Sozialstaatsprinzip
Sozialstaat.
Im Sozialrecht:
Das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 S. 2 GG) verpflichtet den Gesetzgeber, bei der Gesetzgebung die Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit und Sicherheit zu beachten und soziale Gegensätze auszugleichen (BVerfG E 20, 180 (204)). Hierbei räumt ihm das BVerfG einen weiten Gestaltungs- und Beurteilungsspielraum ein. Ob darüber hinaus auch Rechtsprechung und Verwaltung an das Sozialstaatsprinzip gebunden sind, ist umstritten, aber richtigerweise zu bejahen. Die Verwaltung muss es bei der Normsetzung (Rechtsverordnungen), bei der Gesetzesauslegung und bei der Ausübung von Ermessen beachten. Verstösst eine Verwaltungsmassnahme gegen das Sozialstaatsprinzip, ist sie rechtswidrig. Die Rechtsprechung schliesslich muss das Sozialstaatsprinzip bei der Gesetzauslegung und bei der richterlichen Rechtsfortbildung beachten. Eine eigenständige Anspruchsgrundlage ist das Sozialstaatsprinzip indessen nicht. Ansprüche des Bürgers auf eine Sozialleistung können sich aber aus dem Sozialstaatsprinzip i.V.m. den Grundrechten (insbesondere Art. 3 GG) ergeben. Das Sozialstaatsprinzip hat nicht nur eine berechtigende, sondern auch eine verpflichtende Seite. Aus dem Sozialstaatsprinzip folgt die Pflicht des Einzelnen zu Solidarität. Auf dieser Solidaritätsmaxime fusst z.B. das Recht des Gesetzgebers, den Einzelnen - auch den Arbeitgeber - zwangsweise zur Beitragszahlung heranzuziehen. Ferner wird der Bürger zur Mitwirkung verpflichtet. Er muss insbesondere alles in seinen Kräften Stehende unternehmen, um seine Notlage zu beseitigen, z.B. durch Aufnahme einer Beschäftigung. Mitwirkungspflichten
ist der den Staat als Sozialstaat gestaltende Grundsatz. Lit.: Schnapp, F., Was können wir über das Sozialstaatsprinzip wissen?, JuS 1998, 873; Kingreen, T., Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, 2003
Verfassungsgrundsatz nach Art.20 Abs 1, Art.28 Abs. 1 S.1 GG. Ziel des Handlungsauftrags aus dem Sozialstaatsprinzip ist ein Ausgleich der widerstreitenden Interessen und die Herstellung erträglicher Lebensbedingungen für alle. Das bedeutet neben der Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums einen Gestaltungsauftrag zu sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit. Für die Auslegung im Einzelnen ist u. a die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung (Art.74 Abs. 1 Nr.12 GG), die Garantie der Menschenwürde (Art.1 GG), der Schutz für Ehe und Familie (Art.6 GG), das Eigentumsgrundrecht hinsichtlich der Rechte aus der Sozialversicherung aufgrund Beitragszahlung als Äquivalent eigener Leistungen (Art.14 GG) sowie schließlich der Gleichheitssatz (Art.3 GG) mit seinen speziellen Ausformungen wie beispielsweise dem neueren Benachteiligungsverbot für Behinderte (Art. 3 Abs. 3 GG) heranzuziehen.
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