Positive Vertragsverletzung (pVV)
ist jede Leistungsstörung eines Schuldverhältnisses, die nicht unter eine der gesetzlichen Formen der Leistungsstörungen fällt. Das Rechtsinstitut der pVV wurde wegen der Lückenhaftigkeit der gesetzlichen Regeln über die Leistungsstörungen entwickelt und ist mittlerweile gewohnheitsrechtlich anerkannt. Die Voraussetzungen der pVV sind das Bestehen eines vertraglichen oder gesetzlichen Schuldverhältnisses, kein Eingreifen vorrangiger gesetzlicher Sonderregelungen (Unmöglichkeit, Verzug, Gewährleistungsregeln), eine objektive Verletzung der sich aus dem Schuldverhältnis ergebenden Verpflichtungen, Verschulden nach §§ 276, 278 BGB und ein Schaden. Schließlich muß noch die (haftungsausfüllende) Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden vorliegen.
Bei der pVV handelt es sich anders als z.B. bei § 823 BGB um einen eingliedrigen Tatbestand. Dies bedeutet, daß der Haftungstatbestand bereits mit der objektiven Pflichtverletzung erfüllt ist und es keiner haftungsbegründenden Kausalität bedarf.
Die pVV hat zwei Hauptanwendungsgebiete, zum einen die Verletzung von Nebenpflichten, zum anderen die Verletzung der Leistungspflicht selbst, also die Schlechterfüllung des Schuldverhältnisses. Insbesondere bei der Schlechterfüllung treten Konkurrenzprobleme zu den gesetzlich geregelten Gewährleistungsansprüchen auf.
Unter die Nebenpflichtverletzungen fallen v.a. die Leistungstreuepflichten (z.B. das Problem der Erfüllungsverweigerung vor Fälligkeit), Nebenleistungspflichten (insbesondere Anzeige- und Beratungspflichten, Unterlassens- und Verschwiegenheitspflichten, Obhuts- und Mitwirkungspflichten) und Schutzpflichten bei der Durchführung des Vertrages. In diesem Bereich treten zu den gesetzlichen Gewährleistungsrechten keine Konkurrenzprobleme auf, da insoweit eine echte Regelungslücke im Gesetz besteht.
Ganz anders im Bereich der Schlechterfüllung. Existieren keine oder nur unzureichende Gewährleistungsvorschriften (wie etwa beim Dienst-, Auftragsoder Maklervertrag), wird die gesamte Gewährleistung über das Rechtsinstitut der pVV abgewickelt. Besonders problematisch ist die Konkurrenz bei Kauf-, Werk- oder Mietvertrag.
Beim Kauf sind für die Schlechterfüllung grundsätzlich die §§ 459 ff. BGB abschließend. Die pVV wird daher neben § 463 BGB nur für die Gewährleistung bei Mangelfolgeschäden angewendet. Beim Werkvertrag wird die pVV nur bei den weiten Mangelfolgeschäden angewandt, bei den engen M. gelten nur §§ 634; 635 BGB. Im Mietrecht kann pVV nur bei Nebenpflichtverletzungen angewendet werden, da die §§ 537; 538 BGB kaum Regelungslücken enthalten. Die Ansprüche aus pVV verjähren regelmäßig in 30 Jahren, §195 BGB. Ausnahmen ergeben sich jedoch beim Kauf- und beim Mietvertrag. Beim Kaufvertrag ist § 477 BGB auf die pVV dann anwendbar, wenn es um Vertragsverletzungen geht, die mit einem Mangel der Kaufsache zusammen hängen. Wenn nämlich schon die Mangelschäden nach § 477 BGB verjähren, dann sollen dies erst recht die (meist wesentlich höheren) Mangelfolgeschäden. Beachte aber, daß beim Werkvertrag § 638 BGB für die entfernteren Mangelfolgeschäden gerade nicht gilt.
Beim Mietvertrag gilt § 538 BGB, so daß Ansprüche des Vermieters gegen den Mieter wegen schuldhafter Verschlechterung der Mietsache nach sechs Monaten verjähren.
Die Rechtsfolge der pVV ist grundsätzlich ein Schadensersatzanspruch auf Ersatz des negativen Interesses, der neben den Erfüllungsanspruch tritt. Bei einer schweren Pflichtverletzung, z.B. einer Erfüllungsverweigerung, die die Loslösung vom Vertrag rechfertigt, kann sich analog §§ 286 II; 326 II BGB auch ein Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung ergeben, der den Erfüllungsanspruch verdrängt. Auch möglich ist Rücktritt oder Kündigung.
Für die Beweislast gilt folgende Grundregel: Der Gläubiger hat die objektive Pflichtverletzung und die Kausalität zu beweisen, der Schuldner hat analog § 282 BGB zu beweisen, daß ihm kein Verschulden zur Last fällt.
1.
Unter dem gesetzlich nicht geregelten Begriff der pVV oder positiven Forderungsverletzung wurden früher alle schuldhaften Leistungsstörungen verstanden, die weder zur Unmöglichkeit der Leistung noch zum Schuldnerverzug führten. Hierunter fielen sowohl Handlungen (z. B. Verletzung von Nebenpflichten, vertragswidriges Verhalten) als auch Unterlassungen (mangelhafte Information, Beratung oder Aufbewahrung, Verletzung von Obliegenheiten). Die (nicht nur unerhebliche) pVV führte zur Möglichkeit des Rücktritts vom Vertrag oder des Schadensersatzes entsprechend den Vorschriften über Unmöglichkeit und Verzug.
2.
Nunmehr bestimmt § 241 II BGB, dass das Schuldverhältnis (je nach seinem Inhalt i. E.) jeden Teil (auch) zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten kann. Hiermit ist gemeint, dass nicht nur die unmittelbaren Leistungspflichten (z. B. die Lieferung der Ware, einerseits und deren Bezahlung andererseits) sondern auch verschiedene sonstige (Neben- und Schutz-)Pflichten Vertragsinhalt sein können. Inwieweit dies der Fall ist, ist durch Auslegung des Vertrags (Auslegung, 2 b) unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben im Einzelfall zu ermitteln. Hierunter fallen insbes. Informations- (Gebrauchsanleitung, Handbuch), Beratungs- und Überwachungspflichten, auch wenn diese Interessenvertretung nicht (wie z. B. bei der Raterteilung oder der Verwahrung) unmittelbarer Vertragsinhalt ist.
3.
Die Folge einer derartigen (nicht nur unerheblichen) Pflichtverletzung des Schuldners ist zunächst, dass der Gläubiger Ersatz des ihm hierdurch entstandenen Schadens (unter Aufrechterhaltung der sonstigen Leistungsverpflichtungen) verlangen kann (§ 280 I BGB; Einzelheiten Schadensersatz, 2 b). Unter diesen Voraussetzungen kann der Gläubiger aber auch (vollen) Schadensersatz statt der Leistung verlangen, wenn ihm infolge Gefährdung des Vertragszwecks die Leistung durch den Schuldner nicht mehr zuzumuten ist (§ 282 BGB). Bei einem gegenseitigen Vertrag kann der Gläubiger dann auch vom Vertrag zurücktreten (§ 324 BGB), was sein Begehren auf (zusätzlichen) Schadensersatz nicht ausschließt (§ 325 BGB).
schuldhafte Leistungsstörung (Vertragsverletzung), die nicht in einer Nichtleistung, nicht rechtzeitigen Leistung oder Schlechtleistung ihre Ursache hat, sondern bei der ein darüber hinausgehender Schaden verursacht wird. Dazu gehören die Verletzung von Haupt- und Nebenpflichten, wie Vorbereitungs-, Obhuts-, Anzeigeoder Mitwirkungspflichten, Gläubigerobliegenheiten (z. B. des Bestellers bei der Abnahme eines vom Unternehmer hergestellten Werks), ferner mangelhafte Erfüllungshandlungen, bei denen dem anderen Vertragsteil ein über das Erfüllungsinteresse (Interesse, positives) hinausgehender Schaden zugefügt wird (z. B. verkaufte kranke Kuh steckt andere Kühe des Käufers an). Weitere Fälle der p.n V. sind z. B. eine den ganzen Vertragszweck gefährdende Schlechtlieferung beim Sukzessivlieferungsvertrag, ein ehrverletzendes Verhalten des Vertragsgegners im Rahmen eines besonderen Treueverhältnisses der Vertragsparteien sowie die Erklärung des Schuldners, er werde die geschuldete Leistung unter keinen Umständen bewirken. Die p. V. begründet eine Pflicht zum Schadenersatz bzw. das Recht zum Rücktritt i. d. R. ohne Fristsetzung und Androhung nach § 326 BGB. Die erweiterte Schadenersatzpflicht wird überwiegend aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) hergeleitet. Sie besteht aber nur, wenn der Vertragszweck derartig gefährdet wird, dass dem Vertragstreuen Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles die Fortsetzung des Vertrags nicht zugemutet werden kann. Soweit die Schadensursache im Gefahrenbereich des Unternehmers Hegt (z. B. Ausrutschen eines Gastes im Beherbergungsbetrieb), muss der Unternehmer den Beweis für seine Schuldlosigkeit führen (Beweislast), § 282 BGB. a. Forderungsverletzung.
(positive Forderungsverletzung). Unter den Begriff der p. V. fallen die Pflichtverletzungen im Rahmen eines Schuldverhältnisses, die weder Unmöglichkeit der Leistung noch Verzug herbeiführen u. deren Folgen auch von den Vorschriften über die Gewährleistung nicht erfasst werden. Hierher gehören die Fälle der Schlechterfüllung, soweit sie durch Gewährleistungsregeln nicht abgedeckt sind (Beispiel: Verkäufer liefert krankes Vieh, das die vorhandenen Tiere des Käufers ansteckt), wie auch die der Verletzung von Obhutspflichten (Beispiel: Friseur versengt beim Legen der Dauerwelle Kopfhaut der Kundin). Der Schuldner ist für die aus einer von ihm zu vertretenden p.V. entstandenen unmittelbaren u. mittelbaren Nachteile zum Schadensersatz verpflichtet. Hat bei einem gegenseitigen Vertrag die p.V. den Vertragszweck derart gefährdet, dass dem Gläubiger das Festhalten am Vertrag nicht zuzumuten ist (Beispiel: Autohändler baut in verkauften fabrikneuen PKW gebrauchte Teile ein), kann er - ebenso wie bei Unmöglichkeit u. Verzug - vom Vertrag zurücktreten (Rücktritt) oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen. Die Rechtsgrundlage der Haftung aus p.V. beruht nicht auf gesetzlichen Vorschriften, sondern auf einem in ständiger Rspr. entwickelten Gewohnheitsrecht.
, pVV, positive Forderungsverletzung, pFV: vor Inkrafttreten des Schuldrechtsreformgesetzes übliche Bezeichnung für alle Verletzungen von Pflichten aus einem Schuldverhältnis, die nicht Unmöglichkeit oder Verzug zur Folge hatten oder im Gewährleistungsrecht geregelt waren. Auch die Verletzung vorvertraglicher Schuldverhältnisse wurde gesondert nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo (c.i.c.) behandelt.
Die Bezeichnung als positive Vertragsverletzung war nicht ganz zutreffend, da die Regeln der pVV nicht nur galten, wenn Vertragspflichten verletzt waren, sondern auch dann, wenn Pflichten aus einem gesetzlichen Schuldverhältnis missachtet wurden. Deswegen wurde teilweise die Bezeichung als positive Forderungsverletzung bevorzugt. Auch diese war aber ungenau, da nicht nur die Verletzung von Leistungspflichten, sondern auch die Verletzung von Sorgfaltspflichten (die heute in § 241 Abs. 2 BGB als Pflichten zur Rücksichtnahme bezeichnet werden) nach den Grundsätzen der pVV behandelt wurden.
Nach dem heutigen Recht kann gemäß § 280 Abs. 1 BGB die Verletzung jeder Pflicht aus einem Schuldverhältnis zu einem Schadensersatzanspruch führen. Selbst die Verletzung von Rücksichtnahmepflichten kann gemäß § 280 Abs. 1 und Abs. 3, § 282 BGB zu einem Schadensersatzanspruch statt der Leistung
führen oder gemäß § 324 BGB ein Rücktrittsrecht begründen.
= Positive Vertragsverletzung.
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