Strafklageverbrauch
Folge der materiellen Rechtskraft des Strafurteils, wonach eine Strafverfolgung des Täters wegen derselben Tat im prozessualen Sinn (ne bis in idem) ausgeschlossen ist. Der Grundsatz gilt nach dem Wortlaut von Art. 103 Abs. 3 GG nur zur Verhinderung einer Doppelbestrafung. Jedoch muss dies auch bei rechtskräftigem Freispruch gelten, da die Vorschrift dem Beschuldigten die doppelte Belastung durch Prozesse ersparen will. Der Strafklage-verbrauch stellt ein Verfahrenshindernis dar und ist in allen Instanzen von Amts wegen zu beachten.
Unbeschränkt gilt der Grundsatz nur für Sachentscheidungen. Im Strafbefehlsverfahren sind nur neu entdeckte Umstände, die zu einem Vergehen oder einer Ordnungswidrigkeit führen, vom Strafklageverbrauch
erfasst. Auch der Einstellungsbeschluss gemäß § 153 a Abs. 2 StPO hat, wenn der Angeschuldigte die Auflagen und Weisungen erfüllt hat, nur zur Folge, dass die Tat nicht mehr als Vergehen verfolgt werden kann (§153a Abs.1 S. 4 StPO). Auch wenn im Zeitpunkt der Urteilsfällung bestimmte Umstände noch nicht bekannt sein konnten, wie z. B. Spätfolgen einer Tat (Tod des Opfers), bleibt es beim Strafklageverbrauch; die Möglichkeit einer Ergänzungsanklage ist ausgeschlossen (str.).
Ausländische Gerichtsurteile führen grundsätzlich nicht zum Strafklageverbrauch. Ausnahmen:
— Art.54 des Schengener Durchführungsübereinkommens sieht das Verbot der Doppelbestrafung für Sanktionen vor, die in einem anderen Vertragsstaat vollstreckt worden sind, gerade vollstreckt werden oder nicht mehr vollstreckt werden können. „Gerade vollstreckt” wird eine Sanktion dabei auch dann, wenn ihre Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Eine strafklageverbrauchende Wirkung kann nicht nur Urteilen — bzw. rechtskräftigen Freisprüchen — oder gerichtlichen Entscheidungen — auch dem gnadenähnlichen Absehen von Strafe —, sondern auch verfahrensabschließenden Entscheidungen einer Staatsanwaltschaft zukommen. Deutschland, in dem das SDÜ seit 1996 in Kraft ist, hat gern. Art. 55 Abs. 1 a 1. Hs. SDÜ den sog. Territorialvorbehalt gegenüber der Anwendung des Art. 54 erklärt. Dieser greift jedoch nicht, wenn die Tat teilweise im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates verübt wurde, in dem das Urteil ergangen ist.
— Eine dem Art. 54 SDÜ entsprechende Regelung enthält nunmehr auch Art.50 der EU-Grundrechtscharta; danach findet der Grundsatz „ne bis in idem” nicht nur innerhalb der Gerichtsbarkeit eines Staates, sondern auch zwischen den Gerichtsbarkeiten mehrerer Mitgliedsstaaten Anwendung.
— Für Straftaten ausländischer Truppenangehöriger gilt Art. VII (8) NATO-Truppenstatut.
Für die übrig bleibenden Fälle doppelter Sachentscheidung bei Auslandstaten steht zur Vermeidung von Härten § 51 Abs. 3 StGB bereit. Danach muss im Ausland erfolgter Freiheitsentzug auf die inländische Strafe angerechnet werden. Dies kann im Hinblick auf das Verhalten des Verurteilten nach dem letzten tatrichterlichen Urteil ausgeschlossen sein, § 450 a Abs. 3 StPO. Gemeint sind Fälle, in denen der Verurteilte unter Anwendung von Gewalt aus der JVA geflohen ist oder die Tatbeute ins Ausland gebracht hat.
Die wichtigste Wirkung der materiellen Rechtskraft des Strafurteils ist der Verbrauch der Strafklage. Er verbietet eine neue Strafverfolgung des Täters wegen derselben Tat (ne bis in idem). Dieses Verbot ist jetzt durch Art. 103 III GG auch verfassungsrechtlich gesichert, begründet also nicht nur ein Prozesshindernis, sondern auch ein subjektives Recht insbes. des Freigesprochenen, nicht erneut belangt zu werden. Nur eine Sachentscheidung des Strafrichters verbraucht die Strafklage, nicht eine prozessuale wie z. B. die Einstellung wegen Mangels einer Verfahrensvoraussetzung - etwa des Strafantrags - nach § 260 III StPO, es sei denn, dass auch darin eine Sachentscheidung liegt, so bei Einstellung wegen Strafverfolgungsverjährung oder Amnestie. Beschlüsse können ebenfalls strafklageverbrauchende Wirkung haben, so der die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnende Beschluss (§ 211 StPO); die öffentliche Klage kann nur auf Grund neuer Tatsachen oder Beweismittel wieder aufgenommen werden. Inwieweit der S. durch Strafurteil eintritt, ist dem Urteilsspruch zu entnehmen, nicht den Gründen. Die Sperrwirkung des S. erfasst den gesamten Sachverhalt, den das Gericht in seine Entscheidung hätte einbeziehen können, auch soweit das nicht geschehen ist. Für den Bescheid im nichtgerichtlichen Bußgeldverfahren tritt kein Klageverbrauch ein, wenn sich später ergibt, dass die Tat als Straftat zu werten ist (§§ 84, 86 OWiG).
Urteile ausländischer Gerichte verbrauchen die Strafklage nicht, sofern nicht durch zwischenstaatlichen Vertrag etwas anderes vereinbart ist, so in dem EG-Übereinkommen über das Verbot der doppelten Strafverfolgung v. 25. 5. 1987 (BGBl. 1998 II 2226), Art. 54, 55 SDÜ (Schengener Übereinkommen), Art. 7 des Übereinkommens über den Schutz finanzieller Interessen der EG v. 26. 7. 1995 (BGBl. 1998 II 2324), Art. 7 des Protokolls dazu v. 27. 9. 1996 (BGBl. 1998 II 2342) und Art. VII (8) des NATO-Truppen-Statuts (ausländische Streitkräfte); s. a. Auslandsstrafen. Eine im Ausland wegen derselben Tat erlittene Freiheitsentziehung muss nach allgemeinen Regeln des Völkerrechts bei erneuter Verurteilung nicht angerechnet werden (BVerfGE 75, 1), ist aber bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Andere als strafrechtliche Erkenntnisse haben den S. nicht zur Folge, so berufsgerichtliche oder Disziplinarmaßnahmen (z. B. Laufbahnstrafen); eine disziplinare Arreststrafe ist dagegen bei nachfolgender Verurteilung zu Freiheitsstrafe zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 21, 378, 391; 27, 180). Eine endgültige Erledigung eines Strafverfahrens ohne Mitwirkung eines Gerichts, die dem Verfahren nach § 153 a StPO (Bagatellstrafsachen, 2) entspricht, bewirkt nach Art. 54 SDÜ den S. in den Schengen-Staaten (EuGH NJW 2003, 1173).
Ein Urteil des Internationalen Strafgerichtshofs führt zum S. (§ 69 IStGHG).
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