Widerruf
I. Im Verwaltungsrecht die Aufhebung eines rechtmäßigen Verwaltungsakts.
II. Im Privatrecht eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die eine -meist noch nicht endgültig wirksame -Willenserklärung von Anfang an beseitigt. Vgl. im einzelnen Abzahlungskauf, Testament, Willenserklärung, Schenkung, Vollmacht.
III. Im Verfahrensrecht vgl. Prozeßvergleich.
ist allgemein die Rückgängigmachung einer Erklärung. Auch er stellt ein Gestaltungsrecht dar, da unmittelbar auf die Rechtsstellung des Erklärungsempfängers eingewirkt wird, ohne daß dieser etwas dagegen tun kann. Die Möglichkeit des W. ist im Gesetz an verschiedenen Stellen geregelt. Ein sog. rechtshindernder W. liegt vor, wenn die Rechtsfolgen einer Willenserklärung hierdurch erst gar nicht eintreten. Beispiele dafür sind §§109, 130 I S.2, 183 BGB, 1 I HausTWG oder 7 VerbrKrG. Daneben gibt es den rechtsvernichtenden 1/1/., durch den an sich bereits wirksame Rechtsgeschäfte beseitigt werden. Bspe. sind der W. einer Schenkung (§ 530 f. BGB), der W. eines Auftrags (§ 671 BGB), eines Darlehensvertrages (§610 BGB) oder einer Anweisung (§ 790 BGB). Der Widerruf eines Testaments ist in den §§ 2253 - 2258 BGB geregelt.
ist im Privatrecht grundsätzlich die — Willenserklärung, die eine noch nicht endgültig wirksame Willenserklärung von Anfang an beseitigen soll (§ 130 I 2 BGB, vgl. aber z. B. § 671 BGB). Im Verwaltungsrecht (§ 49 VwVfG) ist W. die Aufhebung eines rechtmäßigen — Verwaltungsakts. Ein rechtmäßiger, nicht begünstigender Verwaltungsakt kann auch nach seiner Unanfechtbarkeit für die Zukunft widerrufen werden, außer wenn ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste oder aus anderen Gründen ein W. unzulässig ist. Ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt kann dagegen nur widerrufen werden, wenn der W. durch Rechtsvorschrift zugelassen oder im Verwaltungsakt Vorbehalten ist, wenn mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist, die der Begünstigte nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt hat, wenn die Behörde auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, wenn die Behörde auf Grund einer geänderten Rechtsvorschrift berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen oder wenn schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten oder zu beseitigen sind. Ein rechtmäßiger Verwaltungsakt, der eine Geldleistung oder eine teilbare Sachleistung zur Erfüllung eines bestimmten Zweckes gewährt, kann auch mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen werden, wenn die Leistung nicht für den bestimmten Zweck verwendet wird oder eine mit dem Verwaltungsakt verbundene Auflage nicht erfüllt wird. Lit.: Damm, R./Rehbock, K., Widerruf, Unterlassung und Schadensersatz in Presse und Rundfunk, 2. A. 2001; Masuch, A., Musterhafte Widerrufsbelehrung des Bundesjustizministeriums? NJW 2002, 2931; Man- kowski, P., Beseitigungsrechte, 2003
, Erbrecht/Testament: Aufhebung einer letztwilligen Verfügung durch entsprechende Erklärung des Erblassers (§ 2253 BGB). Der Widerruf eines Testaments kann jederzeit und grundlos erfolgen. Die bedachten Personen haben deshalb nur eine tatsächliche und keine rechtlich geschützte Erwerbsaussicht, also kein Anwartschaftsrecht. Der Widerruf selbst ist letztwillige Verfügung und somit Ausdruck der Testierfreiheit. Auch er setzt die Testierfähigkeit des Erblassers voraus. Ein Testamentswiderruf kann in verschiedenen Formen erfolgen:
— Durch Widerrufstestament (§ 2254 BGB), in dem der Erblasser formgerecht zum Ausdruck bringt, dass alle oder einzelne Verfügungen keine Gültigkeit mehr haben sollen. Es muss nicht in derselben Form wie das widerrufene Testament errichtet werden.
Durch ein späteres widersprechendes Testament (§2258 BGB) wird das frühere Testament insoweit stillschweigend widerrufen, als es sachlich mit der neuen Anordnung unvereinbar ist. Mit Widerrufswillen braucht der Erblasser hierbei nicht gehandelt zu haben.
— Durch Rücknahme eines öffentlichen Testaments aus der amtlichen Verwahrung (§2256 BGB), welches kraft gesetzlicher Vermutung als Widerruf des Testaments gilt. Diese Rechtsfolge tritt bei einem in amtliche Verwahrung gegebenen eigenhändigen Testament nicht ein (§ 2256 Abs. 3 BGB).
— Durch Vernichtung der Testamentsurkunde und durch ähnliche schlüssige Handlungen (§ 2255 BGB). Der Erblasser muss hierbei zwar nicht eigenhändig handeln, aber in jedem Fall Widerrufsabsicht besessen haben. Dies wird im Falle von eigenhändigen Maßnahmen widerlegbar vermutet (§ 2255 S. 2 BGB). Nach h. M. liegt ein Widerruf durch schlüssige Handlung auch bei einem an den Textrand gesetzten Annullierungsvermerk vor.
Ein durch Testament erfolgter Widerruf kann selbst ebenfalls widerrufen werden (§ 2257 BGB). Ist kein gegenteiliger Wille des Erblassers feststellbar, erlangt die ursprüngliche Verfügung wieder Geltung.
Schuldrecht: rückwirkende Auflösung eines Verbrauchervertrages (§ 310 Abs. 3 BGB) durch einseitige Erklärung des Verbrauchers aufgrund eines gesetzlichen Widerrufsrechts.
Gesetzliche Widerrufsrechte des Verbrauchers gibt es z.B. beim Haustürgeschäft (1312 Abs. 1 BGB), beim Fernabsatzvertrag (1312 d Abs. 1 BGB), beim Teilzeit-Wohnrechtevertrag (1 485 Abs. 1 BGB), beim Verbraucherdarlehensvertrag (§ 495 Abs. 1 BGB), beim Verbraucher-Finanzierungsleasingvertrag (1500 BGB), beim Verbraucher-Teilzahlungsgeschäft (§ 501 BGB), beim
* Ratenlieferungsvertrag (§505 Abs. 1 BGB), beim Fernunterrichtsvertrag (14 Abs. 1 FernUSG), beim Kauf von Investmentanteilen außerhalb der Geschäftsstelle des Verkäufers (1126 InvestmentG) und beim Abschluss von Versicherungsverträgen unter bestimmten Bedingungen (§ 8 VVG).
Das Widerrufsrecht ist ein Gestaltungsrecht, das durch den Widerruf als Gestaltungserklärung ausgeübt wird. Soweit zulässig, kann es rechtsgeschäftlich durch ein Recht zur Rückgabe ersetzt werden (vgl. § 356 BGB). Ausübung und Rechtsfolgen des Widerrufs sind zusammenfassend in den §§ 355 ff. BGB geregelt.
Der Widerruf erfolgt durch Erklärung des Verbrauchers gegenüber dem Unternehmer in Textform oder durch Rücksendung der Sache; eine Begründung ist nicht erforderlich (§ 355 Abs. 1 S.2 BGB). Der Widerruf muss innerhalb der Widerrufsfrist erfolgen, wobei die Absendung innerhalb der Frist ausreicht. Die Widerrufsfrist beträgt zwei Wochen (bzw. — bei nachträglicher Belehrung über das Widerrufsrecht einen Monat) und beginnt erst zu dem Zeitpunkt, zu dem der Verbraucher eine deutlich gestaltete Belehrung über sein Widerrufsrecht und die Widerrufsfrist
einschließlich der notwendigen Angaben über den Adressaten des Widerrufs in Textform erhalten hat, die von ihm gesondert zu unterschreiben oder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur (elektronische Form) zu versehen ist (§ 355 Abs. 2 S.1, 2 BGB, bei erforderlicher Schriftform des Vertrages vgl. § 355 Abs. 2 S. 3 BGB).
Rechtsfolge des Widerrufs ist die Umwandlung des Vertragsverhältnisses in ein Rückgewährschuldverhältnis entsprechend den Vorschriften über den Rücktritt (§ 357 Abs. 1 S. 1 BGB) mit den in § 357 Abs. 1 S. 2, Abs. 2, 3 BGB enthaltenen Sonderregelungen. Über die in den §§ 357, 346 ff. BGB geregelten weitergehende Ansprüche sind ausgeschlossen (§ 357 Abs. 4 BGB).
Gern. § 358 Abs. 1, 2 BGB findet ein Widerrufs-durchgriff auf einen mit diesem Vertrag verbundenen Verbraucherdarlehensvertrag (verbundener Vertrag) statt, d. h., bei Widerruf des Verbrauchervertrages wird auch der verbundene Vertrag unwirksam. Verbunden sind die Verträge, wenn das Darlehen aus dem einen Vertrag ganz oder teilweise der Finanzierung des anderen Vertrags dient und beide Verträge eine wirtschaftliche Einheit bilden, die insbes. anzunehmen ist, wenn der Unternehmer selbst die Gegenleistung finanziert oder — wie beim sog. B-Geschäft — wenn sich der (dritte) Darlehensgeber bei der Vorbereitung oder dem Abschluss des Verbraucherdarlehensvertrages der Mitwirkung des Unternehmers bedient. Nach § 359 BGB kann der Verbraucher ein Leistungsverweigerungsrecht aus dem Verbrauchervertrag (ggf. erst nach Fehlschlagen der Nacherfüllung) auch der Rückzahlungsverpflichtung aus dem verbundenen Verbraucherdarlehensvertrag entgegenhalten (Einwendungsdurchgriff).
Verbrauchervertrag (2).
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