Staatshaftung
die Haftung des Staates oder anderer öffentlich-rechtlicher Körperschaften für Amtspflichtverletzungen ihrer Bediensteten. Nachdem das neue S.Gesetz vom Bundesverfassungsgericht wegen mangelnder Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für nichtig erklärt worden ist, gelten bis auf weiteres die bisherigen Vorschriften über die » Amtshaftung. Vgl. ferner Aufopferungsanspruch, Enteignung, enteignungsgleicher Eingriff.
Siehe auch: Amtshaftung
Amtshaftung.
betrifft die Ausgleichspflicht für Schädigungen durch eine amtspflichtwidrige Handhabung der öffentlichen Gewalt. Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. Für den Anspruch auf Schadensersatz darf der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden (Art. 34). Von dieser Staatshaftung (Amtshaftung) sind sonstige Ansprüche auf Entschädigung, z.B. wegen Enteignung oder Aufopferung, zu unterscheiden.
Amtshaftung.
ist die Haftung des Staates für Schäden. Die S. sollte 1981 in einem Sondergesetz geregelt werden, das § 839 BGB (Amtshaftung) ersetzt, Aufopferungsanspruch, enteignungsgleichen Eingriff und Enteignung aber unberührt lässt. Das Bundesverfassungsgericht erklärte das betreffende Gesetz wegen Verletzung der Zuständigkeitsbestimmungen für nichtig. Nach europäischem Gemeinschaftsrecht haftet der Staat für legislatives, administratives und judikatives Unrecht durch Verletzung des europäischen Rechts (z.B. rechtswidrige Entscheidung eines Höchstgerichts). Lit.: Ossenbühl, F., Staatshaftungsrecht, 5. A. 1998; Beljin, S., Staatshaftung im Europarecht, 2000; Schmalz, D., Staatshaftungsrecht, 2000; Beilage zu NJW 2002, Heft 14; Manssen, G., Verkehrssicherheit und Amtshaftung, 2003; Rinne, E./Schlick, W., Die Rechtsprechung des BGH zu den öffentlich-rechtlichen Ersatzleistungen, NJW 2005, 3330, 3541; Durner, W., Grundfälle zum Staatshaftungsrecht, JuS 2005, 900; Hoppe, C., Staatshaftung und Rechtsschutz bei Verletzung grundfreiheitlicher Schutzpflichten, 2006; Schön- dorf-Haubold, B., Die Haftung der Mitgliedstaaten für die Verletzung von EG-Recht durch nationale Gerichte, JuS 2006, 112
Während der Bürger auf der Primärebene durch die Abwehr hoheitlichen Handelns rechtswidrige Eingriffe in seine Rechte abwehren kann, befasst sich die Staatshaftung mit der Frage, inwieweit der Staat bereits eingetretene nachteilige Auswirkungen staatlichen Handelns durch Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes oder durch Entschädigung ausgleichen muss (Sekundärebene). Das Staatshaftungsrecht bildet allerdings kein in sich geschlossenes Rechtsgebiet, sondern hat sich historisch aus verschiedenen Grundgedanken entwickelt. Aus diesem Anlass beschloss der Bund das zum 1.1.1982 in Kraft getretene Staatshaftungsgesetz (StHG), welches aufgrund fehlender Gesetzgebungskompetenz des Bundes vom BVerfG für verfassungswidrig und nichtig erklärt wurde (BVerfGE 61, 149). Daraufhin ist im Jahre 1994 Art.74 Abs. 1 Nr.25 GG eingefügt worden, der das Staatshaftungsrecht der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes unterstellt. Von der nunmehr bestehenden Kompetenz hat der Bund noch keinen Gebrauch gemacht, sodass das zum großen Teil auf Gewohnheitsrecht basierende Staatshaftungsrecht fortbesteht.
Den Kernbereich staatlicher Haftung bildet die Haftung wegen Pflichtverletzungen, also für rechtswidriges Verhalten. Ursprünglich haftete ein Beamter
für schuldhafte Pflichtverletzungen persönlich (so z. B. §§ 88, 89 im zweiten Teil des Preußischen Allgemeinen Landrechts, übernommen in § 839 BGB). Zwar ist diese Konstruktion auch heute beibehalten worden, die persönliche Haftung des Beamten wird aber gern. Art. 34 GG auf den Staat übergeleitet (Amtshaftung).
Hat ein rechtswidriges Verwaltungshandeln eine Rechtsbeeinträchtigung zur Folge, die nicht durch eine Geldentschädigung, sondern durch sonstiges Verwaltungshandeln wieder rückgängig zu machen ist (z.B. Räumung einer Wohnung, in die Obdachlose eingewiesen wurden, nach Aufhebung der Einweisungsverfügung), so steht dem Betroffenen der Abwehr- und Unterlassungsanspruch bzw. der Folgenbeseitigungsanspruch zu.
Greift der Staat im überwiegenden öffentlichen Interesse in Rechte des Einzelnen ein, so erhält der Betroffene für diesen (rechtmäßigen) Eingriff eine Entschädigung. Dieser Grundsatz war bereits in den §§75, 76 der Einleitung zum Allgemeinen Preußischen Landrecht (EALR) normiert und wird als Aufopferungsanspruch bezeichnet. Findet ein Eingriff in eine Eigentumsposition statt, so liegt als wichtigster Anwendungsfall einer Aufopferung eine
* Enteignung vor, Art.14 Abs. 3 GG.
Dem Bürger können des Weiteren Entschädigungsansprüche aus dem Polizei- und Ordnungsrecht gegen den Staat oder Ansprüche aus einer öffentlich-rechtlichen GoA zustehen.
Neben den staatshaftungsrechtlichen Ansprüchen stehen dem Bürger unter Umständen Schadensersatzansprüche aus vertragsähnlichen, verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnissen zu.
Die gesetzliche Regelung der S. (G v. 26. 6. 1981, BGBl. I 553) wurde vom Bundesverfassungsgericht (NJW 1983, 25) mangels Zuständigkeit des Bundes zur Gesetzgebung für nichtig erklärt. Inzwischen gibt es in Art. 74 I Nr. 25 GG eine Zuständigkeit des Bundes im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung für das Recht der S. Davon hat der Bund aber noch keinen Gebrauch gemacht. Bis auf Weiteres gelten deshalb die bisherigen Vorschriften über die Amtshaftung fort. Demnach ist für die S. zu unterscheiden, ob der Handelnde in Ausübung öffentlicher Gewalt, d. h. hoheitsrechtlich, oder privatrechtlich tätig geworden ist:
1.
bei hoheitsrechtlichem Handeln: Verletzt ein „Beamter“ schuldhaft die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat an sich er den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen (§ 839 I BGB). Bei hoheitlichem Handeln, d. h. bei Handeln in Ausübung öffentlicher Gewalt (öffentliches Recht), z. B. bei Erteilung einer behördlichen Genehmigung, in der Straßenbauverwaltung (s. a. Verkehrssicherungspflicht), auch bei einer Dienstfahrt, nicht aber bei Abschluss eines Kaufvertrags, tritt aber nach Art. 34 GG an die Stelle des Beamten der Staat oder die Körperschaft (Gemeinde u. a.), die dem Amtsträger die Aufgaben, bei deren Wahrnehmung die Amtspflicht verletzt worden ist, anvertraut hat (z. B. beim Landrat der Staat oder der Landkreis; vgl. BGH NJW 1970, 750). Voraussetzung für die S. ist nicht, dass ein Beamter im staatsrechtlichen Sinne tätig wird; es genügt, dass „jemand“, also auch ein Angestellter, hoheitliche Funktionen wahrnimmt. Bei mittelbarer Staatsverwaltung entscheidet die jeweilige Organisation, ob hoheitliches Handeln vorliegt oder nicht (z. B. wurde die früher hoheitliche Bundespost privatisiert; privatrechtlich auch Deutsche Bahn sowie i. d. R. Verkehrsbetriebe, Sparkasse u. a.). Der Notar ist zwar kein Beamter, aber gleichfalls Träger eines öffentlichen Amtes; er haftet daher, z. B. bei Verletzung seiner Prüfungs- und Belehrungspflicht, wie ein Beamter, allerdings ohne Eintritt der S. (§ 19 BNotO).
Die S. setzt nicht das Vorliegen des Tatbestands einer unerlaubten Handlung voraus, sondern - umfassend - die Verletzung einer nach dem jeweiligen Rechtszustand und den Verwaltungsvorschriften sich bemessenden Amtspflicht. Hat der Beamte bei seiner Entscheidung einen Ermessensspielraum, so liegt eine Amtspflichtverletzung nur bei Überschreitung des zulässigen Rahmens sowie bei missbräuchlicher Ermessensausübung unter Berücksichtigung der angewendeten Mittel (Ermessen) vor. Die dem Handelnden obliegende Amtspflicht darf aber nicht nur intern (Dienstvorschrift) oder der Allgemeinheit gegenüber bestehen, sondern muss - zumindest auch - unmittelbar dem Interesse eines Dritten dienen. Wenn auch der Begriff „Dritter“ hier sehr weit auszulegen ist (z. B. bei Grundbucheintragungen jeder, der hierauf vertraut), so ist Dritter doch nicht, wer als Repräsentant der Allgemeinheit zufällig von der Amtshandlung betroffen wird (z. B. kein Anspruch des Seilbahnbenutzers aus S. gegen den Staat, wenn dessen Behörde die Aufsicht über die Seilbahnanlagen vernachlässigt). Zweck der Amtshandlung muss vielmehr auch die Wahrnehmung der Interessen des Einzelnen sein (z. B. beim Lehrer die Aufsicht über die Kinder, bei der Baugenehmigungsbehörde hinsichtlich derjenigen, die beim späteren Einsturz des Hauses verletzt werden usw.). Die Amtspflichtverletzung muss vorsätzlich oder fahrlässig begangen werden; fehlt ein Verschulden, so ist u. U. ein Aufopferungsanspruch gegeben, z. B. bei Impfschäden (z. T. spez. gesetzl. Regelung), bei Turnunfällen in der Schule (str.). Der Schadensersatzanspruch aus S. geht auf Geldersatz; ein Folgenbeseitigungsanspruch ist nicht vorgesehen.
Die S. wird ferner durch verschiedene Vorschriften eingeschränkt. So tritt die Ersatzpflicht nicht ein, wenn der Verletzte es vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch den Gebrauch eines Rechtsmittels - das sind alle Rechtsbehelfe im weitesten Sinne, z. B. Einspruch, Widerspruch, Klage (etwa gegen die Versagung einer Baugenehmigung), u. U. auch Aufsichtsbeschwerde, nicht aber selbständige Verfahren - abzuwenden (§ 839 III BGB). Bei bloßer Fahrlässigkeit tritt die S. nur ein, wenn der Verletzte nicht von etwaigen anderen Ersatzverpflichteten Ersatz zu erlangen vermag (Subsidiarität; § 839 I 2 BGB; nach BGHZ 68, 217 und BGH VersR 1991, 925 gilt diese Einschränkung jedoch nicht, wenn ein Amtsträger bei dienstl. Teilnahme am öffentl. Straßenverkehr ohne Vorrecht oder durch Verletzung der ihm hoheitl. obliegenden Verkehrssicherungspflicht einen Verkehrsunfall verschuldet; auch besteht keine Verweisungsmöglichkeit auf eine (gesetzl. od. priv.) Krankenversicherung (BGH NJW 1981, 623, 626) oder Kaskoversicherung (BGH Betrieb 1983, 220). Der Ersatzberechtigte muss sich daher zunächst darum bemühen, von einem anderen zahlungsfähigen Haftpflichtigen Ersatz zu erlangen; ggf. muss er auch nachweisen, dass er eine früher gegebene Ersatzmöglichkeit nur ohne sein Verschulden nicht wahrgenommen hat. Handelt es sich bei der Amtspflichtverletzung um ein Urteil oder einen streitentscheidenden Beschluss in einer Rechtsstreitigkeit, so tritt die S., um eine nochmalige Überprüfung rechtskräftiger Urteile in einem Schadensersatzrechtsstreit zu vermeiden, nur ein, wenn der Richter sich einer Straftat (Rechtsbeugung) schuldig gemacht hat (§ 839 II BGB; sog. Spruchrichterprivileg).
2.
bei privatrechtlichem Handeln: Die S. nach Art. 34 GG tritt hier nicht ein. Der Staat bzw. die Anstellungskörperschaft haften bei Vertragsverletzungen über § 278 BGB (Erfüllungsgehilfe), für unerlaubte Handlungen nur nach § 831 BGB (Verrichtungsgehilfe) mit der Möglichkeit des Entlastungsbeweises. Nur wenn der Handelnde ein „verfassungsmäßig berufener Vertreter“, d. h. ein leitender Beamter innerhalb eines selbständigen Verwaltungszweigs ist, oder wenn ein solcher fehlt (sog. Organisationsmangel), haftet der Staat ohne Entlastungsmöglichkeit wie ein Verein für seinen Vorstand (s. dort; §§ 89, 31 BGB). Der Beamte selbst haftet bei Vertragsverletzungen überhaupt nicht (er ist nicht Vertragspartner); bei unerlaubten Handlungen haftet er nach § 839 BGB (s. o.), als Angestellter nur nach den allgemeinen Vorschriften über unerlaubte Handlungen (§§ 823 ff. BGB).
3.
Zum Rückgriff des Staates gegen den Handelnden Haftung des Beamten. Für Schadensersatz- und Rückgriffsansprüche ist der ordentliche Rechtsweg (zu den Zivilgerichten) eröffnet (Art. 34 S. 3 GG). S. ferner Enteignung, enteignungsgleicher Eingriff, enteignender Eingriff, Aufopferungsanspruch.
4.
Die S. für im Gebiet der ehem. DDR vor dem 3. 10. 1990 begangene Amtspflichtverletzungen richtet sich weiterhin nach dem DDR-StaatshaftungsG vom 12. 5. 1969 (GBl. I 34) m. Änd. (insbes. durch Anl. II Kap. III B Abschn. III 1 des Einigungsvertrags). Ab diesem Zeitpunkt sind die obigen Vorschriften anzuwenden; das DDR-Staatshaftungsrecht gilt jedoch daneben als Landesrecht fort, soweit es nicht in einzelnen Ländern aufgehoben ist.
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