Insolvenzanfechtung

(§129 InsO) ist die Anfechtung der vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommenen, die Insolvenzgläubiger benachteiligenden anfechtbaren Handlungen des Schuldners durch den Insolvenzverwalter nach den §§ 130 ff. InsO. Lit.: Beissenhirtz, V., Die Insolvenzanfechtung, 2003

dient dazu, die gleichmäßige Befriedigung der Insolvenzgläubiger schon für einen früheren Zeitpunkt als den der formellen Eröffnung des Insolvenzverfahrens sicherzustellen. Ziel der Insolvenzanfechtung ist es, vor Verfahrenseröffnung erfolgte Verminderungen der Insolvenzmasse im Interesse der Insolvenzgläubiger auszugleichen und Benachteiligungen aller Insolvenzgläubiger zugunsten einzelner Gläubiger oder Dritter rückgängig zu machen.
Die Insolvenzmasse kann vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch zahlreiche Handlungen vermindert werden: Durch den Verkauf von Gegenständen deutlich unter Marktwert versuchen Schuldner in ihrer wirtschaftlichen Not, ihre Vermögensverhältnisse zu verbessern. Ein Gläubiger übt Druck auf seinen zahlungsunfähigen Schuldner aus, um so vorzeitig und im letzten Moment zu einer Befriedigung seiner Forderungen auf Kosten der anderen Gläubiger zu gelangen. Unredliche Schuldner übertragen ihr Vermögen oder Teile davon auf nahe Angehörige, um es vor dem Zugriff ihrer Gläubiger zu schützen.
Erreicht wird das Ziel der Insolvenzanfechtung dadurch, dass die Wirkungen der Rechtshandlungen, die der (zukünftige) Insolvenzschuldner vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen hat und die den Bestand der Insolvenzmasse verringert haben, rückgängig gemacht werden. Zwar sind diese Rechtshandlungen des Schuldners wirksam, da er noch Inhaber der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis war; die Insolvenzanfechtung führt jedoch dazu, dass ein Rückgewähranspruch (§ 143 InsO) entsteht.
Anfechtbar sind Rechtshandlungen (Wirkungen von Rechtsgeschäften, rechtsgeschäftsähnliche Handlungen und Prozesshandlungen) oder rechtserhebliche Unterlassungen (z. B. Unterlassen einer Rechtsmitteleinlegung oder einer verjährungsunterbrechenden Handlung) des Schuldners (§ 129 InsO). Die Rechtshandlung, die angefochten werden soll, muss nicht vom Insolvenzschuldner ausgegangen sein, sie kann auch —wie ein Vollstreckungsakt — gegen ihn gerichtet sein (§ 141 InsO).
Die Rechtshandlung muss vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sein (§ 129 InsO). Das ist der Fall, wenn die Wirkungen der Rechtshandlung vor Verfahrenseröffnung eingetreten sind (§ 140 Abs. 1 InsO). Mehraktige Rechtsgeschäfte, die erst mit Vornahme einer Eintragung in einem öffentlichen Register (Grundbuch, Schiffsregister usw.) wirksam werden, gelten als vorgenommen, sobald die übrigen Voraussetzungen für das Wirksamwerden erfüllt sind, die Willenserklärung des Schuldners für ihn bindend geworden ist und der Antrag auf Eintragung der Rechtsänderung gestellt worden ist (§ 140 Abs. 2 InsO). Ist die Rechtshandlung vom künftigen Insolvenzschuldner erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden, so ist eine Anfechtung derselben nicht erforderlich, da sie nach den §§ 81 ff. InsO unwirksam ist. Allerdings ermöglicht § 147 InsO die Anfechtung von Rechtshandlungen, die, obwohl erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen, den Insolvenzgläubigern gegenüber nach den §§892, 893 BGB i.V.m. §§81 Abs.1 S.2, 91 Abs. 2 InsO wirksam sind.
Die angefochtene Rechtshandlung muss die Insolvenzgläubiger objektiv benachteiligen. Eine Benachteiligung liegt vor, wenn sich die Befriedigung der Gläubiger im Falle des Unterbleibens der angefochtenen Handlung günstiger gestaltet hätte. Die Benachteiligung ist anhand wirtschaftlicher Gesichtspunkte festzustellen.
Die Rechtshandlung, die angefochten wird, muss für die Benachteiligung der Gläubiger ursächlich gewesen sein. Dabei ist — je nach Anfechtungsgrund — zwischen dem Erfordernis einer unmittelbaren und einer mittelbaren Gläubigerbenachteiligung zu unterscheiden. Ausreichend ist im Regelfall die mittelbare Gläubigerbenachteiligung. Demnach reicht es aus, wenn die Benachteiligung dadurch herbeigeführt worden ist, dass zu der Rechtshandlung ein Umstand hinzugetreten ist, der im weiteren Verlauf zu einer Benachteiligung geführt hat. Nur in gesetzlich geregelten Ausnahmefällen ist eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung erforderlich (§§ 132 Abs. 1, 133 Abs. 2 S.1 InsO).
Ferner müssen die Voraussetzungen eines Insolvenzanfechtungsgrundes (§§ 130-137 InsO) vorliegen. Inhaber des Rückgewähranspruches (§ 143 InsO) und berechtigt, ihn geltend zu machen, ist im Regelinsolvenzverfahren der Insolvenzverwalter (§ 129 Abs. 1 InsO). Bei der Eigenverwaltung tritt der Sachwalter an die Stelle des Insolvenzverwalters (§ 280 InsO). Der Treuhänder (Verbraucherinsolvenzverfahren) ist nicht Inhaber des Rückgewähranspruchs. Er kann jedoch mit dessen Geltendmachung beauftragt werden (§ 313 Abs. 2 S. 3 InsO).
Die Insolvenzanfechtung erfolgt grundsätzlich durch Erhebung einer Klage, die den Gegenstand der Anfechtung und die Tatsachen bezeichnen muss, aus denen die Anfechtungsberechtigung hergeleitet werden soll.
Der Rückgewähranspruch zielt primär auf die Rückgewähr des veräußerten, weggegebenen oder aufgegebenen Vermögensgegenstandes in natura zur Insolvenzmasse ab (§ 143 Abs. 1 S.1 InsO).
Ist ein beweglicher Gegenstand in anfechtbarer Weise veräußert
worden, so hat der Erwerber diesen Gegenstand an den Insolvenzverwalter riickzuübereignen. Ein Grundstück muss an den Insolvenzverwalter rückaufgelassen, eine Forderung muss rückabgetreten werden.
Die Rückgabe an den Insolvenzverwalter muss erfolgen, damit er die Gegenstände im laufenden Insolvenzverfahren zugunsten der Insolvenzgläubiger verwerten kann. Ist der rückzugewährende Gegenstand nicht mehr im Vermögen des Anfechtungsgegners vorhanden, so hat dieser Wertersatz in Geld nach den Regeln der verschärften Bereicherungshaftung zu leisten (§ 143 Abs. 1 S.2 InsO). Der Empfänger einer unentgeltlichen Leistung hat diese nur zurückzugewähren, soweit er durch sie bereichert ist. Weiß er oder muss er den Umständen nach wissen, dass die unentgeltliche Leistung die Gläubiger des Schuldners benachteiligt, so hat er auf jeden Fall die empfangene Leistung zurückzugewähren (§ 143 Abs. 2 InsO). Im Falle einer Anfechtung nach § 135 Abs. 2 InsO hat der Gesellschafter des Insolvenzschuldners, der für die Forderung eines Dritten gegen den Insolvenzschuldner auf Rückgewähr eines Darlehens eine Sicherheit bestellt hatte oder als Bürge haftete, die dem Dritten gewährte Leistung unter bestimmten Voraussetzungen zu erstatten (§ 143 Abs. 3 InsO). Die Gegenleistung, die der Schuldner von dem Anfechtungsgegner für die erbrachte Leistung erhalten hat, ist durch den Insolvenzverwalter zurück zu gewähren. Auch die Gegenleistung muss, wenn sie noch in der Insolvenzmasse vorhanden ist, in natura an den Anfechtungsgegner zurückgewährt werden (§ 144 Abs. 2 InsO). Ist das nicht mehr möglich und ist die Insolvenzmasse um den Wert der Gegenleistung bereichert, so hat der Anfechtungsgegner eine Masseforderung (Massegläubiger,§ 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO). Entfällt eine Bereicherung, so hat der Empfänger der anfechtbaren Leistung nur eine einfache Insolvenzforderung (§ 144 Abs. 2 S. 2 InsO).
Die Verjährung des Anfechtungsanspruchs richtet sich nach den Regelungen über die regelmäßige Verjährung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 146 Abs. 1 InsO i. V m. §§ 194 ff. BGB). Allerdings kann der Insolvenzverwalter, wenn der Anfechtungsanspruch verjährt ist, die Erfüllung einer Leistungspflicht durch Einrede verweigern, wenn sie auf einer anfechtbaren Handlung beruht (§ 146 Abs. 2 InsO). Er kann das Leistungsverweigerungsrecht noch nach Fristablauf durch Klage geltend machen, wenn er einen in der Masse befindlichen Gegenstand dieser erhalten will. § 146 Abs. 2 InsO will verhindern, dass Gegenstände und Rechte, die noch in der Insolvenzmasse vorhanden sind, der Masse entzogen werden, weil die Frist versäumt worden ist.

Rechtshandlungen (und Unterlassungen), die - vor allem seitens des Schuldners - vor der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und die die Insolvenzgläubiger benachteiligen, kann der Insolvenzverwalter unter bestimmten (gegenüber früher verschärften) Voraussetzungen anfechten (§§ 129 ff. InsO; Gerichtsstand hierfür § 19 a ZPO). Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt hat, auf die er einen Anspruch hatte (sog. kongruente Deckung), wenn sie in den letzten 3 Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem vorgenommen wurde, der Schuldner zu diesem Zeitpunkt bereits zahlungsunfähig war (Zahlungsunfähigkeit) und der Gläubiger dies (unmittelbar oder aus den Umständen) wusste (§ 130 InsO). Entsprechendes gilt für sonstige Rechtsgeschäfte des Schuldners, die die Insolvenzgläubiger unmittelbar benachteiligen (§ 132 InsO). Hatte der Gläubiger auf die Sicherung oder Befriedigung (überhaupt oder nach Art und Zeit) keinen Anspruch (sog. inkongruente Deckung), sind Rechtshandlungen im letzten Monat vor dem Eröffnungsantrag uneingeschränkt anfechtbar; für die letzten 3 Monate genügt die bloße Zahlungsunfähigkeit oder die Kenntnis von der Benachteiligung der Insolvenzgläubiger (§ 131 InsO). Gegenüber Personen, die dem Schuldner nahe stehen (Ehegatte, Lebenspartner, nahe Verwandte, Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft, § 138 InsO) wird vermutet, dass sie die Zahlungsunfähigkeit, den Eröffnungsantrag oder die Benachteiligungsabsicht kannten. Anfechtbar ist ferner eine Rechtshandlung, die der Schuldner in den letzten 10 Jahren vor dem Eröffnungsantrag (oder nach diesem) mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat (§ 133 InsO, sog. Absichtsanfechtung), eine unentgeltliche Leistung des Schuldners in den letzten 4 Jahren vor dem Eröffnungsantrag (§ 134 InsO, sog. Schenkungsanfechtung) sowie eine Sicherung oder Befriedigung für die Forderung eines Gesellschafters auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens (§§ 135, 143 III InsO).

Was durch die anfechtbare Handlung aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgehoben worden ist, muss zur Insolvenzmasse zurückgewährt werden (§ 143 InsO). Es handelt sich um einen schuldrechtlichen Anspruch auf Rückgängigmachung der anfechtbaren Rechtshandlung (unter Wiederaufleben der ursprünglichen Forderung des Empfängers und ggfs. Ausgleich einer Gegenleistung, § 144 InsO). Der Anspruch auf I. verjährt in 2 Jahren seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens; auch danach kann der Insolvenzverwalter aber die Erfüllung einer auf einer anfechtbaren Rechtshandlung beruhenden Leistungspflicht verweigern (§ 146 InsO). Vor der I. zu unterscheiden ist die Gläubigeranfechtung, die außerhalb eines Insolvenzverfahrens stattfindet.




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