Wirtschaftskriminalität
Im juristischen Sinn werden unter dem Begriff Wirtschaftskriminalität alle Verstöße gegen Tatbestände des Wirtschaftsstrafrechts verstanden. Dieses ist sehr zersplittert geregelt, u. a. in den verschiedenen Gesetzen zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, der Umweltkriminalität, der organisierten Kriminalität sowie im Verbrechensbekämpfungsgesetz.
Zu den zahlreichen Delikten aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität gehören beispielsweise
* Konkursdelikte,
* Subventionsbetrug,
* Verstöße gegen Buchhaltungspflichten im weitesten Sinn,
* Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen,
* Kapitalanlagebetrug,
* Umweltkriminalität im gewerblichen Bereich,
* Steuerhinterziehung, Kredit-und Versicherungsbetrügereien im gewerblichen Bereich,
* Computerkriminalität im gewerblichen Bereich,
* Verstöße gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb,
* Kartellrechtsverstöße,
* Produktpiraterie. Wirtschaftskriminalität im weiteren Sinn
Im allgemeinen Sprachgebrauch wird die Wirtschaftskriminalität auch als Weiße-Kragen-Kriminalität bezeichnet. Darunter versteht man alle Straftaten, die letztlich ohne Gewaltanwendung, sozusagen mit Tricks, begangen werden. So gesehen zählen dazu auch die Schwarzarbeit, "normale" Betrügereien und der unrechtmäßige Bezug von Sozialleistungen.
Der Schaden, der der Gesellschaft jährlich durch Wirtschaftskriminalität entsteht, wird auf über 20Mrd. EUR geschätzt. Die Justiz versucht die Bekämpfung dieser Kriminalitätssparte durch die Bildung spezieller Wirtschaftsstaatsanwaltschaften und Wirtschaftsstrafkammern bei den Gerichten effektiver zu gestalten.
Im engeren Sinne solche Straftaten, die nur im Zusammenhang mit der Wirtschaft begangen werden können, zum Beispiel im Zusammenhang mit unlauterem Wettbewerb oder einem Konkurs. Im weiteren Sinne versteht man darunter auch andere Straftaten (zum Beispiel Betrug, Unterschlagung, Untreue, Wucher), wenn sie im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Unternehmungen begangen werden. Allgemein hört man, daß die Wirtschaftskriminalität in letzter Zeit stark zugenommen habe und milder bestraft werde als andere Kriminalität. Beides ist nicht ganz zutreffend. Eine Zunahme ist (abgesehen von Einzelgebieten, zum Beispiel im Zusammenhang mit steuerlichen Abschreibungen) objektiv nicht feststellbar, vielmehr ist es eher so, daß heute mehr auf Wirtschaftskriminalität geachtet und diese eher verfolgt wird. Auch eine mildere Bestrafung von Wirtschaftsstraftätern («Tätern mit dem weißen Kragen») ist nicht feststellbar. Zutreffend ist jedoch, daß die Aufklärung der Wirtschaftskriminalität den Strafverfolgungsbehörden nach wie vor große Schwierigkeiten bereitet, da sie dafür personell und sachlich nicht ausreichend ausgestattet sind. Erst in neuester Zeit konnten die Staatsanwalt Schäften dazu übergehen, einige Wirtschaftsfachleute einzustellen, die ihnen bei der Aufklärung der Wirtschaftskriminalität behilflich sein können.
ist die Gesamtheit der Straftaten, die einen engen Bezug zum Wirtschaftsleben haben (sog. Weisse-Kragen- Delikte). Hierher gehören etwa Konkursstraftaten, Steuervergehen, Grossbetrug, Straftaten nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, den Gesetzen über das Bank-, Depot-, Börsen- u. Kreditwesen, dem Aussenwirtschaftsgesetz usw. Nur ein unbedeutender Teil dieser Delikte ist im Wirtschaftsstrafgesetz von 1954 i.d.F. von 1975 erfasst, das insbes. Preistreiberei u. Verstösse gegen Preisregelungen unter Strafe stellt. Duch das 1. Gesetz zur Bekämpfung der W. v. 29.7.1976 wurden dem StGB die Straftatbestände des Subventions- u. des Kreditbetrugs eingefügt (Betrug) u. der Wucher neu geregelt. Aufgrund des 2. Gesetzes zur Bekämpfung der W. erfasst das StGB nunmehr auch die Computerkriminalität (§202a: Ausspähen von Daten, §263a:
Computerbetrug [Betrug, Geldautomat], §§269, 270: Fälschung beweiserheblicher Daten auch durch fälschliche Beeinflussung einer Datenverarbeitung, § 303 a: rechtswidrige Datenveränderung, § 303 b: Computersabotage), den Kapitalanlagebetrag (§ 246a, Betrug), das Vorenthalten u. Veruntreuen von Arbeitsentgelt (§ 266a, Untreue), die Fälschung von Vordrucken für Euroschecks u. Euroscheckkarten (§ 152 a) sowie den Missbrauch von Scheck- u. Kreditkarten (§ 266 b, Scheck).
Die W. bereitet den Ermittlungsbehörden u. Strafgerichten insoweit Probleme, als es vielfach an Experten fehlt, die über die erforderlichen wirtschaftlichen Kenntnisse verfügen. Diesen Mangel sucht das GYG dadurch auszugleichen, dass es in § 74 c die Möglichkeit eröffnet, Wirtschaftsstrafsachen, die in die Zuständigkeit der grossen Strafkammer fallen, einem Landgericht für mehrere Landgerichtsbezirke u. innerhalb des Landgerichts einer oder mehreren Wirtschaftsstrafkammern zuzuweisen.
ist die Gesamtheit der im Bereich des wirtschaftlichen Handelns vorgenommenen Straftaten (z. B. §§ 283 ff., 263 StGB, Insolvenzstraftaten, Betrug, Wirtschaftsstrafrecht). Lit.: Maier, K., Wirtschaftskriminalität und interne Revision, 2001; Thomann, D., Wirtschaftskriminalität, 2003
Delikte, die im Rahmen tatsächlicher oder vorgetäuschter wirtschaftlicher Tätigkeit begangen werden, sofern über Schädigung Einzelner hinaus auch die Allgemeinheit bzw. das Wirtschaftsleben geschädigt wurde und/ oder für die Aufklärung besondere kaufmännische Kenntnisse erforderlich sind.
Wichtiger Anhaltspunkt für Erarbeitung einer Definition dieses Begriffes ist die Zuständigkeitsregelung § 74c Abs. 1 Nr. 6 GVG.
Die Entwicklung des Begriffs vollzog sich in drei Stufen. Unter white-collar-crimes verstand man Mitte des 20. Jahrhunderts Straftaten, die von Mitgliedern der gehobenen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Klasse in Ausübung ihres Berufes begangen wurden. Dazu zählten nicht Straftaten wie Mord, Raub, Diebstahl usw.
Nachteil: Nach dieser Formel werden auch Taten erfasst, die keinerlei Bezug zum Wirtschaftsleben haben.
In den 1960er-Jahren wurde für das Vorliegen von Wirtschaftskriminalität eine Störung der Wirtschaftsordnung als entscheidend angesehen, sofern darüber hinaus im Wirtschaftsleben entgegenzubringendes Vertrauen verletzt wurde.
Nachteil: Dieser Begriff trägt nichts zur inhaltlichen Klärung des Phänomens Wirtschaftskriminalität bei.
1972 wurde herausgestellt, dass typischerweise ein überindividuelles Opfer als Geschädigter derartiger Straftaten erscheint, d. h., dass die Volkswirtschaft in ihrer Gesamtheit geschädigt sein muss.
Nachteil: Zahlreiche Wirtschaftsstraftaten treffen eine Vielzahl von individuellen Opfern, was hier gänzlich unbeachtet bleibt.
Die praktische Bedeutung der Wirtschaftskriminalität ist nur schwer einzuschätzen, da Fallzahlen in der Kriminalstatistik nicht die von Schwerpunktstaatsanwaltschaften (Schwerpunktstaatsanwaltschaft) und Steuerbehörden ohne Beteiligung der Polizei selbstständig verfolgten Taten erfassen. Zudem kann der Umfang materieller Schäden nur grob geschätzt werden, auch wird ein hohes Dunkelfeld vermutet. Zahlreiche immaterielle Schäden wie Leben und Gesundheit von Menschen etwa bei Umweltdelikten, Verlust des Vertrauens der Bürger in staatliche Einrichtungen bei Korruptionsstraftaten und die Sog- und Spiralwirkung in Form allgemeiner Korrumpierung des Wirtschaftslebens werden meist nicht gesehen.
Die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vollzog sich bisher materiell-rechtlich vor allem durch Schaffung neuer Tatbestände zwecks Schließung von Strafbarkeitslücken, wie etwa mit §§263a, 264, 264a, 265b, 266a, 266b StGB geschehen. Hier sind allerdings bislang nur geringe Anklage- und Verurteilungsquoten zu verzeichnen. Im Rahmen der Strafverfolgung bedient man sich besonderer Polizeibehörden wie etwa der Finanzbehörden bei Steuerstraftaten und der Schwerpunktstaatsanwaltschaften. Bei den Landgerichten werden zudem nach § 74 c GVG spezielle Wirtschaftsstrafkammern mit vornehmlich kaufmännisch vorgebildeten Richtern eingerichtet. Die Effektivität der Strafverfolgung ist hier durch Umfang und Schwierigkeit des Prozessstoffes, Problematik prozessordnungsgemäßer Tatsachenermittlung und schwierigem Nachweis des subjektiven Tatbestandes begrenzt. Daher ist hier regelmäßig eine überlange Verfahrensdauer zu verzeichnen, zu deren Abkürzung oft verfahrensbeendende Absprachen zwischen den Prozessbeteiligten getroffen werden. Außerstrafrechtlieh ließe sich zur Eindämmung an ein dirigistisches Wirtschaftsrecht denken, was einerseits der sozialen Marktwirtschaft schädlich wäre, andererseits jedoch das Problem durch Hervorbringen neuer wirtschaftskrimineller Verhaltensweisen nur verschieben würde. Präventiv ließe sich jedoch mittels der Verwaltungsbehörden durch effektivere Kontrolle, insbesondere bei Subventionsvergabe und Festschreiben einer Anzeigepflicht bei Bekanntwerden von Straftaten, viel erreichen.
Bei Wirtschaftskriminalität handelt es sich um den Kriminalitätsbereich mit den vielfältigsten Erscheinungsformen, der eine Systematisierung nach bestimmten Kriterien erschwert. Zu nennen sind aus dem StGB exemplarisch die §§ 263, 263a, 264, 264a, 265, 265b, 266, 266a, 283, 283d, 324, 330d, 331, 335. Zudem gibt es über 200 strafrechtliche Neb engesetze mit weiteren Tatbeständen. Nicht immer jedoch hat der Täter bei Begehung einer dieser Taten die Verhältnisse des Wirtschaftslebens ausgenutzt. Das Erscheinungsbild wandelt sich mit Veränderungen in der Wirtschaftsordnung, ist also insgesamt von großer Dynamik geprägt.
Zur Tätertypologie ist anzumerken, dass der typische Wirtschaftsstraftäter sozial integriert, meist zwischen 30 und 50 Jahre alt, zu mehr als 80% verheiratet und zu fast 90% Deutscher ist, eine gute bis sehr gute Ausbildung hat, oft selbstständig oder in leitender Position angestellt, mehrheitlich in der Mittelschicht vorzufinden und selten vorbestraft ist. Motive für die meist beruflich begangenen Taten sind der Erhalt des Unternehmens und auch des eigenen Status.
Der Begriff umfasst die zahlreichen Tatbestände des Wirtschaftsstrafrechts, deren Ausbreitung die Ges. zur Bekämpfung der W. - 1. WiKG v. 29. 7. 1976 (BGBl. I 2034), 2. WiKG v. 15. 5. 1986 (BGBl. I 721) - entgegenwirken sollen. Das 1. WiKG betraf insbes. Insolvenzstraftaten, Subventionsbetrug, Kreditbetrug und Wucher, das 2. WiKG befasste sich u. a. mit der Computerkriminalität, schuf neue Strafvorschriften zum Missbrauch von Scheck- und Kreditkarten, zur Fälschung von Zahlungskarten, zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt und zum Kapitalanlagebetrug und ergänzte die Strafvorschriften des G gegen den unlauteren Wettbewerb. S. a. Produktpiraterie. Das G zur Bekämpfung der Korruption v. 13. 8. 1997 (BGBl. I 2038) fügte Strafvorschriften gegen Submissionsabsprachen und Angestelltenbestechung als 26. Abschnitt (Straftaten gegen den Wettbewerb) in das StGB ein.
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