Europäisches Rechtsschutzsystem
( Europäischer Gerichtshof) Die Aufgabe der Streitschlichtung und des Interessensausgleichs ist den zweistufig ausgestalteten Gerichten der Gemeinschaften zugewiesen. Zuständigkeit des EuGH beruht nicht auf einer Generalklausel, es gilt vielmehr (wie beim BVerfG) das Enumerationsprinzip; es besteht ein numerus clausus von Hauptsache-verfahren. Sie entsprechen Klagen mit verfassungs-, verwaltungs- und privatrechtlichem Charakter.
Die Verfahrensarten im Einzelnen: Vertragsverletzungsverfahren (Art. 226-228 EG-Vertrag) ist gerichtet auf die Feststellung einer Verletzung von EU-Recht durch einen Mitgliedstaat; Kläger können sein die EU-Kommission (sog. Aufsichtsklage gem. Art.226 EG-Vertrag) oder ein anderer Mitgliedstaat (gern. Art.227 EG-Vertrag); in einem Vorverfahren wird der betroffene Mitgliedstaat zur Stellungnahme aufgefordert und ihm Gelegenheit zur Abhilfe gegeben; Möglichkeit einer Vollstreckung nach Art.228 EG-Vertrag.
Die Nichtigkeitsklage (Art.230, 231 EG-Vertrag) ermöglicht eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Rechtsakten der Gemeinschaftsorgane, insb. Verordnungen, Richtlinien, Entscheidungen (sog. Direktklage); klageberechtigt sind ein Mitgliedstaat, der Rat und die Kommission; das Europäische Parlament zur Wahrung seiner Rechte; natürliche oder juristische Personen (Bürger, Unternehmen) gegenüber Entscheidungen, wenn sie Adressaten sind, sowie gegenüber Entscheidungen und Verordnungen, durch die sie unmittelbar und individuell betroffen sind. Bei Klagen von natürlichen oder juristischen Personen ist die Zuständigkeit des Gerichts erster Instanz begründet; bei Rechtswidrigkeit der Maßnahme wird diese für nichtig erklärt.
Die Untätigkeitsklage (Art.232 EG-Vertrag) ist eine Feststellungsklage bezogen auf das rechtswidrige Unterlassen der Vornahme eines Rechtsakts durch das Europäische Parlament, die Kommission oder den Rat. Klageberechtigt sind nach erfolglosem Vorverfahren alle Gemeinschaftsorgane.
Das Vorabentscheidungsverfahren (Art.234 EG-Vertrag) gibt den nationalen Gerichten die Möglichkeit, dem EuGH Fragen über die Auslegung und Gültigkeit von Gemeinschaftsrecht vorzulegen. Dies sichert dem EuGH die letztverbindliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts (vergleichbar einer konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 GG). Danach sind nationale Gerichte zur Vorlage an den EuGH berechtigt, teils verpflichtet. Voraussetzung ist, dass in einem anhängigen Gerichtsverfahren eine vorlagefähige Frage entscheidungserheblich ist. Vorlagefähig sind Fragen über die Auslegung des primären und sekundären Gemeinschaftsrechts und über die Gültigkeit von Rechtsakten der Gemeinschaftsorgane. Nicht unter Art. 234 EG-Vertrag fallen Fragen der Gültigkeit oder der Auslegung nationalen Rechts. Vorlagefrage muss dahin gehen, ob das Gemeinschaftsrecht dein Erlass oder der Auslegung einer nationalen Vorschrift mit dem Inhalt, wie sie im Verfahren entscheidungserheblich ist, entgegensteht. Vorlageberechtigt ist jedes nationale Gericht. Kann eine Entscheidung nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden, besteht eine Vorlagepflicht. Keine Vorlagepflicht besteht, wenn die Vorlagefrage vom EuGH bereits entschieden worden ist bzw wenn die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts so offenkundig ist, dass für vernünftige Zweifel kein Raum mehr besteht. Die Vorabentscheidung ist für das Gericht des Ausgangsverfahrens und alle mit der gleichen Rechtssache befassten Gerichte bindend.
Weitere Klagen betreffen Schadensersatzklagen bei Fehlverhalten von EU-Bediensteten gern. Art.288 Abs. 2, 235 EG-Vertrag; Streitsachen der Bediensteten der EU gern. Art.236 EG-Vertrag; Streitsachen, die sich auf die Europäische Investitionsbank und das Europäische System der Zentralbanken beziehen gern. Art. 237 EG-Vertrag sowie Streitigkeiten aufgrund einer Schiedsklausel oder eines Schiedsvertrages gern. Art.238, 239 EG-Vertrag. Vorläufiger Rechtsschutz wird ebenfalls gewährt. Nach Art.242 EG haben Klagen vor dem Gerichtshof keine aufschiebende Wirkung; der EuGH kann jedoch, wenn er dies den Umständen nach für nötig hält, die Durchführung der angefochtenen Handlung aussetzen. Nach Art.243 EG-Vertrag kann der EuGH in den bei ihm anhängigen Sachen die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen.
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