gestrecktes Verfahren
Gesetzlicher Regelfall der Anwendung von Zwangsmitteln im Verwaltungszwangsverfahren. Im Unterschied zum sofortigen Vollzug und zum abgekürzten Verfahren sind beim gestreckten Verfahren die Existenz einer vollstreckbaren HDU-Verfügung sowie die vorherige Androhung und ggfs. Festsetzung des Zwangsmittels erforderlich.
Rechtmäßigkeit der Anwendung von Zwangsmitteln im gestreckten Verfahren nach Bundesrecht (zu den einschlägigen landesrechtlichen Regelungen, die mit Modifikationen im Einzelfall der Systematik des BVwVG folgen, vgl. Verwaltungsvollstreckungsrecht).
Bundesrechtliche Ermächtigungsgrundlage für die Anwendung von Zwangsmitteln im gestreckten Verfahren ist § 6 Abs. 1 BVwVG. Die Vorschrift ist unanwendbar, wenn es um die Durchsetzung einer Geldforderung geht (Beitreibungsverfahren) oder wenn sich die Befugnis zur Zwangsanwendung bereits aus der einschlägigen Ermächtigungsgrundlage für den
Erlass der HDU-Verfügung ergibt (Verwaltungszwangsverfahren).
Formelle Rechtmäßigkeit. Für die Anwendung des Zwangsmittels im gestreckten Verfahren ist die Vollzugsbehörde zuständig. Einer Anhörung vor Anwendung des Zwangsmittels bedarf es nicht. Dies gilt selbst dann, wenn man die Anwendung des Zwangsmittels im gestreckten Verfahren als Verwaltungsakt ansieht, denn in diesem Fall ist die Anhörung gem. § 28 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG entbehrlich.
Materielle Rechtmäßigkeit. In materieller Hinsicht müssen zunächst die Vollstreckungsvoraussetzungen gegeben sein. Dazu ist das Vorliegen einer — wirksamen — HDU-Verfügung erforderlich, die vollstreckbar sein muss. Vollstreckbar ist eine HDU-Verfügung gern. § 6 Abs. 1 BVwVG dann, wenn die Verfügung unanfechtbar ist oder das Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat (vgl. § 80 Abs. 2 VwGO — zur Formulierung „oder wenn sein sofortiger Vollzug angeordnet ist” in § 6 Abs. 1 BVwVG sofortiger Vollzug). Außerdem muss die HDU-Verfügung einen vollstreckungsfähigen Inhalt haben.
Umstritten ist die Frage, ob bei der Vollstreckung einer HDU-Verfügung, die noch nicht unanfechtbar ist, die aber vollstreckt werden kann, weil der Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung hat, zu den Vollstreckungsvoraussetzungen auch die Rechtmäßigkeit der HDU-Verfügung gehört. Nach einer Ansicht besteht insoweit eine Art Rechtswidrigkeitszusammenhang, weil andernfalls das Unrecht aus dem Verwaltungsakt durch seine Vollstreckung noch vertieft werde. Darüber hinaus ergebe sich aus § 18 Abs. 1 S.3 BVwVG, der bei Unanfechtbarkeit der HDU-Verfügung nur noch Einwendungen gegen die Androhung zulässt, im Umkehrschluss, dass die Anfechtung von Vollstreckungsakten (Androhung, Festsetzung) vor Bestandskraft der HDU-Verfügung auch auf deren Rechtswidrigkeit gestützt werden kann. Nach h. M. ist die Rechtmäßigkeit der HDU-Verfügung für die Rechtmäßigkeit nachfolgender Vollstreckungsakte wegen der Tatbestandswirkung von Verwaltungsakten irrelevant. Ausschlaggebend ist allein die Wirksamkeit der HDU-Verfügung. Das gilt nach heute h. M. auch dann, wenn die Behörde die Erstattung der Kosten der Vollstreckung verlangt. Der Betroffene muss Einwände gegen die HDU-Verfügung gegen diese selbst geltend machen. Dabei ist allerdings § 18 Abs. 1 S. 2 BVwVG die allgemeine Auslegungsregel zu entnehmen, dass sich Rechtsbehelfe gegen Vollstreckungsakte im gestreckten Verfahren im Zweifel gegen alle noch anfechtbaren Verwaltungsakte richten.
Weitere Rechtmäßigkeitsvoraussetzung ist die Einhaltung des Vollstreckungsverfahrens. Dazu gehören eine wirksame Androhung und der Ablauf der in der Androhung gesetzten Frist sowie — sofern gesetzlich vorgesehen — eine wirksame Festsetzung des Zwangsmittels.
Des weiteren muss die Anwendung des Zwangsmittels entsprechend der Androhung bzw. Festsetzung unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgt sein, wobei für die Art und Weise
der Anwendung unmittelbaren Zwangs etwaige bestehende Sonderregelungen zu berücksichtigen sind.
Schließlich dürfen keine Vollstreckungshindernisse bestehen.
Für den Rechtsschutz gegen die Anwendung von Zwangsmitteln im gestreckten Verfahren ist zu differenzieren: Hält der Betroffene die Anwendung von
Verwaltungszwang oder das konkrete Zwangsmittel für unzulässig, so kann und muss er die Androhung
bzw. Festsetzung durch Widerspruch oder Anfechtungsklage anfechten. Gegen die Anwendung eines angedrohten bzw. festgesetzten Zwangsmittels kann
der Betroffene grundsätzlich nur noch Einwände erheben, die die Art und Weise der Anwendung betreffen. Da die Anwendung von Ersatzvornahme und unmittelbarem Zwang nach erfolgter Androhung bzw.
Festsetzung nach überwiegender Meinung keine Regelung mehr enthält (zum Zwangsgeld Beitreibungsverfahren), kommt insoweit nur die Erhebung einer Leistungs- oder Feststellungsklage in Betracht. Neben der Art und Weise der Anwendung kann der Betroffene auch noch den Eintritt von Vollstreckungshindernissen rügen.
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