Religionsgesellschaften

ein Begriff aus den Kirchenartikeln der Weimarer Reichsverfassung; sie sind durch grundgesetzliche Inkorporation (Art. 140) geltendes Verfassungsrecht. Rechtsgeschichtlich im Zeitalter der Aufklärung wurzelnd, unterfallen diesem Begriff sowohl die grossen Kirchen als auch kleinere religiöse Vereinigungen. Zu letzteren zählen z.B. die altkatholische Kirche, die russisch-orthodoxe Kirche, die reformatorischen Freikirchen (Quäker, Methodisten, Altlutheraner, Baptisten usw.), aber auch Sekten wie etwa die Zeugen Jehovas, Christian Science und Mormonen.
Unbeschadet der Religionsfreiheit und der religiösen Neutralität des Staates kennt das Grundgesetz Religionsgesellschaften mit ungleichem Rechtsstatus. So geniessen z.B. die grossen Kirchen die besonderen Rechte von Körperschaften des öffentlichen Rechts mitsamt der Kirchensteuer. Auch sind nur sie zum Abschluss von Konkordaten und Kirchenverträgen befugt.

(Religionsgemeinschaften) sind Vereinigungen von Menschen gleichen oder verwandten religiösen Bekenntnisses. Das Verhältnis der R. zum Staat ist in Art. 4 u. in Art. 140 GG i.V.m den ins Grundgesetz als weitergeltend übernommenen staatskirchenrechtlichen Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung geregelt (Staatskirchenrecht). Die wichtigsten R. in der Bundesrepublik sind die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) mit ihren Landeskirchen u. Gliedkirchen sowie die Katholische Kirche mit ihren Kirchenprovinzen u. (Erz-)
Bistümern. Die R. sind entweder öfftl.-rechtliche Körperschaften (so die beiden Grosskirchen) oder nach vereinsrechtlichen Vorschriften (Verein) organisiert.

1.
Gemäß Art. 137 WV ist die Freiheit der Vereinigung zu R. und der freie Zusammenschluss der R. in Deutschland gewährleistet. In Art. 140 GG sind die Art. 136-140 WV zum Bestandteil des GG erklärt und somit unmittelbar geltendes Verfassungsrecht. R. ordnen und verwalten ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken der für alle geltenden Gesetze und verteilen ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde. Grundsätzlich genügt ein Minimum an organisatorischer Struktur (BVerwG NJW 1992, 2496). Ihre Rechtsfähigkeit richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften des Bürgerlichen Rechts. I. d. R. werden sich R. in der Form eines Vereins organisieren. Zum Verbot von R. s. Ziffer 4.

2.
Soweit R. bei Inkrafttreten der WV Körperschaften des öffentlichen Rechts waren, behalten sie diesen Status. R. mit Körperschaftsstatus sind u. a. neben den Diözesen der katholischen Kirche, die EKD und die Evangelischen Landeskirchen (evangelische Kirche), eine Reihe evangelischer Freikirchen, die Neuapostolische Kirche, die Mormonen, die Jüdischen Gemeinden, verschiedene Gliederungen der orthodoxen Kirchen sowie z. B. der Bund für Geistesfreiheit Bayern. R., die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, können auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen (Kirchensteuergesetze) Steuern erheben; Kirchensteuer. Das Eigentum und andere Rechte der R. an ihren für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecken bestimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögen werden gewährleistet. Aus dem Körperschaftsstatus folgt i. d. R. das Recht zur Erteilung von Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach an staatlichen Schulen. Unter bestimmten Voraussetzungen haben auch R. ohne Körperschaftsstatus dieses Recht.

3.
Anderen R. ist der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zuzuerkennen, wenn sie durch ihre eigene rechtliche Verfassung und Mitgliederzahl die Gewähr der Dauer bieten. Eine besondere Loyalität der R. zum Staat ist nicht erforderlich. Die R. muss lediglich rechtstreu und im Grundsatz bereit sein, Recht und Gesetz zu achten und sich in die verfassungsmäßige Ordnung einzufügen; sie darf fundamentale Verfassungsprinzipien wie Rechtsstaatlichkeit (Rechtsstaat), Demokratie und Grundrechte Dritter nicht gefährden. Die R. müssen aber über keine demokratische Binnenstruktur verfügen. Überdies sind punktuelle Defizite unschädlich; insbes. steht die Ablehnung der Teilnahme an staatlichen Wahlen der Gewährung des Körperschaftsstatus nicht entgegen (vgl. BVerfG, U. v. 19. 12. 2000, NJW 2001, 429). Aufgrund des o. g. U. d. BVerfG hat das OVG Berlin mit U. v. 24. 3. 2005 (NVwZ 2005, 1450) das Land Berlin verpflichtet, den Zeugen Jehovas Körperschaftsstatus zu gewähren. S. a. Sekten, 2. Ob den Gemeinschaften des Islam nach den o. g. Kriterien Körperschaftsstatus verliehen werden kann, ist zweifelhaft. Insbes. deren fehlende institutionelle Struktur steht derzeit der Verleihung von Körperschaftsrechten entgegen. Die Zuständigkeit für die Verleihung der Körperschaftsrechte liegt bei den Ländern und erfolgt durch Gesetz (z. B. Bremen, Nordrhein-Westfalen), Rechsverordnung (z. B. Hamburg), Beschluss der Landesregierung (z. B. Baden-Württemberg) oder Entscheidung des Kultusministers (z. B. Bayern).

4.
Bis 2001 unterfielen sowohl R. mit als auch ohne Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht den öffentlich-rechtlichen Bestimmungen des Vereinsgesetzes. Mit G v. 4. 12. 2001 (BGBl. I 3319) wurde dieses sog. Religionsprivileg aufgehoben. Jedenfalls R. ohne den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts können nunmehr verboten werden, wenn sie in kämpferisch-aggressiver Weise gegen Demokratie, Rechtsstaat und Menschenwürde verstoßen (BVerwG U. v. 27. 11. 2002, NVwZ 2003, 986).




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