Rechtswidrigkeit
Jede Handlung, die der Rechtsordnung widerspricht, ist rechtswidrig. Der Begriff wird in allen Rechtsgebieten einheitlich angewandt: So ist auch im Zivilrecht nicht erlaubt, was das Strafrecht verbietet. Wer den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht, handelt allerdings dann nicht rechtswidrig, wenn ein so genannter Rechtfertigungsgrund vorliegt und der Täter sich darüber im Klaren ist.
Siehe auch Rechtfertigungsgrund
Manchmal auch als Widerrech tlichkeit bezeichnet. Sie liegt vor, wenn das Verhalten eines Bürgers oder einer Behörde gegen ein Gesetz verstößt. Sie führt meist zu einer zivilrechtlichen Schadensersatzpflicht, oft auch dazu, daß der Bürger bestraft werden kann. Sie kann ausnahmsweise ausgeschlossen sein,
ist im Schadensersatzrecht die Normwidrigkeit eines schädigenden Verhaltens, die über die Ge- und Verbote der Rechtsordnung definiert wird. Im Rahmen der §§ 823 ff. BGB ist umstritten, ob sich die R. nach der Lehre vom Erfolgsunrecht oder der Lehre vom Handlungsunrecht bestimmt. Bei der Lehre vom Erfolgsunrecht gilt: Die durch den Verletzungserfolg normalerweise indizierte R. entfällt bei Vorliegen von Rechtfertigungsgründen. Beispiele für Rechtfertigungsgründe sind §§227 1, 228 und 904 BGB. Bei der Lehre vom Handlungsunrecht gilt diese Indizwirkung nur eingeschränkt für tatsächliches Handeln. Bei Fahrlässigkeit hingegen muß die R. positiv festgestellt werden.
Rechtswidrig ist eine Handlung, die der Rechtsordnung widerspricht, sofern kein Rechtfertigungsgrund die Handlung rechtfertigt. R. wird verneint, wenn Handlung im übergesetzlichen (zivilrechtl.) Notstand (rechtfertigenden Notstand) od. in Notwehr begangen wird, Befehlsnotstand. Auch Einwilligung des Verletzten schliesst R. aus. - R. ist nicht Tatbestandsmerkmal; nach der vom Bundesgerichtshof vertretenen Schuldtheorie (Schuldstrafrecht) ist demnach das Bewusstsein der R. (Unrechtsbewusstsein) ein selbständiges Schuldelement, so dass Unkenntnis des Täters unrecht zu tun, den Vorsatz nicht ausschliesst. Es kann in solchen Fällen jedoch Verbotsirrtum vorliegen.
Rechtswidrig ist jede Handlung, die gegen das objektive Recht verstösst (z.B. eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einen Straftatbestand verwirklicht). Die R. wird durch das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes ausgeschlossen; damit entfällt auch die an sich vorgesehene Rechtsfolge (Schadensersatzpflicht, Strafe). Wichtige Rechtfertigungsgründe sind Notwehr, defensiver, aggressiver und rechtfertigender Notstand, Einwilligung des Verletzten. Die R. entfällt ferner bei Massnahmen von Hoheitspersonen (Polizeibeamte, Gerichtsvollzieher u.a.) innerhalb der ihnen gesetzlich eingeräumten Amtsbefugnisse u. beim Handeln eines Untergebenen aufgrund rechtmässigen Befehls. Auch ein Verhalten, das sich im Rahmen sozialer Adäquanz bewegt, ist nicht rechtswidrig.
ist der Widerspruch zur Rechtsordnung. Die R. dient vor allem zur Bewertung eines einen Erfolg verursachenden Verhaltens (z.B. eines Verwaltungshandelns, einer Straftat oder einer unerlaubten Handlung). Die R. ist entweder als Verstoß gegen ein Verhaltensgebot besonders festzustellen (Handlungsunrecht) oder als durch den Erfolg indiziert anzunehmen (Erfolgsunrecht) (Abgrenzung str.). Die R. wird durch das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrunds beseitigt. Lit.: Olivet, P., Der verantwortungsbezogene Rechts- widrigkeitsbegriff, 2. A. 1996; Kösch, A., Der Status des Merkmals rechtswidrig, 1999; Jakob, W., Rechtswidrigkeit im Staatshaftungsrecht, 2004; Bumke, C., Relative Rechtswidrigkeit, 2004
(Widerrechtlichkeit) allgemein: kennzeichnet die rechtliche Missbilligung einer tatbestandlich umschriebenen Handlung als im Widerspruch zur Rechtsordnung stehend. Im Zivilrecht wird die Rechtswidrigkeit überwiegend aus der tatbestandsmäßigen Rechtsgutverletzung, also dem Erfolgsunwert hergeleitet. Daher werden Vorsatz und Fahrlässigkeit als Form der Schuld angesehen (vgl. § 276 BGB). Im Strafrecht wird als Unwert einer tatbestandsmäßigen Handlung der Erfolgs- und Handlungsunwert unterschieden, wobei Letzterer in der Vorsätzlichkeit oder Fahrlässigkeit der Tat besteht. Diese werden daher nach h. M. bereits im Tatbestand geprüft.
Da der Tatbestand ein grundsätzlich rechtlich missbilligtes Verhalten umschreibt, entfällt die Rechtswidrigkeit nur beim Vorliegen von Rechtfertigungsgründen. Aufgrund der Einheit der Rechtsordnung ist ein zivilrechtlich oder öffentlich-rechtlich gestattetes Handeln auch im Strafrecht nicht rechtswidrig und umgekehrt. Rechtfertigungsgründe sind insbesondere die rechtfertigende Einwilligung und die mutmaßliche Einwilligung, öffentlich-rechtliche Ermächtigungsgrundlagen zur Wahrnehmung allgemeiner Interessen, wie z.B. das Festnahmerecht gern. § 127 StPO, zivilrechtliche Regeln über Selbsthilfe, Notwehr, Notstand und die rechtfertigende Pflichtenkollision. Eine Rechtfertigung nach diesen Regeln setzt nach heute ganz h. M. neben ihren objektiven Merkmalen subjektive Rechtfertigungselemente voraus, deren Vorliegen erst den Handlungsunwert der Tat beseitigt. Sonderregeln gelten, wenn die Tat objektiv nicht gerechtfertigt ist, aber der Täter glaubt, im Einklang mit der Rechtsordnung zu handeln (Irrtumslehre). Umstritten ist auch der umgekehrte Fall, bei dem der Täter von der objektiven Rechtfertigung seines Handelns nichts weiß (Irrtumslehre). Ist eine Handlung objektiv und subjektiv gerechtfertigt, so besteht für den Betroffenen eine Duldungspflicht. Außerdem handelt es sich nicht um eine rechtswidrige Tat im Sinne des Strafrechts.
Besonderheiten gelten nach h. M. für die Rechtfertigung dienstlichen Handelns von Amtsträgern im Strafrecht (sog. formeller Rechtmäßigkeitsbegriff). Da die Wahrnehmung allgemeiner Interessen durch Amtsträger im Rahmen der Dienstausübung u. U. ein schnelles Eingreifen erfordert, hängt die Rechtmäßigkeit nur ab
— von der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit,
— der Einhaltung der wesentlichen Förmlichkeiten, die das Gesetz zum Schutz des Bürgers verlangt,
— sowie von der pflichtgemäßen Ausübung eines dem Amtsträger zustehenden Ermessens und der pflichtgemäßen Prüfung der Sachlage.
Das Fehlen der tatsächlichen Eingriffsvoraussetzungen führt unter diesen Umständen nach h. M. nicht zur Rechtswidrigkeit der Diensthandlung, wenn der Amtsträger von deren Vorliegen bei situationsgebunden pflichtgemäßer Beurteilung ausgehen durfte (Irrtumsprivileg des Staates). Nach a. A. (sog. verwaltungsrechtlicher Rechtmäßigkeitsbegriff) soll die Rechtswidrigkeit von der Offensichtlichkeit des Fehlens der Eingriffsvoraussetzungen abhängen. Nach einer weiteren Ansicht (sog. vollstreckungsrechtlicher Rechtmäßigkeitsbegriff) kommt es allein auf die öffentlich-rechtlichen Eingriffsvoraussetzungen an.
(Widerrechtlichkeit) Zivilrecht: Im Privatrecht ist die Rechtswidrigkeit einer Handlung Voraussetzung für Abwehr- und Beseitigungsansprüche (§§ 12, 862, 1004 BGB und sog. quasi-negatorische Ansprüche). Gegen eine rechtswidrige Handlung kann der Betroffene Notwehr üben (§ 227 Abs. 2 BGB).
Im Recht der unerlaubten Handlungen ist die Rechtswidrigkeit (neben Tatbestandsmäßigkeit und
Verschulden) Haftungsvoraussetzung. Das BGB geht davon aus, dass jeder (unmittelbare) Eingriff in die von § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechtsgüter und Rechte verboten ist. Jede Herbeiführung des tatbestandsmäßigen Erfolgs ist daher rechtswidrig, soweit kein Rechtfertigungsgrund eingreift (sog. Lehre vom Erfolgsunrecht): Die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes indiziert damit die Rechtswidrigkeit der Handlung (sog. Indikationsmodell). Nur bei Eingriffen in die sog. Rahmenrechte (allgemeines Persönlichkeitsrecht, Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb) ist wegen der für den Einzelfall notwendigen Abgrenzung dieser Rechte eine positive Rechtswidrigkeitsprüfung vorzunehmen. Rspr. und Lehre haben bei Schädigungen durch Unterlassen oder nur mittelbaren Schädigungen die bloße Erfolgsherbeiführung nicht als ausreichende Grundlage der Rechtswidrigkeit angesehen, sondern das Unrechtsurteil an die (zusätzliche) Verletzung einer Verhaltenspflicht angeknüpft (sog. Lehre vom Handlungsunrecht). Solche Verhaltenspflichten sind die Verkehrssicherungspflichten und die etwa für die Produkthaftung oder im Arzthaftungsrecht entwickelten besonderen (Produzenten- und Berufs-)
Pflichten.
Rechtswidrig ist jede Handlung, die der Rechtsordnung widerspricht. Der Begriff der R. ist im gesamten Rechtsbereich einheitlich zu beurteilen. Rechtfertigungsgründe schließen das Unrecht (die R. der Handlung) mit Wirkung für alle Rechtsgebiete aus; so beseitigt z. B. der zivilrechtliche Notstand (Rechtfertigungsgrund!) auch die Rechtswidrigkeit der durch den Notstand veranlassten Straftat. Sie wirken auch zugunsten des Teilnehmers der Straftat. Als Rechtfertigungsgründe kommen hauptsächlich in Betracht: Notwehr, zivilrechtlicher oder rechtfertigender Notstand (dort 1 a, 2) sowie Pflichtenkollision (falls eines der im Widerstreit stehenden Rechtsgüter überwiegt), Einwilligung des Verletzten, mutmaßliche Einwilligung (Geschäftsführung ohne Auftrag; Operation eines Bewußsstlosen, dessen Angehörige nicht erreichbar sind), Dienstrechte der Amtsträger (z. B. Vollstreckungshandlungen des Gerichtsvollziehers, Waffengebrauch des Polizeibeamten), rechtmäßiger dienstlicher Befehl, behördliche Erlaubnis (z. B. zur Veranstaltung von Glücksspielen), nach neuerer Auffassung auch soziale Adäquanz und erlaubtes Risiko (übliche Gefährdungshandlungen im Bereich von Technik und Verkehr). Doch genügt i. d. R. zum Ausschluss der R. nicht das objektive Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes; vielmehr muss der Täter mit entsprechender Willensvorstellung handeln (subjektives Rechtfertigungselement).
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