Vernehmungen im Strafverfahren

1.

a) Im Ermittlungsverfahren in Strafsachen ist der Beschuldigte, wenn es nicht zur Einstellung kommt, spätestens vor dessen Abschluss zu vernehmen; in einfachen Sachen und vor Erlass eines Strafbefehls genügt schriftliche Anhörung. Nach §§ 136, 163 a StPO ist ihm bei der ersten V. durch Polizei, StA oder Gericht nach Feststellung seiner Personalien zu eröffnen, was ihm zur Last gelegt wird. StA und Richter müssen ihn dabei über die in Betracht kommenden Strafvorschriften belehren. Der Beschuldigte ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und jederzeit, auch schon vor seiner V., einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen; ebenso, dass er zu seiner Entlastung Beweiserhebungen beantragen kann. In geeigneten Fällen soll er auch auf die Möglichkeit einer schriftlichen Äußerung und eines Täter-Opfer-Ausgleichs hingewiesen werden. Außerdem soll über die reinen Personalangaben (Namensangabe, falsche) hinaus auf Ermittlung seiner persönlichen Verhältnisse Bedacht genommen werden, soweit diese für die Sache von Bedeutung sind; Fragen nach Vorstrafen sind nur unter diesem Gesichtspunkt angebracht.
Unterbleibt die Belehrung über die Aussagefreiheit oder das Recht zur Verteidigerkonsultation, so entsteht ein Verwertungsverbot (Beweisverbote) für die Aussage (BGHSt 38, 214 und 372). Gleiches gilt, wenn der Beschuldigte die Belehrung auf Grund seines geistig-seelischen Zustandes nicht verstanden hat (BGHSt 39, 349). Ein Verwertungsverbot besteht aber nicht, wenn der Beschuldigte seine Rechte auch ohne Belehrung gekannt hat oder nach (qualifizierter) Belehrung mit Hinweis auf die Unverwertbarkeit oder nach Belehrung in der Kenntnis, von den bisherigen Angaben abrücken zu können, seine Aussage wiederholt oder wenn der verteidigte Angeklagte in der Hauptverhandlung der Aussageverwertung ausdrücklich zustimmt oder ihr bis zum Ende des jeweiligen Beweisvorgangs nicht widerspricht; hat der Angeklagte keinen Verteidiger, muss er auf das Widerspruchsrecht hingewiesen werden.
Ändern sich im Verlauf des Strafverfahrens die Angaben des ordnungsgemäß belehrten Beschuldigten, insbes. durch Widerruf eines Geständnisses oder durch Schweigen in der Hauptverhandlung (s. u. 2.) so wird die ursprüngliche Aussage nicht unverwertbar. Über sie kann durch Zeugenvernehmung der V.-person, auch eines Polizeibeamten, oder Urkundenverlesung, wenn sie in einem richterlichen Protokoll (§ 254 I StPO) oder in einem vom Beschuldigten herrührenden Schriftstück (§ 249 I StPO) enthalten ist, Beweis erhoben werden (§ 252 StPO).

b) Auch die V. der Zeugen ist mit der Feststellung der Personalien zu beginnen. Der Zeuge ist über den Gegenstand des Verfahrens zu unterrichten. Über die Wahrheitspflicht, ein Zeugnisverweigerungsrecht oder ein entsprechendes Untersuchungsverweigerungsrecht (körperliche Untersuchung im Prozess) oder ein Auskunftsverweigerungsrecht ist er schon von Polizei oder StA zu belehren (§ 57 S. 1, § 52 III, § 81 c III, § 55 II, § 163 III StPO). Zur Gegenüberstellung von Zeugen mit anderen Zeugen oder dem Beschuldigten s. § 58 II StPO.
Unterbleibt die Belehrung über das Zeugnisverweigerungsrecht, so ist die Aussage unverwertbar (Beweisverbote). Dies gilt aber nicht, wenn der Zeuge nachträglich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht verzichtet oder der Verwertung zustimmt oder wenn er sein Zeugnisverweigerungsrecht gekannt hat und auch nach Belehrung ausgesagt hätte. Beruft sich ein ordnungsgemäß belehrter Zeuge nach der V. auf sein Zeugnisverweigerungsrecht, darf die Aussage grundsätzlich nicht verwertet, also das Protokoll darüber nicht verlesen und die V.-person - ausgenommen ein Richter (BGHSt 32, 25) - nicht dazu vernommen werden (§ 252 StPO).
Das Unterlassen der Belehrung über das Auskunftsverweigerungsrecht begründet kein Verwertungsverbot (BGHSt 11, 213).

c) Verbotene Vernehmungsmethoden sind nach § 136 a StPO: Täuschung (z. B. über ein angebliches Geständnis eines Mitbeschuldigten), Drohung (mit Verhaftung u. dgl.), Zwang, Quälerei, Misshandlung (s. a. Folter) oder sonstige körperliche Eingriffe (soweit sie nicht gesetzlich zugelassen sind, wie z. B. Blutentnahme), Ausnützen einer Ermüdung, Hypnose, Verabreichen von Mitteln, mit denen die freie Willensbildung beeinflusst wird (s. Narkoanalyse; anders bei bloßen Stärkungsmitteln); ebenso Versprechen von Vorteilen, die das Gesetz nicht vorsieht (z. B. Haftentlassung trotz Fluchtgefahr, Genussmittel). § 136 a StPO verbietet aber nicht kriminalistische List. So dürfen dem Betroffenen Tatsachen verschwiegen oder ein bereits vorhandener Irrtum des Beschuldigten ausgenutzt werden. Verboten ist nur die Lüge, durch die der Beschuldigte irregeführt und in seiner Aussagefreiheit beeinträchtigt wird. Die Befragung des Beschuldigten durch eine Privatperson, die auf Veranlassung der Ermittlungsbehörde handelt, ist grundsätzlich keine Täuschung (s. a. e) und verdeckte Ermittlungen).
Aussagen, die unter Verletzung des § 136 a StPO zustande gekommen sind, dürfen auch mit der zur eigenen Entlastung gegebenen Einwilligung des Aussagenden nicht verwertet werden (Beweisverbote).
§ 136 a StPO gilt auch für die V. von Zeugen (§ 69 III, § 163 a V StPO).

d) Über die V. eines festgenommenen Beschuldigten s. Festnahme, Untersuchungshaft.

e) Zu beachten ist, dass die angeführten Belehrungspflichten nicht eingreifen, wenn keine V. vorliegt oder der Beschuldigte nicht in dieser Eigenschaft befragt wird. Eine V. setzt voraus, dass die V.-person der Auskunftsperson in amtlicher Funktion gegenübertritt und in dieser Eigenschaft von ihr Auskunft verlangt (BGHSt 40, 211). Dazu gehören nicht informatorische Befragungen, spontane Äußerungen gegenüber Amtspersonen oder Angaben gegenüber verdeckt ermittelnden Beamten. Äußerungen gegenüber Privatpersonen fallen grundsätzlich ebenfalls nicht darunter, auch wenn das Gespräch auf Veranlassung der Ermittlungsbehörde geführt oder von dieser überwacht wird (verdeckte Ermittlungen). Die Beschuldigteneigenschaft wird grundsätzlich erst durch einen Willensakt der Strafverfolgungsbehörde begründet, i. d. R. durch die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens; der Tatverdacht allein genügt dazu nicht.

2.
In der Hauptverhandlung wird nach Aufruf der Sache und Belehrung der Zeugen (§ 57 StPO) die V. vom Vorsitzenden durchgeführt. Der Angeklagte wird in Abwesenheit der Zeugen, sofern diese nicht als Verletzte gem. § 406 g I StPO zur Anwesenheit berechtigt sind, zunächst nur über seine persönlichen Verhältnisse vernommen. Nach Verlesung des Anklagesatzes durch die StA wird er darauf hingewiesen, dass es ihm freistehe, sich zur Anklage zu äußern oder nicht zu Sache auszusagen (§ 243 V 1 StPO). Entschließt er sich zur Aussage, wird er zur Sache vernommen. Wird der Angeklagte nicht belehrt, darf seine Aussage nicht verwertet werden. Die Belehrung muss nachgeholt und die V. wiederholt werden. Ein Verstoß gegen § 243 V 1 StPO führt aber nicht zur Urteilsaufhebung, wenn der Angeklagte seine Aussagefreiheit gekannt hat. Nach V. des Angeklagten werden die Zeugen einzeln und in Abwesenheit der später zu hörenden Zeugen vernommen (§ 58 I StPO), ggf. nach Belehrung über ein Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrecht (zur Verwertung der Aussagen s. o. 1. b). S. a. Kreuzverhör, Zeugenschutz, Video-Aufzeichnungen u. Übertragungen.




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