Zuständigkeit, sachliche
Bestimmung des zuständigen Eingangsgerichts innerhalb des jeweils eröffneten Rechtsweges als Prozessvoraussetzung.
Strafprozessrecht: Das für die Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft zuständige Gericht erster Instanz wird vom GVG bestimmt (§ 1 StPO) und hängt von Art und Schwere der Tat ab.
— Die Zuständigkeit des Amtsgerichts ergibt sich aus §§ 24 ff. GVG. Danach ist der Strafrichter gemäß § 25 GVG zuständig, wenn keine höhere Strafe als zwei Jahre zu erwarten ist; ebenso bei Privatklagen. I. Ü. ist das Schöffengericht zuständig, es sei denn, die Zuständigkeit des Landgerichts ergibt sich aus §§ 74 Abs.2, 74a GVG, eine höhere Strafe als zwei Jahre Freiheitsstrafe, Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus oder Sicherungsverwahrung sind zu erwarten oder die Staatsanwaltschaft klagt wegen der besonderen Bedeutung des Falles zum Landgericht an.
— Das Landgericht entscheidet gemäß § 74 i. V. m. § 76 Abs. 2 GVG insbesondere bei einer Straferwartung von mehr als vier Jahren (Große Strafkammer); in den Fällen des § 74 Abs. 2 i. V m. § 76 Abs. 1 GVG als Schwurgericht.
— Die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts erstreckt sich gemäß § 120 GVG auf Staatsschutzsachen und Völkermord.
Abzugrenzen ist die sachliche Zuständigkeit von der Strafgewalt, die beim Amtsgericht gemäß § 24 Abs. 2 GVG bei Freiheitsstrafen auf vier Jahre beschränkt ist.
Ist für ein gerechtes Urteil bei einer vor dem Amtsgericht erhobenen Anklage eine darüber hinausgehende Bestrafung erforderlich, ist die Sache gemäß § 270 Abs. 1 StPO an das zuständige Gericht zu verweisen.
Venvaltungsprozessrecht: Für die Entscheidungen im ersten Rechtszug ist grundsätzlich das Verwaltungsgericht zuständig (§ 45 VwGO). Ausnahmen davon sind in §§ 47, 48 VwGO für das Oberverwaltungsgericht sowie in § 50 VwGO für das Bundesverwaltungsgericht vorgesehen.
Zivilprozessrecht: ergibt sich aus den Bestimmungen des GVG (§ 1 ZPO). Hiernach ist entweder das Amtsgericht (§§23, 23a GVG) oder das Landgericht (§ 71 GVG) als Eingangsgericht zuständig.
Die sachliche Zuständigkeit von Amts- oder Landgericht ist abzugrenzen von Fällen gesetzlicher Geschäftsverteilung innerhalb der Zivilgerichte, wie die Zuordnung bestimmter Verfahren an das Familiengericht als besonderer Abteilung des Amtsgerichts oder an die Kammer für Handelssachen des Landgerichts, Fällen von der Zivilgerichtsbarkeit „abgespaltener”
eigenständiger Rechtswege zu besonderen Gerichten, wie den Arbeitsgerichten (seit der Änderung des § 48 ArbGG durch das 4. VwG0-ÄndG; vorher handelte es sich um eine ausschließliche sachliche Zuständigkeit, Arbeitsgerichtsbarkeit).
Die Parteien haben eine das Fehlen der sachlichen Zuständigkeit betreffende Rüge grundsätzlich vor der Verhandlung zur Hauptsache zu erheben (§§282 Abs. 3, 296 Abs. 3 ZPO). In I. Instanz hat ein Amtsgericht seine sachliche Zuständigkeit aber unabhängig von der Erhebung von Rügen der Parteien von Amts wegen zu prüfen, da es die Parteien gern. § 504 ZPO auf eine evtl. fehlende sachliche Zuständigkeit zwingend hinweisen muss. Ein Landgericht hat dagegen die eigene sachliche Zuständigkeit von Amts wegen nur bei nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten und bei ausschließlichen sachlichen Zuständigkeiten (z. B. der Amtsgerichte für Wohnraummietsachen) zu berücksichtigen, während alle anderen Zuständigkeitsmängel durch rügeloses Verhandeln der Parteien präkludieren (§§ 39 S.1, 40 Abs. 2 S.2 ZPO). Für die Berücksichtigung der sachlichen Zuständigkeit des Eingangsgerichts in der Berufungsinstanz ist zu differenzieren:
— von Amts wegen geprüft wird die sachliche Zuständigkeit nur bei wegen fehlender sachlicher Zuständigkeit durch Prozessurteil erfolgter Klageabweisung und bei nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten (vgl. § 529 Abs. 2 ZPO).
— Erhebt eine Partei in der Berufungsinstanz die Rüge fehlender sachlicher Zuständigkeit des Eingangsgerichts, ist dies unbeachtlich, wenn das Eingangsgericht ein Landgericht war (§ 10 ZPO, ist nicht anwendbar, wenn eine LG-Zuständigkeit — wie z. B. bei Familien- oder Landwirtschaftssachen — überhaupt nicht in Betracht kommt); außerhalb des Anwendungsbereichs des § 10 ZPO ist die sachliche Zuständigkeit des Eingangsgerichts auf diese Rüge zu überprüfen, wenn die Rüge bereits in I. Instanz (erfolglos) erhoben worden war, sonst nur, wenn die Nichterhebung in I. Instanz genügend entschuldigt ist (§ 529 Abs. 2, 2. Hs. ZPO).
In den Verfahren über Berufung und Revision ist die sachliche Zuständigkeit des Eingangsgerichts nicht mehr überprüfbar (§§ 513 Abs. 2, 545 Abs. 2 ZPO). Ändert sich nach Klageerhebung der Streitwert, ist zu unterscheiden:
— Ermäßigt sich — etwa durch Teilldagerücknahme der Streitwert, gilt der Grundsatz der „perpetuatio fori” (Rechtshängigkeit). Gemäß § 261 Abs. 2 Nr.2 ZPO bleibt das zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit zuständige Landgericht zuständig (also auch dann, wenn der Streitwert auf 5 000 € oder weniger sinkt).
Erhöht sich der Streitwert durch Erweiterung des Klageantrages oder durch Erhebung einer Widerklage (vgl. § 45 Abs. 1 S.1 GKG), wird der Grundsatz der „perpetuatio fori” von § 506 ZPO für Verfahren vor den Amtsgerichten (zur Verhinderung einer „Erschleichung” der amtsgerichtlichen Zuständigkeit) durchbrochen: Wird die Wertgrenze von 5 000 € überschritten, muss sich das Amtsgericht auf Antrag einer Partei (also nicht von Amts wegen!) durch Beschluss für unzuständig erklären und den Rechtsstreit an das zuständige Landgericht verweisen.
Bei fehlender sachlicher Zuständigkeit gelten die gleichen Regeln wie bei fehlender örtlicher Zuständigkeit.
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