Akteneinsicht
Einsichtnahme in die von der Behörde angelegten Akten. Das Recht aufA. ist Teil des grundgesetzlich geschützten rechtlichen Gehörs, aber in den einzelnen Verfahrenszweigen unterschiedlich ausgeprägt.
Zivilprozess: steht Parteien und den an der Zwangsvollstreckung Beteiligten zu; Dritten nur bei Glaubhaftmachung eines rechtlichen Interesses (§§ 299,760 ZPO); Strafprozess:dem Verteidiger (§ 147 StPO), nicht dem Beschuldigten; Dritten nur durch einen Rechtsanwalt zur Prüfung zivilrechtlicher Ansprüche (Nr. 185 ff. der Richtlinien f. d. Strafverfahren); Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichte: die Beteiligten (§ 100 VwGO, § 120 SGG, § 78 FGO); Konkurs- und Vergleichsverfahren: Konkursverwalter, Gemeinschuldner, Gläubiger (§ 72 KO, § 299 ZPO; § 120 VerglO). - Ausgenommen von A. sind stets Entwürfe oder behördeninterne Vorgänge. Einsicht in strafrechtliche Ermittlungsakten kann auch dem Verteidiger bis zum Abschluss der Ermittlungen verwehrt werden, mit Ausnahme der Beschuldigtenvernehmung und der Sachverständigengutachten (§ 147 Abs. 3 StPO). Über die Gewährung befindet die Behörde, bei der das Verfahren anhängig ist oder die Akten verwahrt werden.
ist eine Form der Inanspruchnahme rechtlichen Gehörs vor Gericht (Art. 103 I). Die Verfassung geht davon aus, dass die nähere Ausgestaltung dieses Grundrechts den jeweiligen Verfahrensordnungen zu überlassen ist. Der nach der Strafprozessordnung bestehende Anspruch des Beschuldigten auf die Kenntnis von Akteninhalten betrifft nur die dem Gericht vorliegenden Akten.
Im Sozialrecht:
Die Beteiligten haben im Sozialverwaltungsverfahren ein Recht auf Einsicht der sie betreffenden Akten, soweit deren Kenntnis erforderlich ist, um ihre rechtlichen Interessen geltend zu machen bzw. zu verteidigen (§25 Abs. 1 S. 1 SGB X). Die Behörde kann die Akteneinsicht ablehnen, wenn berechtigte Interessen der Beteiligten bzw. dritter Personen gefährdet werden (§25 Abs. 3 SGB X). Die Akteneinsicht erfolgt grundsätzlich bei der Behörde, die die Akten führt. Ausnahmsweise können die Akten auch bei anderen Behörden oder einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Ausland eingesehen werden (§ 25 Abs. 4 SGB X). Akten mit Angaben über gesundheitliche Verhältnisse können bzw. müssen i.d.R. ("sollen") - soweit unverhältnismässige Nachteile für den Betroffenen zu befürchten sind (z.B. Schock, psychische Schäden; §25 Abs. 2 S. 2 SGB X) - durch einen Arzt vermittelt werden (§25 Abs. 2 S. 1 SGB X). Ist durch die Eröffnung des Inhalts der Akten eine Beeinträchtigung der Entwicklung und Entfaltung der Persönlichkeit eines Beteiligten zu befürchten, sind die Akten durch einen Bediensteten der Behörde zu eröffnen, der durch ausreichende Lebens- und Berufserfahrung hierzu geeignet ist (§25 Abs. 2 S. 3 SGB X). Eine Aushändigung bzw. Übersendung der Akten an den Beteiligten kann nicht beansprucht werden. Eine Übersendung an einen Anwalt ist dagegen möglich. Soweit die Betroffenen ein Akteneinsichtsrecht haben, können sie sich Auszüge oder Abschriften selbst anfertigen. Ferner können sie - ggfs. gegen Aufwendungsersatz - sich Fotokopien von der Behörde anfertigen lassen (§ 25 Abs. 5 SGB X). Ein Akteneinsichtsrecht besteht ferner während des Widerspruchs- (§§84a SGG, 25 SGB X) und des Klageverfahrens (§§ 120 SGG, 100 VwGO). Die Akteneinsicht muss beantragt werden.
ist die Einsicht in die (von der Behörde angelegten) Akten. Hierzu gehört auch die Erteilung von Ausfertigungen, Anzeigen und Abschriften. Das Recht auf A. ist eine Ausprägung des Grundsatzes auf rechtliches Gehör (Art. 103 GG). Nach den Verfahrensgesetzen steht es den Beteiligten in unterschiedlicher Weise zu (§§ 299 ZPO, 147 StPO [nur für Verteidiger, nicht für Beschuldigte], 100 VwGO, 34 FGG, 29 VwVfG, 90 BBG). Ein Kembereich interner Vorgänge einer Regierung ist auch einem Parlamentsausschuss verschlossen. Der Beschuldigte eines Steuerverfahrens hat kein Recht auf A. gegenüber dem Finanzamt. Einen Anspruch auf Einsicht in Akten eines Arztes oder Krankenhauses hat auch der behandelte Kranke. Lit.: Spaetgens, M., Das strafprozessuale Akteneinsichtsrecht, 2000; Cho, S., Die Akteneinsicht für den Verletzten, Diss. jur. Univ. Berlin (HU) 2001; Keller, D., Die Akteneinsicht Dritter zu Forschungszwecken, NJW 2004,413
Einsichtnahme in Akten des Gerichts, einer Verwaltungsbehörde oder der Staatsanwaltschaft auf Antrag von Verfahrensbeteiligten oder Dritten.
, OWi-Recht: Das Recht zur Akteneinsicht steht dem Betroffenen im Ordnungswidrigkeitenverfahren unmittelbar gem. § 49 OWiG nach pflichtgemäßem Ermessen der Behörde zu. Hat der Betroffene einen Verteidiger, steht nur diesem das Recht auf Akteneinsicht zu. Regelmäßig wird es vom Verteidiger gem. § 46 OWiG i. V m. § 147 StPO ausgeübt. Eine Einlassung sollte grundsätzlich erst nach Akteneinsicht erfolgen, um Klarheit zu gewinnen, welche Umstände der Bußgeldstelle bereits bekannt sind. Soweit es den Ermittlungserfolg gefährdet, kann das Akteneinsichtsrecht ausgeschlossen sein. Bei technischen Messverfahren umfasst das Akteneinsichtsrecht bpsw. auch eine eventuell erfolgte Videoaufzeichnung. Strafprozessrecht: Für das Recht auf Akteneinsicht im Strafprozess gilt:
— Der Verteidiger ist gemäß § 147 Abs. 1 StPO nach Abschlussvermerk der Staatsanwaltschaft (§ 169 a StPO) uneingeschränkt zur Akteneinsicht berechtigt. Es gilt der Grundsatz der Aktenvollständigkeit, auch hinsichtlich Video-Aufzeichnungen von Zeugenvernehmungen gem. § 58a StPO. Einsicht ist grundsätzlich auch mehrfach und für eine angemessene Dauer zu gewähren. Gemäß Nr.189 Abs. 3 RiStBV wird die Akteneinsicht grundsätzlich in den Diensträumen der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts gewährt; in der Praxis verbreitet ist die Übersendung an die Kanzlei des Verteidigers. Vor Abschluss der Ermittlungen kann die Einsichtnahme ausnahmsweise gemäß § 147 Abs. 2 StPO bei Gefährdung des Untersuchungszwecks versagt oder beschränkt werden. Jedoch ist dem Verteidiger in Haftsachen Zugang zu denjenigen Schriftstücken zu gewähren, die für die wirksame Anfechtung der Rechtmäßigkeit einer Freiheitsentziehung seines Mandanten wesentlich sind (EGMR StV 2008, 475). Während der Hauptverhandlung besteht ein Recht auf Akteneinsicht nur, wenn der Verteidiger erst während dieser gewählt oder bestellt worden ist und zuvor keine ausreichende Möglichkeit der Einsichtnahme hatte.
— Nach früherer Rechtslage hatte der Beschuldigte keinerlei Recht auf Akteneinsicht. Das EGMR (NStZ 1998, 429) hat hierin einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3,1 EMRK gesehen, weil der sich selbst
verteidigende Beschuldigte an einer effektiven Vertretung seiner Interessen gehindert werde. Der 1999 eingeführte § 147 Abs. 7 StPO ermöglicht nunmehr die Erteilung einer Aktenauskunft und die Erteilung von Abschriften aus den Akten an den nicht verteidigten Beschuldigten. Das Recht kann sich, sofern zur sachgerechten Verteidigung notwendig, auf eine dem Umfang der Akteneinsicht durch den Verteidiger gleichstehende Auskunft über die gesamten Verfahrensakten nebst Beiakten erstrecken. Da der Beschuldigte anders als der Verteidiger keinen Standesregeln unterliegt und nicht Organ der Rechtspflege ist, kommt nur eine Einsicht auf der Geschäftsstelle, nicht jedoch die Übersendung von Originalakten in Betracht.
— Weitere Personen, die zur Akteneinsicht berechtigt sind: Der Prozessbevollmächtigte des Privatklägers (§ 385 Abs. 3 StPO), des Nebenklägers (§ 397 Abs. 1 S.2 i. V. m. § 385 Abs. 3 StPO) oder des durch die Tat Verletzten (§ 406 e StPO), ferner der Prozessbevollmächtigte des Einziehungsbeteiligten (§ 434 Abs. 1 S.2 i. V. m. § 147 StPO) und des Verfallbeteiligten (§ 442 Abs. 1 StPO).
— Die Akteneinsicht an Nichtverfahrensbeteiligte regeln die §§474 ff. StPO dahingehend, dass einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bei berechtigtem Interesse, etwa der Prüfung von bürgerlich-rechtlichen Ansprüchen, Akteneinsicht gewährt wird.
Über die Gewährung der Akteneinsicht entscheidet im Ermittlungsverfahren die Staatsanwaltschaft, im übrigen der Vorsitzende des mit der Sache befassten Gerichtes. Gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft über die Akteneinsicht Verfahrensbeteiligter ist über § 147 Abs. 5 StPO der Antrag auf gerichtliche Entscheidung statthaft. Diese Rechtsbehelfsmöglichkeit eröffnet auch § 478 Abs. 3 StPO im Falle des Akteneinsichtsgesuchs Dritter. Die Entscheidung des Gerichts ist unanfechtbar. Gegen gerichtliche Entscheidungen nach § 147 StPO ist die Beschwerde gemäß § 304 Abs. 1, 2 Nr. 4 StPO statthaft (str.); für Nichtverfahrensbeteiligte gilt § 304 Abs. 2 StPO. Noch nicht abschließend geklärt ist, ob und inwieweit aus dem Verstoß gegen das Recht auf Akteneinsicht ein Beweisverwertungsverbot folgen kann.
Zivilprozessrecht: Im Zivilprozess können die Parteien die Prozessakten (ohne Entscheidungsentwürfe oder Abstimmungsunterlagen, § 299 Abs. 3 ZPO) einsehen und sich von der Geschäftsstelle Ausfertigungen, Auszüge oder Abschriften aus den Akten fertigen lassen (§ 299 Abs. 1 ZPO). Die Prozessakten sind damit „parteiöffentlich”. Dritten kann ohne Einwilligung der Parteien nur bei Glaubhaftmachung eines rechtlichen Interesses durch den aufsichtsführenden Richter bzw. Präsidenten des betreffenden Gerichts Einsicht gestattet werden (§ 299 Abs. 2 ZPO).
1.
Die Einsichtnahme in gerichtliche oder behördliche Verfahrensakten durch Verfahrensbeteiligte oder sonstige Interessenten ist in den Verfahrensordnungen unterschiedlich geregelt. Werden die Akten elektronisch geführt, tritt an die Stelle der A. der entsprechende Ausdruck (vgl. z. B. §§ 298, 298 a ZPO).
2.
Im Zivilprozess steht die A. den Parteien und den an der Zwangsvollstreckung Beteiligten kraft Gesetzes unmittelbar zu (§§ 299 I, 760 ZPO), Dritten nur mit Einwilligung der Parteien oder, wenn sie ein rechtliches Interesse glaubhaft machen, mit Gestattung durch den Vorstand des Gerichts, bei dem sich die Akten befinden (§ 299 II ZPO). Entwürfe von Urteilen usw. sind ausgenommen. In der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist A. für jedermann vorgesehen, wenn ein berechtigtes Interesse glaubhaft gemacht wird (§ 13 FamFG).
3.
Einsicht in Strafakten ist dem Verteidiger grundsätzlich gestattet (vor förmlichem Abschluß der Ermittlungen einschränkbar, § 147 StPO) - nicht dem Beschuldigten -, dem Verletzten, dem Nebenkläger nach Anschluss, dem Privatkläger und dem Verfalls- oder Einziehungsbeteiligten jeweils durch einen Rechtsanwalt (§§ 406 e, 397 I 2, 385 III, 433 StPO), Dritten nur durch einen Rechtsanwalt, wenn ein berechtigtes Interesse besteht (§ 475 StPO), insbes. zur Prüfung bürgerlichrechtlicher Ansprüche oder zur sonstigen Rechtsverfolgung (Nr. 185 ff. RiStBV). Dem Beschuldigten, der keinen Verteidiger hat, können Auskünfte oder Abschriften erteilt werden (§ 147 VII StPO). Bei Ablehnung kann er Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellen, ebenso der Verteidiger und der Verletzte bei Verweigerung der A. durch die StA (§§ 147 V, 406 e IV 2 StPO). Zur Akteneinsicht und Auskunftserteilung an öffentliche und sonstige Stellen sowie Forschungseinrichtungen s. §§ 474 ff. StPO.
4.
Akten der Verwaltungsgerichte, Sozialgerichte und Finanzgerichte können die Beteiligten einsehen (§ 100 VwGO, § 120 SGG, § 78 FGO).
5.
Im Verwaltungsverfahren besteht Anspruch auf A. für die Beteiligten, soweit zur Wahrung ihrer Rechte erforderlich (§ 29 VwVfG; wird auch für betroffene Dritte angenommen). Ausnahmen bestehen bei gebotener Geheimhaltung oder wenn Interessen des Bundes oder eines Landes verletzt oder die Behörde in der Erfüllung ihrer Aufgaben beeinträchtigt würde. Die Aktenvorlage in diesen Fällen ist in § 99 VwGO besonders geregelt. Über den Kreis der zur A. Berechtigten ist jedermann nach dem Informationsfreiheitsgesetz auskunftsberechtigt. Besonders geregelt ist auch die Einsichtnahme in Akten des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes. S. a. Umweltinformationen. Über Einsicht in Personalakten der Beamten vgl. § 90 BBG und die Ländergesetze.
6.
Ein Unterfall der A. ist die Auskunft aus den Akten; wenn sie für die Zwecke des Antragstellers ausreicht, kann sie an Stelle der Einsicht erteilt werden, soweit nicht ein gesetzlicher Anspruch auf A. besteht.
7.
Gegenüber Finanzbehörden besteht wegen der Wahrung des Steuergeheimnisses grundsätzlich kein Recht auf A., insbes. hat der Beschuldigte gegenüber dem Finanzamt keinen Anspruch auf Auskunft über einen Anzeigenerstatter (BFH BStBl. II 1994, 552).
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