Ablehnung
(von Richtern und Sachverständigen) In jedem Prozeß gilt der Grundsatz, daß niemand Richter in eigener Sache sein darf. Ist ein Richter in irgendeiner Form an dem Gegenstand des Prozesses beteiligt, so ist er nach allen Prozeßordnungen bereits von Gesetzes wegen als Richter ausgeschlossen. Dasselbe gilt, wenn nahe Angehörige eines Richters an dem Prozeß beteiligt sind. Es kann nun aber auch sein, daß ein Richter, ohne selbst unmittelbar am Prozeß beteiligt zu sein, den Anschein erweckt, er sei in irgendeiner Form nicht völlig unparteiisch, sondern zugunsten einer oder gegen eine Partei voreingenommen, so daß bei dieser oder der anderen Partei die «Besorgnis der Befangenheit» des Richters entsteht , zum Beispiel weil der Richter sich schon vorher öffentlich über den Prozeß geäußert hat oder weil er in der Verhandlung besonders freundlich oder unfreundlich zu einer Partei ist. In diesem Falle haben die Parteien die Möglichkeit, den Richter wegen dieser «Besorgnis der Befangenheit» abzulehnen, müssen dies allerdings sofort tun, nachdem sie von dem Ablehnungsgrund Kenntnis erhalten haben. Über das Ablehnungsgesuch entscheiden andere Richter desselben Gerichts. Wird es zurückgewiesen, kann man Beschwerde an das übergeordnete Gericht einlegen. Richter können sich übrigens auch selbst wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnen, wenn sie das begründete Gefühl haben, einer Sache nicht so unbefangen gegenüberzustehen, wie es sein sollte. Ähnlich können Parteien auch gerichtliche Sachverständige ablehnen, wenn sie meinen, daß diese ihr Gutachten nicht unparteiisch erstatten werden. Über dieses Ablehnungsgesuch entscheidet das Gericht, das den Sachverständigen bestellt hat.
1) Von Gerichtspersonen. Ein Richter kann abgelehnt werden, wenn er kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen ist (Ausschliessung von Richtern) oder wegen Besorgnis der Befangenheit. Diese liegt vor, wenn für einen vernünftig Denkenden begründete Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters bestehen (z. B. bei Freundschaftsverhältnis des Richters zum Prozessgegner). Das Ablehnungsrecht steht im Zivilprozess den Parteien, im Strafprozess der Staatsanwaltschaft, dem Privatkläger und dem Beschuldigten zu. Vor rechtskräftiger Erledigung des Ablehnungsgesuchs hat der abgelehnte Richter nur unaufschiebbare Handlungen vorzunehmen. Der mit Erfolg abgelehnte Richter darf nicht mehr am Verfahren mitwirken. Richterablehnung im Zivilprozess: §§ 42 ff. ZPO; im Strafprozess: §§ 24 ff. StPO; entsprechend in anderen gerichtlichen Verfahren, Selbstablehnung eines Richters. Aus den gleichen Gründen wie Richter können abgelehnt werden: Sachverständige (§ 406 ZPO, § 74 StPO), Urkundsbeamte (§ 49 ZPO, § 31 StPO), Schiedsrichter (§ 1032 ZPO), Dolmetscher (§ 191 GerichtsverfassungsG) und Rechtspfleger (§ 9 RechtspflegerG). - 2) A. einer Leistung. Der Gläubiger einer Forderung kann in bestimmten, im Gesetz vorgesehenen Fällen nach dem Ablauf einer dem Schuldner gesetzten Frist die Annahme der geschuldeten Leistung verweigern und statt dessen Schadensersatz o. a. verlangen, wenn er dem Schuldner bei der Fristsetzung angekündigt hat, dass er nach dem Ablauf der Frist die Annahme der Leistung ablehne (z. B. §§ 250, 283, 326, 634 BGB).
ist die Zurückweisung eines Verhaltens oder eines Menschen. Im Verfahrensrecht ist A. die Zurückweisung einer bestimmten Gerichtsperson hinsichtlich ihrer Mitwirkung in einem Verfahren (z.B. Richter §§42ff. ZPO, 24ff. StPO, 54 VwGO, Sachverständige, Schiedsrichter, Schöffen, Dolmetscher, Urkundsbeamter, nicht Staatsanwalt, für Amtspersonen im Verwaltungsverfahren vgl. § 21 VwVfG). Die(se) A. erfordert entweder gesetzliche Ausschlussgründe oder die begründete Besorgnis der Befangenheit sowie einen Ablehnungsantrag (Ablehnungsgesuch, Selbstablehnung möglich), über den das (restliche) Gericht entscheidet. Daneben sind A. eines Antrags, einer Leistung, einer Vormundschaft, eines Verwaltungsakts u. a. möglich. Lit.: Bleut ge, P., Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, 2. A. 1999; Schneider, E., Befangenheitsablehnung im Zivilprozess, 2. A. 2001
Antrag (= Ablehnungsgesuch) eines Prozessbeteiligten auf Erlass eines gerichtlichen Beschlusses (§ 27 StPO, § 46 ZPO), der zur Unfähigkeit des betroffenen Richters zur Ausübung des Richteramtes in dem gerichtlichen Verfahren führt und die gleichen Wirkungen wie die Ausschließung hat. Gründe für die erfolgreiche Ablehnung sind das Vorliegen eines Ausschließungsgrundes oder das Bestehen der Besorgnis der Befangenheit des Richters (§ 24 Abs. 1 StPO; § 42 ZPO). Besorgnis der Befangenheit bedeutet, dass objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und unparteiisch gegenüber (§ 24 Abs. 1 StPO, § 42 Abs. 2 ZPO). Der Ablehnungsgrund ist glaubhaft zu machen (Glaubhaftmachung), wobei eine Bezugnahme auf das Zeugnis des abgelehnten Richters, nicht aber eine eidesstattliche Versicherung bzw. ein Eid zulässig ist (§ 26 Abs. 2 StPO, § 44 Abs. 2 ZPO). Strafprozessrecht: Im Strafprozess können Staatsanwaltschaft, Privatkläger und Beschuldigter den Richter (§ 24 StPO), über § 31 Abs. 1 StPO auch Schöffen und Urkundsbeamte, ablehnen. Den Zeitpunkt der Ablehnung regelt § 25 StPO; bei verspätetem Ablehnungsantrag, einem Antrag ohne Angabe von Gründen oder völlig ungeeigneter Begründung (BGH NStZ 2008, 46 ff.) wird dieser gern. §26 a StPO durch den abgelehnten Richter selbst als unzulässig verworfen. Anderenfalls entscheidet das Gericht, dem der abgelehnte Richter angehört, ohne dessen Mitwirkung über das Ablehnungsgesuch. Für Richter beim Amtsgericht gilt § 27 Abs. 2 StPO. Rechtsbehelf gegen die Verwerfung oder Zurückweisung des Antrags ist die sofortige Beschwerde (§ 28 Abs. 2 StPO). Anders als die ZPO sieht die StPO keine Selbstablehnung des Richters, sondern lediglich eine Selbstanzeige gern. § 30 StPO vor. Macht der Richter von einem Verhältnis Anzeige, das seine Ablehnung rechtfertigen könnte, hat das Gericht hierüber durch Beschluss zu entscheiden.
Die - insbesondere in größeren Strafverfahren und dort namentlich im Rahmen der sog. Konfliktverteidigung - anzutreffende Praxis von Befangenheitsanträgen hat zu einer engen Auslegung der Voraussetzungen der Befangenheit und einer stark kasuistischen Rspr. geführt. Danach rechtfertigen die Mitwirkung des Richters an Zwischenentscheidungen in dem anhängigen Verfahren, am Verfahren gegen Tatbeteiligte nach Abtrennung und gesonderter Verurteilung und die dabei geäußerten Rechtsansichten in der Regel nicht die Annahme der Befangenheit (BGHSt 15, 40,46). Selbst Verfahrensverstöße, die auf einem Irrtum oder einer unrichtigen oder sogar unhaltbaren Rechtsauffassung beruhen, stellen grds. keinen Ablehnungsgrund dar. Dies folgt aus dem Grundsatz, dass sachliche und rechtliche Fehler allein nicht geeignet sind, die Besorgnis der Befangenheit eines Richters zu begründen. Allerdings gilt dieser Maßstab dann nicht, wenn dessen Entscheidungen abwegig sind oder sogar den Anschein der Willkür erwecken. Auch kann sich Befangenheit daraus ergeben, dass das Verhalten des Richters vor der Hauptverhandlung besorgen lässt, er werde nicht unvoreingenommen den Prozess führen, indem er etwa zum Ausdruck bringt, er sei von der Schuld des Angeklagten bereits endgültig überzeugt oder den Angeklagten mit der Ankündigung einer unvertretbaren Milderung oder Erhöhung der Strafe („Sanktionsschere”) zu einem Geständnis drängt (BGH NStZ 2007, 711 f.).
Für die Ablehnung des Staatsanwalts gelten die Vorschriften der §§ 22 ff. StPO nach h. M. weder unmittelbar noch analog (vgl. BGH NJW 1980, 845 f.). Überwiegend wird aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens die Verpflichtung des Gerichtes abgeleitet, bei dem Dienstvorgesetzten auf die Ablösung des Staatsanwalts und damit auf die Ausübung von dessen
Devolutionsrechts zu drängen, wenn dieser seine Verpflichtung zur Objektivität schwer und nachhaltig verletzt. Ein subjektives Recht des Beschuldigten oder anderer Verfahrensbeteiligter auf Ersetzung des befangenen Staatsanwalts besteht jedoch nicht; da die ablehnende Entscheidung des Dienstvorgesetzten auch kein Justizverwaltungsakt ist, ist ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung unzulässig.
Umstritten ist die Bedeutung als möglicher Revisionsgrund, der von der Rspr. entgegen einer starken Literaturmeinung abgelehnt wird.
Die Ablehnung des Sachverständigen ist in § 74 StPO geregelt, wonach ein Sachverständiger aus denselben Gründen abgelehnt werden kann, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen.
Verwaltungsprozessrecht: Die Vorschriften der ZPO über die Ablehnung von Richtern und Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (§§ 41-49 ZPO) gelten für das Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichtsverfahren entsprechend (§ 54 Abs. 1 VwGO, § 60 Abs. 1 SGG, § 51 Abs. 1 EGO). Besonderer Ausschließungsgrund ist die Mitwirkung des Richters am vorangegangenen Verwaltungsverfahren (§ 54 Abs. 2 VwGO, § 60 Abs. 2 SGG, § 51 Abs. 2 FGO). Die Besorgnis der Befangenheit wird insbes. auch dadurch begründet, dass der (auch ehrenamtliche) Richter der Vertretung der Körperschaft angehört, deren Interessen durch das Verfahren berührt werden (§ 54 Abs.3 VwGO, § 60 Abs.3 SGG, § 51 Abs. 3 FGO).
Für die Ablehnung eines Sachverständigen gilt § 406 ZPO entsprechend (§ 98 VwGO, § 118 Abs. 1 SGG, § 82 FGO).
Im Verwaltungsverfahren kann die Besorgnis der Befangenheit einer im Verwaltungsverfahren für eine Behörde tätigen Person zu deren Ausschließung führen (§ 21 VwVfG).
Zivilprozessrecht: Im Zivilprozess kann die Ablehnung durch Antrag einer der Prozessparteien (§ 44 ZPO) oder des Richters selbst (Selbstablehnung, § 48 ZPO) erwirkt werden. Über den Antrag entscheidet das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung (§ 45 Abs. 1 ZPO). Wird das Gericht durch das Ausscheiden des Abgelehnten beschlussunfähig, entscheidet das nächsthöhere Gericht (§ 45 Abs. 3 ZPO und für das Arbeitsgerichtsverfahren § 49 Abs. 1, 2 ArbGG). Richtet sich das Ablehnungsgesuch gegen einen Richter am Amtsgericht und hält dieser das Ablehnungsgesuch nicht für begründet, entscheidet hierüber ein anderer Richter des Amtsgerichts (§ 45 Abs. 2 ZPO). Der Beschluss ist, wenn er das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt, unanfechtbar und im Übrigen mit der sofortigen Beschwerde angreifbar (§ 46 Abs. 2 ZPO; im Arbeitsgerichtsverfahren ist jeder Beschluss über ein Ablehnungsgesuch unanfechtbar, § 49 Abs. 3 ArbGG).
Die Regelungen über die Ablehnung eines Richters gelten entsprechend für Sachverständige (§ 406 Abs. 1 ZPO, gern. § 406 Abs.? ZPO ist die Ablehnung aber nur in den dort geregelten zeitlichen Grenzen möglich), Rechtspfleger (§ 10 RPflG) und Urkundsbeamte der Geschäftsstelle (§ 49 ZPO).
eines Antrags Vertrag; - einer Leistung Gläubigerverzug, Gewährleistung; - eines Verwaltungsaktes Verwaltungsstreitverfahren (1a); - einer Vormundschaft s. dort.
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