Völkerstrafrecht

Die Idee eines unabhängigen ständigen Internationalen Strafgerichtshofs zur Aufklärung und Aburteilung völkerrechtswidriger Verbrechen reicht zurück bis in das Jahr 1872, in dem Gustave Moynier, als Präsident des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes, den ersten förmlichen Vorschlag zur Errichtung eines derartigen Gerichtshofs vorlegte.
Es blieb aber im letzten Jahrhundert ausschließlich bei der Bildung sog. internationaler „ad-hoc” — Strafgerichtshöfe, die in einem zeitlich und örtlich beschränkten Umfang Kriegsverbrechen, insbesondere Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, aufzuklären hatten bzw noch aktuell aufzuklären haben:
— Die völkerrechtswidrigen Aggressoren des Zweiten Weltkriegs mussten sich vor den durch die Alliierten eingesetzten Militärstrafgerichtshöfen in Nürnberg („Nürnberger Prozesse”) und Tokio verantworten.
Als Reaktion auf die völkerrechtswidrigen Verbrechen in den Bürgerkriegen der vormals jugoslawischen Teilrepubliken Kroatien und Bosnien-Herzegowina hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen 1993 den Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) eingerichtet (Resolution 827), der sich nunmehr auch mit den im Kosovo-Konflikt begangenen Menschenechtsverletzungen beschäftigt.
— Im Jahre 1994 hat der Sicherheitsrat der UN auch den Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda als Reaktion auf den zuvor von Hutus an den Tutsi begangenen Völkermord eingerichtet (Resolution 955). Die langjährigen Bestrebungen, unabhängig von diesen „ad-hoc” — Tribunalen, einen ständigen Internationalen Strafgerichtshof einzuführen, führten schließlich mit dem sog. Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH-Statut) vom 17.7. 1998 zum Erfolg. Nach diesem Statut verständigen sich die inzwischen 140 unterzeichnenden Staaten darauf, einen unabhängigen ständigen Internationalen Gerichtshof mit Sitz in Den Haag als Gerichtsbarkeit über die schwersten Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren, zu errichten. Die Bundesrepublik hat dieses Übereinkommen zur Gründung des IStGH im Dezember 1998 gezeichnet und am 11. 12. 2000 ratifiziert. Das Statut von Rom konnte schließlich nach dem 11.4. 2002, mit der Hinterlegung der 60. Ratifikationsurkunde eines Unterzeichnerstaates bei den Vereinten Nationen, in Kraft treten.
Das Statut machte die Anpassung deutschen Rechts erforderlich und führte insoweit zur Änderung bzw. elementaren Neuregelung innerstaatlichen Rechts:
— Bereits Ende 2000 wurde Art.16 Abs. 2 GG dergestalt geändert, dass nunmehr auch eine gesetzliche Regelung über die Auslieferung eines Deutschen an den Internationalen Strafgerichtshof oder an einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union möglich ist.
— Zeitgleich mit dem Inkrafttreten des Römischen Statuts am 1.7. 2002 (nach Art.126 Abs. 1 IStGHStatut) ist auch das deutsche Ausführungsgesetz zum Statut (RSAG, BGBl. 20021, S.2144) in Kraft getreten; es enthält die notwendigen verfahrensrechtlichen Vorschriften für die Zusammenarbeit mit dem IStGH, insbesondere das IStGHG (Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem internationalen Strafgerichtshof). Es sieht Regelungen vor, die die innerstaatliche Rechtslage im Bereich der strafrechtlichen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und dem Gerichtshof, der Überstellung oder Durchbeförderung von Personen, der Vollstreckung von Entscheidungen des Gerichtshof, der Leistung sonstiger Rechtshilfe sowie der Duldung von Verfahrenshandlungen auf nationalem deutschem Territorium an die Vorgaben des Römischen Statuts anpassen.
— Daneben ist bereits einen Tag zuvor das deutsche Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) in Kraft getreten. Mit diesem ist das materielle nationale Strafrecht an das römische Statut und das allgemeine humanitäre Völkerrecht angepasst worden. Das VStGB setzt mithin insbesondere die Strafvorschriften des Römischen Statuts um und geht zum Teil auf der Grundlage gesicherten Völkergewohnheitsrechts darüber hinaus. Dieses Gesetz verfolgt das Ziel, das spezifische Unrecht der Verbrechen gegen das Völkerrecht besser zu erfassen, als dies nach allgemeinem Strafrecht möglich ist, und durch Normierung in einem einheitlichen Reglungswerk die Rechtsklarheit und die Handhabbarkeit in der Praxis zu fördern. Im Hinblick auf den grundsätzlichen Vorrang der innerstaatlichen Gerichtsbarkeit nach Art.17 IStGH-Statut (Komplementarität) wird durch das VStGB ferner sichergestellt, dass Deutschland stets in der Lage ist, in die Zuständigkeit des IStGH fallende Verbrechen selbst zu verfolgen. Das ist nach dem Gesetz auch dann möglich, wenn der Täter weder selbst Deutscher ist noch die Tat in Deutschland oder an deutschen Staatsangehörigen begangen worden ist bzw. in dem Land der Begehung nicht verfolgt wird. Diese elementare Ausweitung des Weltrechtsgrundsatzes über § 6 StGB hinaus (Anwendbarkeit deutschen Strafrechts) ist einer der Kernpunkte des neu geschaffenen Völkerstrafrechts. Ein irgendwie gearteter Inlandsbezug ist für die Anwendbarkeit des deutschen Völkerstrafrechts nicht mehr erforderlich.
Das VStGB enthält in §§ 1 bis 5 einen zur Umsetzung des Völkerstrafgesetzbuchs erforderlichen Allgemeinen Teil, der die entsprechenden allgemeinen Regelungen des StGB allein für den Bereich der nachfolgenden Völkerrechtsstraftaten verdrängt. Die nicht konkurrierenden allgemeinen Vorschriften des StGB bleiben aber weiterhin anwendbar.
Die besonderen Völkerstraftaten sind insbesondere nach § 5 VStGB unverjährbar. In dem Besonderen Teil (§§ 6 bis 14 VStGB) sind in spezifischen Tatbeständen
die eigenständigen strafbaren Handlungen wider das Völkerrecht normiert. Darunter fallen auch Bürgerkriegsverbrechen (z. B. sog. „ethnische Säuberungen”). Die vorkommenden Abweichungen zu den Vorgaben des IStGH-Statut dienen der Harmonisierung mit den Begrifflichkeiten und Strukturen des deutschen Strafrechts und bezwecken eine erleichterte Rechtsanwendung. Berücksichtigt wurde auch die Spruchpraxis internationaler Strafgerichte (z. B. des Jugoslawien-Tribunals). Mit Ausnahme der §§ 13, 14 VStGB handelt es sich bei den normierten Straftaten allesamt um Verbrechen, die zum Teil eine lebenslange Freiheitsstrafe androhen (vgl. § 6, 7, 8 VStGB).
Strafbar sind der Völkermord (1 6 VStGB), die Verbrechen gegen die Menschlichkeit (1 7 VStGB), Kriegsverbrechen gegen Personen (1 8 VStGB), Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte (1 9 VStGB), Kriegsverbrechen gegen humanitäre Operationen und Embleme (§ 10 VStGB), Kriegsverbrechen des Einsatzes verbotener Methoden der Kriegsführung (1 11 VStGB), Kriegsverbrechen des Einsatzes verbotener Mittel der Kriegsführung (1 12 VStGB) und die Verletzung der militärischen oder zivilen Aufsichtspflicht im Hinblick auf eine vom Untergebenen begangene Zuwiderhandlung nach dem VStGB (1 13 VStGB) bzw. das Unterlassen einer diesbezüglichen Meldung zwecks Untersuchung oder Verfolgung (1 14 StGB).
Verfahrensrechtlich flankiert der neue § 153 f. StPO das in § 1 VStGB verankerte Weltrechtsprinzip und konkretisiert das sonst nach § 153c StPO bestehende Verfolgungsermessen der Staatsanwaltschaft für Auslandstaten. Danach ergibt sich aus § 153f StPO für Völkerstraftaten mit Inlandsbezug eine prinzipielle Verfolgungspflicht (Legalitätsprinzip), während für Taten ohne Inlandsbezug das Absehen von der nationalen Strafverfolgung bzw. eine entsprechende Verfahrenseinstellung präferiert wird, sofern die Strafverfolgung durch einen verfolgenden Drittstaat oder durch einen internationalen Gerichtshof gewährleistet ist.
Schließlich hat der nationale Gesetzgeber nach einer hierfür notwendigen Ergänzung des Art. 96 GG durch eine Neufassung von § 120 Abs. 1 Nr.8 GVG die erstinstanzliche Zuständigkeit der Oberlandesgerichte für alle Straftaten nach dem VStGB begründet. Nach § 142 a GVG ergibt sich daraus automatisch die Verfolgungszuständigkeit des Generalbundesanwalts.




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