitteln. Aus ihnen sind folgende Grundsätze zu entnehmen: Wer einen Rechtsschein zurechenbar veranlasst hat, ist weniger schutzwürdig als der auf den Rechtsschein vertrauende
Dritte, sofern dieser nicht in Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis der maßgeblichen Umstände handelt (Art. 10 WG). Persönliche Einwendungen können dem wechselrechtlichen Zweiterwerber nur dann entgegengehalten werden, wenn er mit Benachteiligungsvorsatz gehandelt hat (Art. 17 WG). Aufgrund dieser Grundsätze werden die wechselrechtlichen Einwendungen in folgende drei Gruppen eingeteilt: Urkundliche oder inhaltliche Einwendungen
Bei dieser Gruppe handelt es sich um Einwendungen, die sich direkt aus der Urkunde ergeben und deshalb jedem Wechselinhaber entgegengehalten werden können. Hierzu zählen die
— Einwendung des Formmangels, Art. 1 WG;
— Einwendung der fehlenden Legitimation des Wechselinhabers, Art. 16 Abs. 1 WG;
— Einwendungen aus Ausschlussklauseln gem. Art. 9 Abs. 2, Art. 15 Abs. 1, 2 WG, so genannte Angstklauseln;
— Einwendung der auf dem Wechsel quittierten Teilzahlung, Art. 39 Abs. 3 WG;
— Einwendung der Präjudizierung beim Rückgriff, Art. 44, 53 WG;
— Einrede der Verjährung, Art. 70 WG;
— Einrede der mangelnden Fälligkeit, Art. 28 Abs. 1, 43 Abs. 1 WG.
Nichturkundliche Gültigkeitseinwendungen
Zu dieser Gruppe zählen Einwendungen, die die Gültigkeit der wechselrechtlichen Verpflichtung betreffen, ohne aus dem Wechsel ersichtlich zu sein. Sie können sich auf das Entstehen der Verpflichtung beziehen, wozu insbesondere die Einwendung des fehlenden oder unwirksamen Begebungsvertrages gehört. Sie können sich aber auch darauf beziehen, dass die entstandene Verpflichtung nachträglich erloschen ist, z. B. durch nicht auf dem Wechsel quittierte Erfüllung. Gegenüber dem Ersterwerber sind diese Gültigkeitseinwendungen immer erheblich. Gegenüber einem gutgläubigen wechselmäßigen Zweiterwerber sind sie entsprechend Art. 10, 16 Abs. 2 WG ausgeschlossen, wenn der Inanspruchgenommene den Rechtsschein seiner Verpflichtung zurechenbar veranlasst hat. In folgenden Fallgruppen besteht eine Rechtsscheinhaftung wegen zurechenbarer Veranlassung:
— Unterschrift aufgrund psychologischen Zwangs
— fehlende Geschäftsfähigkeit nur im Zeitpunkt der Begebung
— Verfälschung eines unbewusst unvollständig begebenen, formnichtigen Wechsels
— Abhandenkommen des unterschriebenen Wechsels
— Nichtigkeit des Begebungsvertrages wegen Gesetztes- oder Sittenverstoßes, §§ 134, 138 Abs. 1 BGB, oder Wuchers, § 138 Abs. 2 BGB
— Anfechtung des Begebungsvertrages, §§ 119, 123, 142 BGB
— (Teil-)Zahlung, die auf der Wechselurkunde nicht vermerkt ist.
In folgenden Fallgruppen können die Einwendungen auch dem Zweiterwerber entgegengehalten werden,
da der in Anspruch genommene den Rechtsschein nicht zurechenbar veranlasst hat:
— Unterschrift aufgrund unmittelbaren körperlichen Zwangs
— fehlende Geschäftsfähigkeit im Zeitpunkt der Unterschrift und Begebung
— Unterschrift und Begebung durch vollmachtlosen Vertreter
— Fälschung der Namensunterschrift oder inhaltliche Verfälschung eines vollständigen, formgültigen Wechsels, nach h. M. auch dann, wenn der Wechselschuldner die Fälschung erleichtert hat.
Persönliche Einwendungen
Diese gründen sich, ohne aus der Urkunde ersichtliche zu sein, auf die unmittelbare Beziehung zwischen einem Wechselschuldner zu einem bestimmten Wechselinhaber. Daher können sie grundsätzlich nur in diesem Verhältnis wirksam werden. Gegenüber wechselmäßigen Zweiterwerbern können sie nur ausnahmsweise geltend gemacht werden. Ausnahmen bestehen beim Benachteiligungsvorsatz des wechselmäßigen Zweiterwerbers gern. Art.17 WG. Zu nennen sind folgende Fallgruppen für persönliche Einwendungen:
— Einreden, die die unmittelbar Beteiligten im Hinblick auf die Wechselverbindlichkeit selbst getroffen haben,
— Einreden aufgrund des Kausalgeschäftes, das der Wechselbegebung zugrunde liegt, wie z.B. Bereicherungseinrede, §§ 812, 821 bei fehlendem oder nichtigem Kausalgeschäft; Rücktrittseinrede, streitig die Mängeleinrede; Einrede der unzulässigen Rechtsausübung, §242 BGB, bzw. der zweckbestimmten Beschränkung der Wechselhingabe, wenn der Wechselschuldner dem Wechselgläubiger aus dein Grundgeschäft ein Zurückbehaltungsrecht gern. § 273 BGB oder die Einrede des nicht erfüllten Vertrages gern. § 320 BGB entgegensetzen kann und der Wechselgläubiger aufgrund des Wechsels vorgeht, ohne seinerseits die Leistung anzubieten;
— Bereicherungseinrede analog § 816 Abs. 1 S. 2 BGB bei unentgeltlichem Erwerb des Wechsels.
— Einrede beim Verbraucherdarlehensvertrag aufgrund des Wechselverbotes nach § 496 Abs. 3 BGB.
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