Auslegung
Erkennen und Erfassen der Bedeutung eines Rechtsbegriffs, eines Sachverhalts oder einer Willenserklärung. Bei letzterer ist der wirkliche Wille zu erforschen. Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben und Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
Grundsätzlich sind AGB nach den allgemeinen Regeln (§§ 133, 157 BGB) auszulegen. In den §§ 4, 5 AGBG finden sich hierfür zusätzliche Auslegungsregeln. Nach § 4 AGBG haben individuelle Vertragsabreden immer Vorrang vor den AGB. Die sog. Unklarheitenregelung des § 5 AGBG besagt, daß unklare oder mehrdeutige Klauseln zu Lasten des Verwenders gehen. Wenn also eine AGB-Klausel mehrere Auslegungsmöglichkeiten zuläßt und dieser Zweifel nicht behebbar ist, gilt die für den Verwender ungünstigere Auslegung.
ist die Ermittlung des Bedeutungsgehalts eines Gesetzesbegriffs oder eines Rechtsgeschäfts, insbesondere einer Willenserklärung. Bei letzterer ist nicht auf den buchstäblichen Sinn des Ausdrucks abzustellen, sondern der wirkliche Wille zu erforschen (natürliche Auslegung, § 133 BGB). Läßt sich der wirkliche Wille nicht aus der Erklärung ermitteln, bzw. steht kein weiteres Auslegungsmaterial zur Verfügung, muß die objektive Bedeutung der Erklärung festgestellt werden (normative Auslegung). Dabei ist von dem allgemein üblichen Verständnis, bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen vom objektiven Empfängerhorizont auszugehen. Dabei geht der übereinstimmende Wille der Beteiligten auch dann vor, wenn es in der Erklärung keinen oder nur einen unvollkommenen Ausdruck gefunden hat, Grundsatz der falsa demonstratio non nocet. Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern Bei der Auslegung letztwilliger Verfügungen ist dagegen nur auf die subjektive Sicht des Erblassers abzustellen, § 133 BGB. Hier stehen nur die Interessen des Erklärenden auf dem Spiel, eine andere Person, die geschützt werden müßte existiert gerade nicht. Bei der sog. ergänzenden Vertragsauslegung geht es um die Ausfüllung einer Lücke im Vertrag. Dabei wird der Inhalt eines Vertrags um eine nicht ausdrücklich vereinbarte Bestimmung ergänzt, die durch das Gericht im Wege der A. aus dem Gesamtinhalt des Vertrages gewonnen wird, vgl. Andeutungstheorie.
ist die Ermittlung und Klarlegung des Bedeutungsgehalts eines Rechtsbegriffs oder eines sonstigen Umstands (z.B. Erklärung, Verhalten). Die A. ist ein unentbehrliches Element der Rechtsmethodologie und steht in Gegensatz zu Analogie bzw. Reduktion. Die A. von Rechtssätzen kann im Ergebnis erweiternd (extensiv) oder einschränkend (restriktiv) wirken. Herkömmlicherweise unterscheidet man grammatische A., historische A., systematische A. und teleologische A. Die grammatische A. geht vom allgemeinen Sprachgebrauch der Normalsprache oder der Fachsprache aus. Die historische (bzw. genetische) A. berücksichtigt die Entstehungsgeschichte des Rechtssatzes. Die systematische A. beachtet besonders die Stellung des einzelnen Begriffs im Rahmen des Gesetzes oder der gesamten Rechtsordnung ab. Die teleologische A. bezieht Ziel und Zweck einer Regelung ein. Die A. wird als verfassungskonform angesehen, wenn sie die Festsetzungen der Verfassung berücksichtigt. Die A. wird als authentisch (authentische Interpretation) bezeichnet, wenn sie vom Verfasser (Gesetzgeber, Verordnungsgeber) selbst vorgenommen wird. Neben der A. von Rechtssätzen steht die A. des Sachverhalts, insbesondere die A. der Willenserklärung. Dabei ist nicht am buchstäblichen Sinn eines Ausdrucks zu haften, sondern der wirkliche Wille zu erforschen (§ 133 BGB). Verschiedentlich enthalten Gesetze selbst Ausführungen, wie bestimmte Willenserklärungen im Zweifel zu verstehen sind (Auslegungsregeln z.B. § 2066 BGB). Andernfalls ist von dem Allgemein üblichen, bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen von dem vom Empfänger aus gesehen üblichen Sprachgebrauch auszugehen. Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern (§ 157 BGB). Bei mehreren an sich möglichen Auslegungen ist der A. der Vorzug zu geben, bei der einer Vertragsbestimmung eine tatsächliche Bedeutung zukommt. Bei der ergänzenden Vertragsauslegung wird der Inhalt eines Vertrags um eine nicht ausdrücklich vereinbarte Bestimmung ergänzt, die im Wege der A. vom Gericht aus dem Gesamtinhalt des Vertrags gewonnen wird. Dies darf nicht zu einem Ergebnis führen, das dem erkennbaren Willen der Vertragsteile widerspricht. Lit.: Larenz, K., Die Methode der Auslegung, 1930, Neudruck 1966; Bartholomeyczik, //., Die Kunst der Gesetzesauslegung, 4. A. 1967; Rüthers, B., Die unbegrenzte Auslegung, 6. A. 2005; Droste/Lehnen, Die authentische Interpretation, 1990; Metallinos, A., Die europarechtskonforme Auslegung, 1994; Wank, /?., Die Auslegung von Gesetzen, 2. A. 2001; Grundmann, S./Riesenhuber, K., Die Auslegung des europäischen Privat- und Schuldvertragsrechts, JuS 2001, 529; Lüdemann, J’, Die verfassungskonforme Auslegung, JuS 2004, 27; Schroeder, W., Die Auslegung des EU- Rechts, JuS 2004, 180
Grundsätzliches: Interpretation von Gesetzen (Rechtsnormen), unbestimmten Rechtsbegriffen, Willenserklärungen oder Eingaben des Bürgers. Dabei haben sich verschiedene Methoden der Auslegung entwickelt, die sich nicht ausschließen, sondern nebeneinander angewendet werden können.
Mit der grammatikalischen Auslegung wird anhand der vom Gesetzgeber verwendeten Ausdrücke versucht, den genauen Inhalt der Norm zu erkennen, also die Bedeutung vom Wortsinne her zu erforschen. Dabei ist neben dein alltäglichen Sprachgebrauch auch die übliche Bedeutung in der Rechtssprache und die Bedeutung des Wortes in anderen Gesetzen zu berücksichtigen.
Durch die systematische Auslegung wird versucht, die zu interpretierende Norm im Zusammenhang mit den anderen Vorschriften des Abschnitts oder des gesamten Gesetzestextes zu sehen und in Einklang zu bringen. Wenn z.B. § 113 Abs. 1 S. 4 VwG() davon spricht, dass sich ein Verwaltungsakt „vorher” erledigt haben muss, so ist dabei zu beachten, dass § 113 im 10. Abschnitt der VwG() geregelt ist. Dieser befasst sich mit Urteilen und anderen Entscheidungen, welche notwendigerweise die Erhebung der Klage voraussetzen. „Vorher” meint daher nach Erhebung der Klage, aber vor Erlass des Urteils.
Die historische Auslegung fragt insbesondere nach der geschichtlichen Entwicklung der Rechtsnorm. Hat sich die Norm z. B. aus einem bereits früher bestehenden Gesetz oder Rechtsgrundsatz entwickelt, so ist dieses zu berücksichtigen. Ein Unterfall der historischen Auslegung ist die sog. genetische Auslegung, die nach dem ursprünglichen Willen des Gesetzgebers bei Erlass des Gesetzes fragt. Die Interpretation einer Rechtsnorm soll nicht dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers widersprechen. Dabei wird der Wille des Gesetzgebers in den Gesetzesmaterialien (z.B. den Parlamentsprotokollen) und den Motiven deutlich. Die wohl wesentlichste Auslegungsmethode ist die teleologische Auslegung. Dabei wird die Bedeutung der Norm nach dem Sinn und Zweck erforscht. Entscheidend sind die Zielrichtung und der Schutzzweck dieser Norm. Dabei können die anderen Auslegungsmethoden herangezogen werden.
Die teleologische Auslegung kann ergeben, dass die Norm über den Wortlaut hinaus auszudehnen ist (sog.
erweiternde Auslegung), oder auch, dass die Norm einschränkend interpretiert werden muss (sog. teleologische Reduktion).
Bei der Auslegung ist auch zu beachten, dass vor allem Rechtsnormen so ausgelegt werden sollten, dass sie gültig sind. Dies wird durch eine verfassungskonforme Auslegung erreicht. Diese vom BVerfG entwickelte Methode besagt, dass eine Norm, die verschiedenen Interpretationen zugänglich ist, nicht so ausgelegt werden darf, dass sie gegen die Verfassung verstößt und damit ungültig ist. Vielmehr ist diejenige Auslegung die richtige, die zum Erhalt einer gültigen Norm führt. Eine verfassungskonforme Auslegung darf allerdings nicht so weit führen, dass die Norm gegen den eindeutigen Wortlaut interpretiert wird. Hier ist die Grenze der Auslegung erreicht.
Eine der verfassungskonformen Auslegung ähnliche Methode ist die richtlinienkonforme Auslegung im Hinblick auf EG-Richtlinien. Auch hier ist die nationale Regelung, die zur Umsetzung der Richtlinie erlassen wird, im Zweifel so auszulegen, dass sie den Vorgaben der Richtlinie entspricht.
Erbvertrag: Anders als das Testament enthält der Erbvertrag mit den vertragsmäßigen Verfügungen empfangsbedürftige Erklärungen. Diese sind nach h. M. zumindest bei Schutzbedürftigkeit des Vertragspartners nach dem Empfängerhorizont auszulegen (§ 157 BGB). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn es sich um zweiseitige oder entgeltliche Erbverträge handelt. Die Auslegung von einseitigen Verfügungen in Erbverträgen entspricht der Auslegung von Testamenten. Die gesetzlichen Auslegungsregeln der §§ 2066 ff., 2087 ff. u. 2269 BGB finden auch für Erbverträge Anwendung (§§ 2279 Abs. 1, 2280 BGB). gemeinschaftliches Testament: Entsprechend der Auslegung von vertragsmäßigen Verfügungen eines
Erbvertrags sind wechselbezügliche Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament nach dem Empfängerhorizont des anderen Ehegatten oder Lebenspartners auszulegen (§ 157 BGB). Für das gemeinschaftliche Testament gelten die speziellen Auslegungsregeln des § 2269 Abs. 1 u. 2 BGB (Berliner Testament) und im Übrigen auch die allgemeinen Regeln der Testamentsauslegung (Auslegung).
Testament: Bei der Auslegung von Testamenten kommen die erläuternde und die ergänzende Auslegung in Betracht. Die erläuternde Auslegung knüpft an den Wortlaut der Erklärung an und ermittelt sodann, was der Erblasser in Wahrheit damit zum Ausdruck bringen wollte (§ 133 BGB). Da ein Testament keine empfangsbedürftige Willenserklärung ist, kommt es nicht darauf an, wie der Bedachte die Erklärung verstehen darf (so genannter Empfängerhorizont, § 157 BGB). Zur Ermittlung des allein maßgebenden Willens des Erblassers zur Zeit der Testamentserrichtung können auch außerhalb des Testaments liegende Umstände herangezogen werden. Grenze der Auslegung ist aber immer die Formbedürftigkeit der Erblassererklärung, sodass nur der im Testament angedeutete
Wille (Andeutungstheorie) wirksam formgültig erklärt wurde.
Die ergänzende Auslegung greift ein, wenn die testamentarische Verfügung eine Lücke aufweist, die der Erblasser zur Zeit der Errichtung nicht als solche erkannt hat, weil ihm gegenwärtige Umstände unbekannt waren oder weil seit der Errichtung der Verfügung von Todes wegen wesentliche Veränderungen eingetreten sind. Zu ermitteln ist dann, wie der hypothetische Wille des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung bei Kenntnis der Umstände ausgesehen hätte. Auch bei der ergänzenden Auslegung muss für den hypothetischen Willen des Erblassers irgendeine Anknüpfung in der Testamentsurkunde gefunden werden.
Ein wichtiger Grundsatz der Testamentsauslegung ist die wohlwollenden Auslegung (benigna interpretatio, § 2084 BGB), wonach bei verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten diejenige vorzuziehen ist, bei welcher die Verfügung Erfolg hat und somit dem Erblasserwillen zur Geltung verholfen wird. Die h. M. wendet § 2084 BGB auch dann an, wenn durch eine der Auslegungsmöglichkeiten ein praktikableres Ergebnis erzielt werden kann.
Führt die Auslegung nach den Auslegungsmethoden zu keinem eindeutigen Ergebnis, so kann auf spezielle erbrechtliche Auslegungsregelnim Gesetz zurückgegriffen werden, z. B.:
1) § 2066 BGB: Bei Verwendung des Ausdrucks „gesetzliche Erben” sollen die gesetzlichen Erben zur Zeit des Erbfalls im Verhältnis ihrer gesetzlichen Erbteile bedacht sein.
2) § 2069 BGB: Bei Wegfall eines bedachten Abkömmlings nach Testamentserrichtung sollen dessen Abkömmlinge wie bei gesetzlicher Erbfolge an seine Stelle treten.
3) § 2074 BGB: Bei aufschiebender Bedingung soll die Zuwendung nur gelten, wenn der Bedachte ihren Eintritt erlebt.
4) § 2085 BGB (lex specialis zu § 139 BGB): Die Unwirksamkeit einer testamentarischen Verfügung führt regelmäßig nicht zur Unwirksamkeit der übrigen Verfügungen.
5) § 2087 Abs. 1 BGB: Bei der Zuwendung des gesamten Vermögens oder eines Bruchteils davon ist eine Erbeinsetzung des Bedachten anzunehmen.
6) § 2087 Abs. 2 BGB: bei der Zuwendung einzelner Gegenstände ist regelmäßig ein Vermächtnis anzunehmen.
Verfügungen von Todes wegen: Ermittlung des Erblasser-willens, der einer Verfügung von Todes wegen zugrunde liegt. Zu unterscheiden ist die Auslegung von Testamenten, Erbverträgen und gemeinschaftlichen Testamenten.
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